Generation Grandfluencer
Ich gebe mir Mühe, ein vorbildlicher Enkel zu sein. Immer wenn ich in meiner Heimat Köln bin, verbringe ich Zeit mit meiner Oma. Die gute Frau ist mittlerweile 84 Jahre alt, dafür aber noch ganz gut in Schuss.
Die Technik außer Rand und Band
Seit ein paar Jahren ist sie im (mehr oder weniger) stolzen Besitz eines Smartphones. Ich wusste natürlich schon im Vorhinein, dass die Einführung in die wunderbare Welt der mobilen Endgeräte kein Spaziergang wird. Das Thema Handy ist seitdem ein fester Bestandteil unserer Beziehung zueinander. Ständig gibt es Probleme mit „dem blöden Ding“. Das Internet hat sie bisher noch nicht gelöscht, dafür entfernt sie aber akribisch alle getätigten und empfangenen Anrufe. Nicht, dass der Speicherplatz noch voll wird. Dann ginge ja schließlich gar nichts mehr. Die Zeigefinger-Augen-Koordination klappt bei diesem Vorgang jedoch nur so semi-erfolgreich. Sie vertippt sich dabei regelmäßig und ruft ihre Kontakte erneut an. Zu jeglicher Tages- und Nachtzeit. Ich kann mich also immer darauf verlassen, dass es hin und wieder mal bei mir klingelt. Ach ja die Technik.
Sie behauptet zwar, die Anrufe seien „aus Versehen“, dafür sind sie überraschend regelmäßig. Aber ich kann es ihr auch nicht verübeln. Sie ist ziemlich einsam. Ihre grundsätzliche Lebenseinstellung: Wir jungen Menschen haben immer „so viel zu tun“ und deswegen hätte ich für sie sowieso keine Zeit mehr. Sie hingegen sitzt den ganzen Tag zu Hause und starrt Löcher in die Luft. Ergo: Ihr ist langweilig.
Langeweile war einmal
Ich wollte sie ein bisschen aufmuntern und ein paar hilfreiche Tipps gegen Langeweile präsentieren. Also was machen denn „wir jungen Menschen,“ wenn uns langweilig ist? Naja, wir lassen Langeweile erst gar nicht aufkommen. Wenn nicht gerade in der Uni oder mit Freunden, dann verbringen viele von uns ihre Zeit vor den Bildschirmen. Instagram, YouTube, TikTok und Co. heißen die Bekämpfer der klassischen Langeweile. Mit dem endlosen Scrollen haben wir immer etwas, mit dem wir uns beschäftigen können.
Grandfluencer*innen – die Zukunft des Internets?!
Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Was wenn die Generation unsere Großeltern auch ihren Weg auf die beliebten Plattformen findet? Langeweile war gestern, Social Media ist der neue Shit. Ein Phänomen, das sich dann durch alle Generationen zieht. Influencer, Momfluencer und ganz neu mit dabei: die Grandfluencer. Die Welt der sozialen Netzwerke wäre nicht mehr die Gleiche. Die Feeds sind bestückt mit Reviews des neuen Thermomix, beim "Outfit of the day"-Check steht die neue Brax Jeans Kollektion im Vordergrund und die Top 5 Empfehlungen der Woche reichen von Kreuzworträtseln bis hin zu Gesundheitsschuhen. Statt wöchentlich zum Aquafit Kurs zu gehen, gibt es Slow-Mo Aerobic Home Workouts mit den Stars der Szene Gisela Reif und Bernhard Huber. Das neueste Maggi-Fix Rezept ist der Renner auf TikTok. Sehr beliebt sind mit Sicherheit auch Mukbang und ASMR-Videos vom wöchentlichen Kuchentreff. Geflext wird auf der Straße selbstverständlich mit dem neuesten Rollator und zu später Stunde auf der Senioren Fete wird gut und gerne auch mal ein fetziger Kirchenchor Beat aufgelegt.
Probier´s mal mit Ruhe und Gemütlichkeit
Wäre das nicht toll? Die Alten sind beschäftigt, können sich untereinander connecten und sprühen nur so vor Endorphinen und Dopamin. Vielleicht wäre die große weite Welt des Internets mit der Lebenserfahrung der Silberköpfe ein besserer Ort. Inspirierende Weisheiten statt unsinnigen Trends. Gelassenheit und Ruhe statt andauerndem Hate und aufgeregtem Beef in den Kommentaren. Dankbarkeit und Gemeinschaft statt Beschwerde und Lästerei. Alles in allem einfach mehr Besonnenheit, anstatt den Blick auf all das Schlechte zu richten. Wer weiß, vielleicht ist genau das ja unsere zukünftige Mission im letzten Lebensabschnitt.
Aber bis es soweit ist, freue ich mich auch über die Videos von sprechenden Schlümpfen und ab und zu einen unabsichtlich absichtlichen Anruf meiner Oma.
So viel dazu. Ein hoch auf alle Omas und Opas dieser Welt!
Eine weitere Folge meiner Kolumne "BrainStorm" findet ihr hier.