„Ganz schön kitschig, so über einen Tisch zu reden. Aber anders kann ich es gerade auch nicht erklären."
Eine Hommage an den Küchentisch
Um eines gleich zu Beginn klarzustellen: Dieser Text widmet sich tatsächlich dem Möbelstück. Diesem runden oder eckigen Ding in deiner Küche, das du auch mal wieder abwischen könntest. Keine versteckte Doppeldeutigkeit. Kein höherer Sinn, heruntergebrochen zugunsten der Verständlichkeit. Und trotzdem fällt es mir nicht leicht, die Rolle dieses Möbelstücks in Worte zu fassen.
Enttäuscht lasse ich mich auf einen der vom Sperrmüll geretteten Stühle sinken. Das schwarze Etwas, das ich aus dem Ofen hole, würde man selbst dort nicht mehr los. Telefon raus. Mama anrufen. Sie sitzt an ihrem Küchentisch, arbeitend. Ich an meinem, verzweifelt. Obwohl es mittlerweile zwei verschiedene sind, fühle ich mich ihr in solchen Momenten sehr nah. Hier in Stuttgart, an unserem WG-Küchentisch, führt sich ein bereits zu Kindheitstagen etabliertes Gefühl fort. Willkommen in der neuen Wohnung fühlte ich mich nach dem ersten Spätzle-Abend und zuhause in der ersten schlaflosen Nacht, in der mein Mitbewohner mir Joghurt mit Honig machte. Beides am Tisch in der Küche. Gab es früher den bunt gedeckten Geburtstagstisch, gibt es heute den frisch gebrühten Kaffee, der am Morgen auf einen wartet. Unausgesprochen ist der Tisch schon immer Treffpunkt für die schnellen Gespräche zwischendurch, das gemeinsame Essen oder das spontane Pläneschmieden.
An Küchentischen führte ich auf Partys ausufernde Gespräche mit Fremden, die in dem Moment so tiefgründig und am nächsten Tag so überflüssig erschienen wie der Kater danach. Als meine Eltern mich beim Rauchen erwischten, holte ich mir dort den Hausarrest meines Lebens ab und brachte einige Zeit später meinen ersten Freund hin.
Kaum vorzustellen, ich müsste mal ohne Tisch in der Küche. Kenne ich es doch gar nicht anders: Angefangen bei Oma und Opa, deren Küchentisch schon immer die ganze Familie fast unangenehm nah zusammengebracht hat und unter dessen Tischdecke sich noch immer die geheimen Notizzettel mit den Daten und Gedanken unserer vergangenen Besuche stapeln. Oder bei meinen Urgroßeltern, an deren Küchentisch wir uns als Kinder immer zurückzogen, wenn der Kaffeeklatsch der Erwachsenen sich wieder wie ein halbes Leben anfühlte. Vielleicht auch, weil dort das große Glas mit unbewachten Süßigkeiten auf uns wartete – kann ich heute nicht mehr so genau sagen.
Was ich dagegen klar vor mir sehe: Den Küchentisch meiner Eltern. In meiner Erinnerung haben wir noch nie einen anderen Tisch besessen. Glaubt man den Fakten, ist er 1998 in unsere Küche gezogen. Also zwei Jahre nach meiner Geburt. So ein einfacher Gegenstand. Dunkles Holz, klein und rechteckig, mit einer nur halb funktionstüchtigen Schublade an der Seite. Einige Flecken und Dellen zeugen von allem, was wir daran schon erlebt und ich schon verschüttet habe. Kein Prachtexemplar, kein Designerstück. Aber genau das ist es, was ihn für mich ausmacht.
Das gute Holz, die geschnörkelten Kanten und das empfindliche Glas stehen im Ess- oder Wohnzimmer – aber nicht in der Küche. Da muss der Tisch etwas aushalten können oder so einfach sein, dass der Verschleiß nicht schmerzt. Denn vielleicht ist es nicht dieses Möbelstück an sich, sondern die Tatsache, wo er steht. In Küchen zu Tisch gebeten zu werden, lässt oftmals einen Blick hinter die Kulissen zu. Wohnzimmer dagegen haben etwas Hergerichtetes, bewusst einladend für Besuch. Küchen spreche ich zu, ein deutlich realistischeres Bild der Menschen dahinter zu verraten.
Dieser ehrliche Teil der Wohnung – eher pragmatisch als schön eingerichtet – in dem man sich begegnet, auf meist eingeschränktem Raum, gibt jeder Situation eine Intimität, die an einer langen Tafel zwischen Dekoration und Tischsets verloren geht.
„Der Tisch hat Macken, er hat Kratzer. Er ist wie er ist. Used."
Klar, ist es schön, mit Freund*innen auszugehen, in die Lieblingskneipe oder das neue hippe Restaurant in der Stadt. Mit den richtigen Leuten reicht es aber eben auch, am Tisch in der Küche zu sitzen, eine Kerze in die leere Weinflasche zu drücken und so gute Gespräche zu führen, dass der Geruch des Biomülls, der gerade anfängt zu kippen, irrelevant wird. Vielleicht ist es die Gewissheit, dass es manchmal so wenig braucht und so einfach sein kann. Vielleicht sind es die Menschen, denen wir die Möglichkeit bieten, uns dort zu treffen, wo das Leben stattfindet. Wo nichts so hergerichtet ist, wie wir gerne hätten, dass andere uns sehen. Mitten im Gewürzchaos, zwischen geklautem Mensabesteck und Sperrmüllstühlen. Genau da entscheiden wir, Dinge zu teilen und unserem Gegenüber auf engstem Raum zu begegnen.
Vielleicht ist also weder das Möbelstück noch der Ort entscheidend. Vielleicht tragen sie aber einen entscheidenden Teil dazu bei, weshalb alles dort so kommt, wie es kommen muss.
In dem Glauben, dass es nicht nur mir so gehen kann, habe ich mich in den letzten Wochen auf die Suche gemacht. Ich wollte mit Menschen reden, die das Gefühl kennen, dass in der Küche Dinge anders laufen. Erwartet habe ich ein paar wenige, gefunden habe ich ein paar viele. Zu viele für diesen Artikel mit zu vielseitigen Geschichten und Gefühlen, als dass ich sie hier abbilden könnte. Aber jedes Gespräch hat mich dem Ziel etwas nähergebracht, mein eigenes Gefühl in Worte zu fassen.