„Anstelle von materiellen Ansprüchen treten Sinnfragen und der Wunsch nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund.“
Die Qual der Berufswahl
Am Ende des Psychologie-Studiums musste Sarah sich entscheiden: Therapeutin, Wissenschaftlerin oder doch lieber lehren? Es gibt so viele Möglichkeiten, doch nichts fühlt sich so richtig passend an. Sie ist überfordert und steht unter Druck. Verbaut sie sich durch ihre Wahl wichtige Möglichkeiten? Lieber erstmal einen sicheren Weg wählen. Also findet sie sich kurze Zeit später in der Unternehmensberatung wieder. Ist das der Job, den sie wirklich machen will? Keine Ahnung. Aber einfach mal probieren. So viel kann da schon nicht schiefgehen.
Sie begibt sich in eine völlig andere Welt. Die Menschen um sie herum sprechen eine andere Sprache mit Wörtern, die sie nicht versteht. „Hoffentlich finden die nicht heraus, dass ich keine Ahnung habe, was ich hier eigentlich mache“, denkt sie sich. Sie beißt sich durch und arbeitet hart. Die Bezahlung ist gut und die Aufstiegschancen vielversprechend. Doch am Ende der Woche hat Sarah nicht das Gefühl, stolz auf das sein zu können, was sie geleistet hat. Sie steckt viel Zeit und Energie in Projekte, für die sie sich nicht wirklich begeistern kann. Sie stellt auf einmal alles in Frage: Sind Karriere und Geld das wirklich wert? Habe ich die richtige Entscheidung getroffen? Was macht mich im Job überhaupt glücklich? Und dann kommt die Sinnkrise…
Eine Generation im Wandel
So wie Sarah geht es vielen jungen Menschen, die kurz vor der Berufswahl stehen. Laut der Studie "Schule - Und dann?" der Vodafone Stiftung findet jede*r zweite der Befragten die Berufswahl schwierig. Rund 59 Prozent haben keine konkreten Pläne, wie es nach der Schule für sie weitergehen soll. Aber warum tut sich die Generation Z so schwer mit der Wahl?
Generation Z
Die Generation Z, kurz Gen Z, umfasst die Geburtsjahrgänge von 1995 bis 2012. Sie ist geprägt von der Digitalisierung und einem hohen Wohlstandsniveau. Durch eine niedrige Geburtenrate herrscht zunehmender Fachkräftemangel, was Jobsuchenden Freiheit bei der Arbeitgeberwahl verschafft.
Zu viele Auswahlmöglichkeiten
Die erste Hürde auf dem Weg zur Berufsfindung beginnt bei Sarah schon bei der Wahl eines Studienganges. Durch die zunehmende Akademisierung sind viele neue Hochschulen entstanden und dadurch wächst auch die Menge an Studiengängen stetig an. Der Wirtschafts- und Arbeitssoziologe Ronny Ehlen erklärt, es sei durch die vielen Optionen schwierig geworden, sich für etwas zu entscheiden. Gleichzeitig erwarten die Eltern, sich langfristig auf einen bestimmten Karrierepfad festzulegen. Dadurch fühlen sich viele junge Menschen unter Druck gesetzt. Auch Sarah kennt dieses Gefühl gut: „Diese Entscheidung was ich tue und welchen Pfad ich wähle, fühlt sich so definitiv und schwerwiegend an. Man kann irgendwie alles machen und das überfordert total.“
Dieses Phänomen ist in der Kognitionspsychologie auch als Paradox of Choice bekannt. Es besagt, dass zu viele Auswahlmöglichkeiten die Entscheidungsfindung schwierig machen und oft zu Ermüdung und Desinteresse führen.
Die Arbeitswelt im Wandel
Doch nicht nur der Entscheidungsdruck und die Vielfalt an Möglichkeiten erschweren die Wahl des richtigen Berufs. Der Arbeitsmarkt ist seit den 90er Jahren von mehr Freiheit und Flexibilität geprägt. Durch die Digitalisierung verändern sich Tätigkeiten permanent, einige Berufsfelder fallen weg und die Unsicherheit auf dem gesamten Markt wächst. Auch das Gehalt spielt heute eine andere Rolle als zuvor. Zwar sei eine angemessene Bezahlung noch immer ein wichtiger Faktor, jedoch werde die Bezahlung nicht mehr als Entschädigung für verlorene Freizeit gesehen, sondern als Wertschätzung der eigenen Leistung, so Ehlen. Junge Menschen sind nicht mehr bereit, sich für den Job selbst aufzugeben, sondern suchen Arbeit, die sie mit Sinn erfüllt.
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Neue Ansprüche der Generation Z
Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch und neue Ansprüche an die zukünftige Tätigkeit werden laut. Neben Spaß und einem guten Verdienst gewinnt vor allem die Selbstverwirklichung an Bedeutung. Rund 87 Prozent der Schüler*innen gaben an, dass Selbstverwirklichung die wichtigste Rolle bei der Berufswahl spielt. Ronny Ehlen sagt dazu: „Anstelle von materiellen Ansprüchen treten Sinnfragen und der Wunsch nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund." Es gehe darum, das Arbeitsumfeld aktiv mitzugestalten, sich mit dem Beruf zu identifizieren und vor allem seine eigenen Interessen einbringen zu können. Dabei gehen Selbstverwirklichung und Sinn eng miteinander einher. Denn zusätzlich zur persönlichen Verwirklichung ist es für zukünftige Arbeitnehmer*innen wichtig zu verstehen, warum sie etwas tun. Neben der Glaubwürdigkeit des Unternehmens sind auch Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Freiheit wichtige Anforderungen. Seien diese Voraussetzungen erfüllt, werde die Arbeit oft als sinnstiftend und sinnhaft erfahren, erklärt Ehlen.
Auf der Suche nach dem Sinn
Viel Sinn kann Sarah in ihrem Alltag in der Unternehmensberatung nicht sehen. Deswegen entscheidet sie sich gegen die gradlinige Karriere und nimmt sich unbezahlten Urlaub. Sie begibt sich auf die Suche nach sich selbst und fragt sich: Was will ich eigentlich und was ist mein persönlicher Lebenssinn? Dabei probiert sie viele Dinge aus und macht aus ihrer hilflosen Situation ein großes Experiment. Sarah setzt sich mit einem ihrer Professoren zusammen und überlegt, ob sie promovieren soll, sie begleitet Menschen in ihrem Alltag, die sie faszinieren und startet schlussendlich ihren eigenen Podcast, um der Sache inhaltlich auf den Grund zu gehen. In Monday Smiles spricht sie mit Expert*innen über die Frage „Was macht uns wirklich glücklich bei der Arbeit?“. Die Antwort: den eigenen Sinn finden und sich mit den persönlichen Stärken auseinandersetzen. Für sie wird klar: Sie möchte anderen Menschen helfen, sich mit sich selbst zu verbinden. Gemeinsam mit zwei Freundinnen gründet sie das Start-Up whylab, um sich gemeinsam mit den großen Fragen des Lebens zu beschäftigen. Anderen rät Sarah dazu, sich Zeit zu nehmen, viele Dinge einfach mal auszuprobieren und sich immer wieder selbst zu hinterfragen.
Den richtigen Beruf zu finden, ist für junge Menschen sicherlich keine einfache Aufgabe. Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch, persönliche Anforderungen steigen und die Auswahlmöglichkeiten nehmen zu. Doch Sarah meint, jede*r könne frei entscheiden, wie er*sie sich selbst verwirklichen möchte und sich auf die Suche nach dem persönlichen Sinn begeben. Dabei hilft es sich zu fragen: Was kann ich gut? Was erfüllt mich? Und wo kann ich das zum Einsatz bringen?