Das ist krank: Zwei-K(l)assen-System
Wer kennt es nicht: Die erste Frage am Telefon für eine Terminvergabe in einer Arztpraxis ist die nach der Versicherung. Davon hängt ab, ob der entsprechende Termin in drei Tagen oder in drei Wochen stattfinden kann und von welchen Ärzt*innen man behandelt werden kann. Kassenpatient*innen sitzen elf Minuten länger im Wartezimmer als Privatversicherte, wie die KBV-Versichertenbefragung berichtete. Manche Praxen haben sogar eine extra Zimmerverteilung, wobei Privatpatient*innen etwa 70 Prozent der Räume zustehen und somit schneller drankommen können. Als Kassenpatient*in fühlt man sich da wie ein Mensch zweiter Klasse.
Dafür, dass Deutschland sich als einen Sozialstaat bezeichnet, ist das deutsche Gesundheitssystem extrem unsozial. Denn die Unterschiede der Behandlung von Kassenpatient*innen und Privatversicherten sind enorm. Seit der Einführung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2007 ist jede*r Bürger*in mit einem Wohnsitz in Deutschland versichert. Die Versicherungen finanzieren sich über die Beiträge der Mitglieder sowie über staatliche Hilfsmittel. Die Beitragshöhe ist dabei abhängig vom Einkommen. So soll gewährleistet werden, dass jede*r medizinische Hilfe unabhängig vom Einkommen erhält, wenn sie benötigt wird. Klar, dass da die Wohlhabenden sofort aufschreien: Sie sollen schließlich mehr zahlen. Empathie und soziales Handeln ist immer nur so lang in Ordnung, wie es auch selbst Vorteile bringt, bis es in die eigene Tasche geht. Dann ist Schluss mit lustig. Natürlich sind private Versicherungen deutlich teurer als die gesetzlichen, allerdings erkauft man sich damit auch bessere, schnellere, privilegierte Behandlungen. Man sollte meinen, dass bei so einem unfairen Konzept irgendjemand einschreiten würde.
Aber natürlich – diejenigen, die in so einer Position sind, sind alle selbst privatversichert. Schließlich sind Beamt*innen unabhängig vom Einkommen immer privatversichert. Und wer würde schon die eigenen Vorteile für Gerechtigkeit opfern? Richtig, die wenigsten. Stattdessen werden Berichte veröffentlicht, in denen groß das tolle Konzept des deutschen Gesundheitssystems gelobt wird und verkündet wird, wie viel Geld der Staat doch in die gesundheitliche Versorgung aller Bürger*innen steckt. Schaut man sich die Zahlen jedoch genauer an und stellt sie in Relation zueinander, sieht man schnell die traurige Realität. Im Erklärungsheft der Bundesregierung zu unserem Gesundheitssystem etwa wird man von hohen Zahlen nur so erschlagen: 1.900 Krankenhäuser in Deutschland, 150.000 Ärzt*innen, 28.000 Psychotherapeut*innen, 391 Milliarden ausgegebener Euros, so die Zahlen von 2018. Dass 28.000 Therapeut*innen bei über einer Million aufgrund psychischer Beschwerden stationär eingelieferter Patient*innen halt trotzdem nicht genug ist, wird hier mal gepflegt ignoriert.
Zu wenig Fachkräfte
Der offensichtliche Ärzt*innen- und Pflegekräftemangel verstärkt die Spaltung der Privat- und Kassenpatient*innen zusätzlich. Kaum ein*e Hausarzt/-ärztin nimmt Neupatient*innen auf, erst recht keine jungen Kassenpatient*innen. Kommt man nun in die Situation, dass man tatsächlich dringend medizinische Hilfe braucht, ist die einzige Option die Notaufnahme im Krankenhaus, wo man sich erstmal von einer miesgelaunten medizinischen Fachkraft anhören darf, dass man doch gefälligst mit irgendwelchen Symptomen erst zum*r Hausarzt/-ärztin sollte und nicht in das schon überladene Krankenhaus. Zwar verständlich, bedenkt man, dass die Kräfte dort sowieso überarbeitet und unterbezahlt sind. Die Frustration steigt aber, wenn man nach etwa acht Stunden mit einem Arztbrief für den*die nicht-existente*n Hausarzt/-ärztin aus dem Krankenhaus tritt und der Bitte, man solle sich „so schnell wie möglich“ um eine Überweisung kümmern.
Noch kritischer ist die Situation bei Therapieplätzen für psychische Probleme. Die meisten Kliniken, die sich auf psychische Störungen spezialisieren nehmen schon nur Privatpatient*innen oder Selbstzahler*innen. Es kommt schließlich hinzu, dass psychische Behandlungen nur sehr schwer bei gesetzlichen Krankenkassen abrechenbar sind. Scheinbar ist die Behandlung psychischer Beschwerden so ein Privileg, das man sich nur mit der privaten Versicherung erkaufen kann.