Das Sofa wird zur Bühne
Von heute auf Morgen war die Musikbranche stillgelegt. Keine einfache Zeit für eine junge Band wie Rikas. „Am Anfang mussten wir erstmal nach uns selbst schauen. Es gab so viel zu tun mit Festivals absagen und Tour verschieben“, so Chris Ronge, Gitarrist von Rikas. Die wichtigsten Wege als Band bekannter zu werden – Kontakte knüpfen und sich zu vernetzen – waren durch die Pandemie nicht mehr möglich. Dennoch habe es der Band geholfen, auf bestehende Kontakte zurückzugreifen und abzugleichen, wie es anderen Musiker*innen in der Pandemie geht. Auch wenn schnell klar war: nicht gerade gut.
Mit gerade mal 13 Jahren haben die vier Künstler von Rikas aus Korntal angefangen, zusammen Musik zu machen. Ferdinand, Chris, Sascha und Sam begannen im Proberaum von Ferdinands Vater und machten bald Schlagzeilen: 2017 sagte die Stuttgarter Zeitung den Musikern eine erfolgreiche Zukunft voraus und nannte sie „die schwäbischen Beach Boys“. Ihr bekanntestes Lied „Tortellini Tuesday“ wurde bis heute über vier Millionen Mal gestreamt. Über die Jahre wurde die Band immer bekannter und trat als Vorprogramm bei Bands wie Bilderbuch oder Fil Bo Riva auf. 2019 veröffentlichten Rikas ihr Debütalbum „Showtime“ und heute sind sie fester Bestandteil der deutschen Indie-Szene.
Eine Szene, in der Vernetzung eine zentrale Rolle spielt. „Das ganze Musikgeschäft ist ein People’s Business – je mehr Leute du kennst, desto mehr Möglichkeiten eröffnen sich auch“, sagt Ronge. Vernetzung sei unverzichtbar, um in der Musikbranche bekannt zu werden.
Das fällt auch bei einer Analyse der größten deutschsprachigen Indie-Künstler*innen auf. Nahezu alle der Musiker*innen standen schon mal auf derselben Bühne wie ihre Kolleg*innen aus der Szene. Besonders auf Festivals begegnen sich oft dieselben Künstler*innen. Es besteht ein engmaschiges Netz, das unzerstörbar erschien.
Dieser Artikel bezieht sich auf eine Netzwerkanalyse der Verbindungen von 35 deutschsprachigen Indie-Bands. Um repräsentative Akteure darzustellen, wurden die fünf größten, kostenpflichtigen Festivals innerhalb Deutschlands nach auftretenden Indie-Bands untersucht. Erfasst wurden gemeinsame Festival-Auftritte, Labels, Tour-Auftritte und Songs.
Der vollständige Forschungsbericht mit allen Quellen, die wir für unsere Recherche genutzt haben, sind auf Github hinterlegt.
Um Kontakte zu knüpfen und sich einen Namen zu machen, haben Rikas früh auf Stadtfesten gespielt und regionale Clubs angefragt. Wenn sie auf Konzerten größerer Bands waren, drückten sie den Künstler*innen danach einfach eine Rikas-CD in die Hand. Besonders Auftritte als Vorband seien laut Ronge für die Band entscheidend gewesen, um sich über Stuttgart hinaus zu vernetzen: „Als junge Band profitiert man extrem davon, wenn man als Support von größeren Bands spielen kann. Man bekommt damit live eine Reichweite, die man als eigene Band erstmal so nicht hätte.“
Tourneen schaffen die engsten Verbindungen
Je mehr solche kleinen Auftritte eine Band bekomme, desto größer wird das Portfolio und die Wahrscheinlichkeit auf größeren Konzerten und Festivals zu spielen. Und so entstehen wieder neue Kontakte. Auf Festivals sei die Vernetzung um einiges schwieriger. Oft bliebe nur wenig Zeit zwischen den Auftritten auf der Festivalbühne, sodass kaum Möglichkeiten zum Netzwerken hinter der Bühne blieben. „Tiefergehende Bekanntschaften kommen eher zustande, wenn man zusammen tourt oder über längere Zeit als Support spielt. So war es zumindest bei uns bis jetzt immer“, so Ronge.
Doch dann kam die Pandemie. 2020 bricht das engmaschige Netz der Indie-Szene zusammen. Die meisten gemeinsamen Auftrittsmöglichkeiten werden gecancelt. Viele Künstler*innen verfallen in eine Schockstarre.
„Der Stillstand der Welt hatte uns in eine Schreibblockade versetzt. Es gab Einiges zu verarbeiten“, schreiben Rikas anlässlich der Veröffentlichung ihrer Corona-Single „Overthinking“. Sie erschien im Dezember 2020 und sollte als erstes Lebenszeichen nach einer unfreiwilligen Pandemie-Pause gelten. Mit diesem Song will die Band Vergangenes aufarbeiten und das Gefühl einer aufwühlenden Zeit beschreiben.
Gelegenheiten nutzen
Auftritte auf Festivals und Touren sind seit über einem Jahr kaum möglich. 30 Festival-Auftritte hatten Rikas für 2020 geplant. 30 Auftritte wurden abgesagt. Ebenso der zweite Teil ihrer eigenen Tour, die nun schon zum zweiten Mal verschoben wurde und frühestens eineinhalb Jahre nach dem geplanten Zeitpunkt starten wird. Und das auch nur, wenn Corona nicht wieder dazwischenkommt. Dennoch verzeichnet das Netzwerk von Rikas im Jahr 2020 einige Kontakte mit anderen Bands. Was machen Rikas, anstatt wie die Jahre zuvor von Bühne zu Bühne zu ziehen?
Zum Einen: Die Gelegenheit nutzen. Als im Sommer 2020 einige Maßnahmen gelockert wurden, spielten Rikas auf kleinen Open-Air-Festivals mit wenig Publikum und unter Einhaltung eines Hygiene-Konzepts. Außerdem nutzten sie die Möglichkeit von Streaming-Konzerten. So waren Rikas Ende April Teil des „Social Sofa Festivals“ und streamten über ihren Instagram-Kanal ein Konzert von ihrem Sofa aus.
Dominiert wird das Rikas-Netzwerk 2020 aber von einer anderen Aktion. Die Band Blond nutzte die außergewöhnliche Situation, um einen „Trostspender für den verlorenen Festivalsommer“ zu schaffen. Sie veröffentlichten „Sanifair Millionär Cypher“, einen achtminütigen Song mit 17 Bands und Musiker*innen. Neben Drangsal, Von Wegen Lisbeth, Leoniden und vielen weiteren reihten sich auch Rikas in eine lange Liste von Künstler*innen ein.
Durch solche Projekte konnte die Band persönlichen Kontakt, die kurzen Treffen Backstage und die gemeinsamen Reisen auf Tour zumindest teilweise ersetzen. Auch wenn sie so keine neuen Kontakte knüpfen konnten, blieben die alten bestehen. Rikas-Gitarrist Ronge bestätigt: „Wir haben jetzt keine Chat-Gruppe mit allen bekannten Bands, in der wir einmal die Woche Gesellschaftsspiele spielen oder so. Aber ich würde mal sagen, der Austausch ist schon auf dem Level geblieben wie man ihn sonst auch betreibt.“