Freundschaft

"Friends will be friends" – die wahre große Liebe

Auf Reisen kann man mit seinen Freund*innen intensiv zusammenwachsen.
25. Febr. 2021
Die wichtigsten Dinge im Leben sind Nahrung, Sauerstoff – und Freund*innen. In guten Zeiten lachen sie mit uns, in schlechten Zeiten sind sie für uns da. Über die wichtigste aller Beziehungsformen.

Ich erinnere mich weder an den schönen Sonnenuntergang auf Mykonos noch an die weißen, typisch griechischen Häuser. Alles, was ich weiß, ist, wie ich und meine drei besten Freundinnen uns weinend in den Armen lagen. Es war der letzte Tag unseres Interrailtrips. Schon bald würden wir uns nicht mehr jeden Tag sehen, nicht mehr jeden freien Moment miteinander verbringen können. Und warum? Weil wir am Ende des Tages eben nur Freundinnen sind.

Was Grey´s Anatomy und Sex & the City gemeinsam haben, sind weder dieselben Hauptdarsteller*innen noch der Sinn für Mode: Es ist das Verständnis von Freundschaft als unverzichtbares Gut. „Du bist meine Person“ sagt Meredith Grey zu Christina und gibt damit ihrer besten Freundin den Status als wichtigste Person ihres Lebens – und nicht ihrem Mann. Und auch Carrie Bradshaw verkörpert diese Einstellung. Zuerst kommen für sie ihre Freundinnen. Und dann die Männer.

Im Fernsehen scheint das bestens zu funktionieren, doch in der Realität sehen die Dinge etwas anders aus. Zwar sind die sozialen Strukturen dank der LGBTQ+ - Bewegung glücklicherweise dahingehend aufgebrochen, dass es in Deutschland endlich egaler ist, mit wem man eine Beziehung hat, doch das Wie hat sich noch nicht wirklich verändert: Im Fokus steht nahezu immer die romantische Beziehung. Was am Ende des Tages wirklich zählt, ist eine*n Partner*in zu finden und gemeinsam ein erfülltes Leben zu führen, so sieht es unsere Gesellschaft vor.

So weit, so gut, für alle die sich in einer solchen Beziehungsform wiederfinden. Was aber ist mit Menschen, für die nicht der*die Lebenspartner*in die wichtigste Person im Leben ist, sondern der Bruder oder eben die beste Freundin. Da wird es schon schwieriger, denn für solche Formen der Beziehung gibt es scheinbar keinen Platz.


Nur Freund*innen

Eine Wahrheit, die auch in der Corona-Pandemie bestätigt wird. „Freunde haben keine Lobby“ schreibt DIE ZEIT sehr treffend. Menschen, die keine*n klassische*n Partner*in haben und nicht die Erfüllung in ihrer Familie finden, sondern sozial von ihren Freund*innen zehren, werden nicht berücksichtigt und in der Krise allein gelassen. Freundschaften genügen scheinbar nicht.

Dabei ist das doch absurd. Seit elf Jahren sind ich und meine drei besten Freundinnen unzertrennlich. Über die Hälfte unseres Lebens verbringen wir schon miteinander. Ich habe jede Verknalltheit und jede Trennung miterlebt, den ersten großen Kater sowie die unendliche Freude, an der Traum-Uni angenommen worden zu sein. Wir sind buchstäblich gemeinsam erwachsen geworden. Ohne sie wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird niemals ein Mensch in mein Leben kommen, der mich besser kennt oder die Zeit, die wir schon hatten, aufholen kann.

Und doch scheint das nicht auszureichen. Denn wenn ich sage, ich möchte zum Studieren nach Würzburg, weil meine Freundin dort auch hingeht, bekomme ich zu hören: „Du musst dich auf dich konzentrieren.“ Oder „Du findest schon neue Freund*innen.“ Bei einer romantischen Beziehung würde so etwas kaum einer sagen. Und genau da liegt das Problem.

„In einer Partnerschaft baut man eine gemeinsame Welt, während der gute Freund ein intensiver Lebensbegleiter bleibt“, so Psychotherapeut Wolfgang Krüger. Man bekomme in einer Beziehung einfach mehr vom anderen, indem man den Alltag gemeinsam verbringt, sich bei Krankheiten umeinander kümmert oder vielleicht sogar Kinder gemeinsam großzieht. Eine Freundschaft laufe um einiges reservierter ab, so Krüger. Nur müsste die Rollenverteilung ja nicht in diese Richtung laufen. Denn romantische Beziehungen sind nichtmehr wie früher.

 

Vielleicht ist das Problem aber auch, dass wir Freundschaft und Liebe immer als Gegensatz denken.(...) Meine Freundschaften sind große Lieben. Und in ihren besten Momenten sind sie sogar besser als das Original.

Corinne Luca in ihrem Buch "Freundinnen, die andere große Liebe – nur besser."

Nicht mehr zeitgemäß

In den 60er-Jahren war es vielleicht noch gerechtfertigt, dass der*die Ehepartner*in die wichtigste Person im Leben war. Es hat in die Zeit gepasst: Man hat früh geheiratet, durch die klassische Rollenverteilung in einer gegenseitigen Abhängigkeit gelebt und tatsächlich den Großteil des Lebens miteinander verbracht. Aber Zeiten ändern sich.

Heutzutage ist laut der repräsentativen ElitePartner-Studie 2020 die Hälfte der unter 30-Jährigen in Deutschland alleinstehend, viele darunter für sehr lange Zeit. Geheiratet wird im Schnitt erst mit Anfang 30, jede dritte Ehe davon geht in die Brüche, fast doppelt so viele als noch vor 50 Jahren, so geht es aus einer Studie des Statistischen Bundesamt aus dem Jahr 2018 hervor. Es ist nicht so, dass die Menschen sich weniger binden wollen, aber es ist schwieriger geworden.

Denn der Mensch ist individueller, eigene Träume und Vorstellungen wollen verwirklicht werden und passen oft nicht zu denen des*der Partner*in. Das alles macht es schwieriger, über lange Zeit eine Beziehung zu führen, die sehr oft der anhaltenden Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft zum Opfer fällt. Und wer ist da, wenn wieder eine Beziehung in die Brüche gegangen ist?  Die beste Freundin.
Viele Psychologen schätzen den Wert von Freundschaften heutzutage wichtiger ein, als  der herkömmlicher Beziehungen. Freundschaften sind solider als viele Liebesbeziehungen und gehen schwerer in die Brüche. Denn was soll nach über einem Jahrzehnt an Freundschaft noch kommen, was mich schocken und von meinen Freundinnen trennen soll?

Wir vier sind auf jeder Ebene ein eingespieltes Team. Oft scherzen wir darüber, dass wir uns verhalten wie ein altes Ehepaar. Es gibt feste Duschreihenfolgen und immer dieselben Abläufe. Die eine hat die Reiseapotheke dabei, die andere das Glätteisen. „Nein, probier gar nicht erst, du magst die Soße nicht, da sind Stückchen drinnen.“ Oder: „Die Geschichte hast du schon 1000-mal erzählt.“ Und: „Wisst ihr noch damals…“ Wir diskutieren immer über dieselben Kleinigkeiten, erzählen dieselben Geschichten und lachen viel, wenn wir zusammen sind. Wir tanken auf, wenn wir uns sehen, selbst wenn es nur eine gemeinsame Autofahrt oder ein kurzer Spaziergang ist. Wir brauchen uns.

Liegt es am Sex?

Trotzdem muss es einen Grund geben, warum immernoch die romantische Beziehung im Zentrum aller Dinge steht. Schaut man sich aber die Eigenschaften von Freundschaften und Partnerschaften an, scheinen sie sich doch gar nicht so sehr voneinander zu unterscheiden.
Von meiner Freundin erwarte ich ebenso Loyalität wie von meinem Partner. Bei beiden ist mir Humor, eine ähnliche Sicht auf Dinge und das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit wichtig. Ich liebe meine Freundinnen. Zwar nicht auf dieselbe Weise, wie ich meinen Partner liebe, aber dafür nicht weniger intensiv. Einfach anders.

Der einzig signifikante Unterschied zwischen Freundschaften und romantischen Beziehungen – neben dem offensichtlichten sexuellen Aspekt  – ist wohl die Ungezwungenheit die in Freundschaften herrscht. Und diese Ungezwungenheit verbirgt meiner Meinung nach den wahren Wert dieser zwischenmenschlichen Beziehung.
Während es in romantischen Beziehungen relativ schnell zur Sache geht, sowohl buchstäblich als auch im übertragenen Sinn, bauen Freundschaften keinen Druck auf. Seinem*r Partner*in gegenüber hat man sofort Erwartungen und fühlt sich für den*die andere*n verantwortlich. Man leitet verhältnismäßig schnell große Schritte ein, sucht eine gemeinsame Wohnung oder redet über Zukunftsvorstellungen. Ganz anders als bei Freundschaften. Freundschaften passieren einfach, ohne dass man zu hohe Erwartungen an sie stellt. Man findet einen Menschen, mit dem man auf höchstem Level harmoniert und lässt ihn in sein Leben. Nichts hängt davon ab, weshalb es leichter ist, sich zu öffnen und auch die dunklen Seiten zu zeigen. Freund*innen verurteilen nicht, sie verstehen.

In dem Buch „Freundinnen, die andere große Liebe –  nur besser“ beschreibt Corinne Luca wie auch Freundschaften zu verbindlichen Beziehungen wachsen können. Dass sie am Anfang zwar auf nichts als Freiwilligkeit beruhen, mit der Zeit aber fester und beständiger werden, sodass eine selbstauferlegte Verantwortung für die andere Person entsteht. Luca beschreibt ihre Beziehungen im Leben als einen dreibeinigen Hocker, bestehend aus Partnerschaft, Familie und Freundschaft. Es braucht immer mal wieder neue Balance, um das Gleichgewicht zu halten und natürlich steckt Arbeit dahinter. Aber so ist es ihr gelungen, eine zweite große Liebe im Leben zu haben  – ihre beste Freundin.

Stichwort Verbindlichkeit

Uns vier hat das Fehlen von etwas Handfestem gestört, weshalb wir unsere eigene Form von Verbindlichkeit geschaffen haben  – ein Tattoo. Nichts Auffälliges, nur vier kleine Punkte an meinem rechten Knöchel, jeden für eine von uns. Oft werde ich dafür belächelt: „Ein Freundschaftstattoo, wie naiv.“ Aber für uns sind diese vier Punkte unsere Form zu sagen: Wir sind uns wichtig. Wir gehören zusammen.

Dieses Fehlen einer Form des „für immer“ ist meiner Meinung nach nämlich das eigentliche Problem. Denn ein Freund kann von heute auf morgen aus deinem Leben verschwinden, ohne dass es nach außen hin einen Unterschied macht. Weil „nur“ eine innere Verbindung besteht, nichts Handfestes. Das muss sich ändern. Denn wer sagt, dass man nicht mit seiner besten Freundin ein Haus kaufen und ein Kind großziehen kann? Sie nicht bei wichtigen Entscheidungen mitbestimmen lassen und zur Paartherapie schleppen kann, wenn es doch mal Unstimmigkeiten gibt?

Ich möchte keine Enthaltsamkeit predigen. Es geht hier nicht um ein entweder oder. Das ist kein Bashing romantischer Beziehungen und kein Versprechen, dass alles im Leben toll läuft, sobald man sein Leben der besten Freundin widmet. Aber Freundschaftsbeziehungen sollten auf einer Augenhöhe mit herkömmlichen Beziehungen stehen.

Zwei Freundinnen aus Kanada haben einen riesigen Schritt in diese Richtung gemacht. Sie sind die Eltern eines kleinen Sohnes und erziehen ihn gemeinsam. Co-Parenting wird es genannt, wenn zwei Menschen die nicht in einer klassischen Mutter-Vater-Kind Beziehung zueinanderstehen, ein Kind gemeinsam großziehen. Auch wenn sich von Anfang an beide als Mütter fühlen, war lange Zeit nur eine der Freundinnen auch vor dem Gesetz die Mutter, da sie ihren Sohn auf die Welt gebracht hat. Das wollten die beiden ändern. Sie haben damit einen Präzedenzfall geschaffen und vor dem kanadischen Gericht erreicht, dass beide offiziell eingetragene Mütter auf der Geburtsurkunde sind. Auch in Deutschland findet sich diese Familienform langsam ein, gesetzlich ist es aber noch schwierig. Das muss sich ändern.

Jede*r sollte für sich selbst entscheiden können, wen er oder sie in seinen Lebensmittelpunkt stellt. Nur muss für alle auch eine Möglichkeit geschaffen werden, das verbindlich zu tun. Lasst uns Freundschaften offiziell eintragen und sie so groß feiern wie Hochzeiten! Damit es keine mitleidigen Blicke mehr für Singles gibt, die für den Moment die Erfüllung in Freundschaften finden. Liebe sollte – egal in welcher Form sie auftritt – immer den gleichen Wert haben.