Freiwilligendienste

Burkina Faso - zweite Heimat Afrika

Die Freiwilligendienstleistende Jana Gratz bei einer Schuleinweihung in Burkina Faso.
26. Juni 2020

Friedensdienst statt Work & Travel: Jana hat sich nach dem Abitur für Aufklärungsarbeit in Afrika entschieden und es keine Sekunde bereut. Sie zeigt, warum Freiwilligenarbeit mehr als Aufopferung ist und warum der Begriff "Lerndienst" der Passendere ist.

Chaotisch, bunt und ganz viel Durcheinander – das sind die ersten Eindrücke, die Jana Gratz bei ihrer Ankunft in Burkina Faso gewinnt. Ein paar Stunden zuvor noch tränenreich am Frankfurter Flughafen von Freund*innen und Familie verabschiedet, steht sie nicht einmal einen Tag später in der Hauptstadt Ouagadougou, im westafrikanischen Burkina Faso. 13 Monate plant sie in einer Stadt namens Banfora zu verbringen, 7.129 Kilometer entfernt von daheim, in einem Heim für Mädchen, dem “Foyer Sainte Monique”. Und obwohl sie keinen Menschen kennt, ist Jana begeistert: Sie freut sich auf das Abenteuer Friedensdienst.

“Ich musste zwar mit der Hand waschen, mit kaltem Wasser duschen oder über dem Feuer kochen, aber ich habe gelernt, dass es auf solche Dinge nicht ankommt. Denn was Menschlichkeit betrifft, ist es in Burkina viel schöner.” 

 

Jana Gratz

Als sich die 19-Jährige zwei Tage nach einer Infopräsentation spontan bei der Organisation SoFiA (Soziale Friedensdienste im Ausland) für einen Freiwilligendienst bewirbt, weiß sie nicht, was auf sie zukommt. „Ich dachte damals, es ginge vor allem darum Hilfe zu leisten und etwas zurückzugeben."

Die Förderprogramme “Weltwärts” und der internationaler Jugendfreiwilligendienst (IFJD) unterstützen jährlich mit insgesamt über 6000 Freiwilligen den Großteil an geregelten Freiwilligendiensten. Sie arbeiten mit jeweils 160 bzw. 130 Entsendeorganisationen wie SoFiA zusammen. Die Freiwilligen bewerben sich direkt bei der entsprechenden Organisation und werden von dieser vorbereitet und letztendlich in den Dienst entsandt. 

Das Bild des aufopferungsvollen Friedensdienstes wurde ihr in den vielen Vorbereitungsseminaren aber schnell genommen, denn das ist nicht Kern der Sache. „Es geht vielmehr um die Begegnung an sich und darum, dass beide Seiten und Kulturen voneinander lernen können.” Dennoch hat sie keine Angst, bei der Sache zu wenig für sich selbst mitzunehmen. „Ich fand gerade die Möglichkeit interessant, so lange an einem Ort zu sein, dass ich eine Kultur richtig erleben und Teil von ihr werden kann.” Durch die Welt reisen könne sie ja außerdem immer noch, erzählt sie mir.

Nine-to-five-Job? – Fehlanzeige!

Heute Mais zur Mühle bringen, morgen kranke Hühner baden und nächste Woche Aufklärungsunterricht in Schulen geben – einen klassischen Alltag gibt es für Jana in Burkina Faso nicht. Schnell ist klar, dass es eben nicht darum geht, von 9 Uhr morgens bis 17 Uhr am Nachmittag “Gutes zu tun”, was auch immer das bedeuten soll. Manchmal ist sie mehrere Wochen lang unterwegs, um in verschiedenen Regionen des Landes Schulen einzuweihen und Aufklärungsunterricht zu geben, ansonsten lebt sie überwiegend in der Einrichtung und unterstützt die Mädchen dort. Sie hat sich schnell eingelebt und liebt ihr neues Zuhause. Die Frage, ob sie irgendwas aus Deutschland vermisst, verneint sie sofort. „Höchstens den Käse", fügt sie lachend hinzu.

Am schönsten seien immer die Momente, in denen sie das Gefühl hat, komplett dazuzugehören. An eine Situation erinnert sich die Dienstleistende noch ganz genau: „Wir hatten Besuch aus Deutschland, mit dem ich mich lange unterhalten habe und irgendwann haben die Burkinabé gerufen: `Komm zu uns! Du gehörst doch zu uns!´ – Das war ein tolles Gefühl!”

Jana beim Lernen der Ngoni, einem west-afrikanischen Instrument

Wie Arbeit fühlt sich ihr Leben dort nicht wirklich an, denn ihre Aufgaben sind vielseitig. „Ich habe oft Freunde besucht, die einen Kiosk in der Stadt hatten oder bin zum Tanzunterricht gegangen." Außerdem lernt sie viel Neues, wie das Saiteninstrument Ngoni spielen oder die Regionalsprache Jula sprechen.

Nicht nur schöne Seiten

Natürlich macht Jana auch unschöne Erfahrungen. Sie engagiert sich zum Beispiel in einem Projekt mit heimatlosen Kindern, die teilweise in alten, leerstehenden Häusern leben, was ihr sehr nahe geht. Zudem macht ihr der Postkolonialismus zu schaffen, den sie hier zu spüren bekommt. “La Blanche!” rufen die Burkinabé, egal, wo sie hinkommt und blicken aufgrund ihrer Hautfarbe zu ihr auf. „Einmal kam ein Mädchen zu mir und meinte, wie schön ich sei und das sie sich wünsche, auch so auszusehen – sowas ist doch schrecklich!” Sie habe erst in Burkina realisiert, wie viel Arbeit in Sachen Aufklärung und Rassismusbekämpfung noch zu tun ist.

Burkina Faso wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von Frankreich kolonialisiert, was heute noch Auswirkungen auf das Land und deren Einwohner, die Burkinabé, hat. Die “Weißen” sind für viele dort noch immer das Symbol für Reichtum und Schönheit. Postkolonialismus beschreibt die Zeit nach der Kolonialisierung und beschäftigt sich mit deren Auswirkungen.

Generell ist es nicht immer leicht für Jana. Privatsphäre hat sie kaum, denn sobald sie auf die Straße geht, ist sie umringt von Menschen. Alle wollen mit ihr reden und Zeit mit ihr verbringen. Nicht selten hat sie dabei das Gefühl, die Menschen erhoffen sich etwas vom Gespräch mit ihr. Laut Stephan Mertes, Bildungsbeauftragter von SoFiA, sind Janas negative Erfahrungen trotz allem wichtig für einen Freiwilligendienst. Denn sie konnte ihren gewohnten Kontext verlassen, um auf Dinge zu treffen, die sie emotional berühren. So kann eine komplett neue Sicht auf verschiedene Dinge entstehen.

"Wir reden nicht umsonst von einem Lerndienst anstatt von Entwicklungshilfe. Es geht nicht um einseitige Hilfe, sondern vielmehr um langfristige Partnerschaften."

Stephan Mertes

Das ist auch der Grund, warum es zu seinem Job gehört, einmal pro Jahr eine Einsatzstelle direkt vor Ort zu besuchen. So kann er Partnerschaften persönlich pflegen, neue Bekanntschaften machen und einschätzen, ob eine Einrichtung zu SoFiA passt. Denn Ziel des Dienstes sei es, sich auf die entsprechende Kultur vor Ort einzulassen und eine neue Perspektive auf die Dinge für sich zu gewinnen.

"Wenn wir es schaffen, dass globale Zusammenhänge für die Dienstleistenden nicht nur Nachrichten oder Fakten sind, sondern Gesichter, bestenfalls sogar Freunde – dann ist auch ein Schritt Richtung Friedensarbeit getan. 

Stephan Mertes
Jana in einer Schule für taubstumme Kinder

Es breche ihr das Herz, Burkina Faso aufgrund von Corona schon nach sieben Monaten verlassen zu müssen, so Jana. Sie blickt auf eine wunderbare Zeit in einem Land zurück, das für sie nun eine zweite Heimat ist. Auf die Frage, was der Dienst ihr persönlich gebracht hat, antwortet Jana ohne zu zögern: Sie sei viel dankbarer für die Menschen und Dinge in ihrem Leben, aber auch gesellschaftskritischer geworden.

Sie habe – zumindest bei den Mädchen aus dem Foyer – keine Distanz mehr gespürt. Sie ist nicht wirklich die Dienstleistende, die ihre Arbeit tut, sondern für viele eine Freundin, mit der man einfach Spaß hat. Das schätzt Jana rückblickend am meisten an ihrem Freiwilligendienst: Die unzähligen Bekanntschaften, die sie teilweise nun ihre Freunde nennen kann. 

Und so steht sie nun wieder tränenüberströmt am Flughafen, sechs Monate früher als eigentlich geplant. Jana trauert sehr um die Zeit, die ihr das Virus genommen hat. Aber für sie ist klar: Spätestens nächstes Jahr sitzt sie wieder im Flieger nach Burkina.