„Die unterschiedlichen Formen können ihre Wirkung erst entfalten, wenn die Bedeutung bekannt ist.“
Gendern - aber wie?
Auf den ersten Blick könnte es unterschiedlicher kaum sein: Die beiden größten deutschen Nachrichtensendungen nutzen auf ihren Social-Media-Kanälen verschiedene Gender-Schreibweisen. So bedient sich die Tagesschau dem Doppelpunkt. Dagegen nutzen die ZDF-heute Nachrichten den Genderstern.
Neben dem bekannten Genderstern und dem Doppelpunkt gibt es mittlerweile eine Vielfalt an Schreibweisen: Der Unterstrich, das Binnen-I oder der Schrägstrich. Überall wird anders gegendert. Verwirrender scheint es kaum zu gehen. Hat es die gendersensible Sprache im gesellschaftlichen Diskurs sowieso schon nicht leicht, macht sie sich es durch eine Bandbreite an Formen selbst schwer, könnte man meinen. Doch dem ist nicht so – denn diese Vielfalt hat einen Sinn.
Sprache ist lebendig
„Wir haben häufig mehrere Begriffe, die nebeneinander existieren, bis einer davon irgendwann dominant wird“, erklärt Anatol Stefanowitsch, Sprachwissenschaftler an der FU Berlin. Und das leuchtet ein. Wer sagt heute zu einem Smartphone noch Funk- oder Mobilfunktelefon? Sprache ist nie starr, sondern entwickelt sich laufend weiter. Es ist die Gemeinschaft, die durch das Nutzen der Sprache von selbst entscheidet, welche Worte oder Formern sich etablieren. Das Gendern steckt hier noch in den Kinderschuhen.
Doch welche Gender-Schreibweise ist denn nun die Richtige? Die Antwort ist einfach: Es gibt sie nicht. Jede Form hat eine etwas andere Bedeutung und setzt eigene Schwerpunkte. Ihr Hintergrund und die Intention, mit der die jeweilige Schreibweise geschaffen wurde, hilft uns ihre Bedeutung zu verstehen.
Mit dem in der Frauenbewegung verankertem Binnen-I lassen sich das männliche und weibliche Geschlecht in der Sprache zum Ausdruck bringen. Der Genderstern steht zusätzlich für nicht-binäre Personen und bezieht alle mit ein. Gleiches gilt für den Unterstrich, wobei dieser stärker in der queeren Community verwurzelt ist. Beim Doppelpunkt wird besonderer Wert auf Inklusion gelegt, da er besser von Screenreadern blinder Menschen erfasst werden kann. Die Entscheidung, welche Form man nun nutzen möchte, ist individuell und hängt von den eigenen Werten und der Situation ab. „Die unterschiedlichen Formen können ihr Wirkung erst entfalten, wenn die Bedeutung bekannt ist“, betont Stefanowitsch.
Schülys und Studys: Das geschlechtslose Y
Eine weitere Variante hat Thomas Kronschläger erst vor kurzem in die Diskussion eingebracht. Der Germanist und Didaktiker der TU Braunschweig ist überzeugt vom sogenannten „geschlechtslosen Y“ oder „Entgendern“. Aus der*die Student*in wird dabei die neutrale Form das Study. Im Plural wird aus die Student*innen einfach Studys. Beim Entgendern werden die Worte geschlechtsneutral, wobei das Neutrum als schon bestehende Struktur im Sprachsystem verwendet wird. Deshalb ist diese Form, vor allem in der Aussprache, sehr intuitiv.
Vieles spricht für Vielfalt
Die hier genannten Schreibweisen sind vielleicht nur die Spitze des Eisberges. Wer sagt denn, dass wir schon alle Formen kennen? Es könnte noch viele weitere Vorschläge und Entwicklungen der gendersensiblen Sprache geben, auf die wir gespannt sein können. Dadurch, dass wir uns damit beschäftigen, bleibt die Diskussion lebendig. Und diese hat einen entscheidenden Effekt: Frauen und nicht-binäre Menschen werden in der Sprache sichtbar gemacht. Am Ende geht es genau darum: Jeder Mensch soll angesprochen werden.
Die unterschiedlichen Gender-Schreibweisen, wie sie die Tagesschau oder die ZDF-heute Nachrichten verwenden, sollten uns also nicht verwirren. Vielmehr sind sie ein Zeichen der Vielfalt – einer wichtigen Vielfalt, die es schon immer in der Sprache gab und geben wird.