Vom Warmduscher zum Teufelskerl
Eigentlich halte ich nichts von diesen „Selbstoptimierungsprogrammen“. Ehrlich gesagt gehen mir die Möchtegern-Lifecoaches sogar gehörig auf den Sack! Brad Pitt hat es schon vor 20 Jahren in „Fight Club“ auf den Punkt gebracht: „Selbstverbesserung ist Masturbation.“ Komisch nur, dass er sich gleichzeitig einen Adoniskörper für diese Rolle antrainieren musste, für den er laut dem Männermagazin „GQ“ sechsmal die Woche trainiert hat. Wenn sich also selbst ein Brad Pitt alias „Tyler Durden“, dessen Philosophie lautet, nicht perfekt sein zu müssen, einen perfekten Körper im Fitnessstudio antrainiert, dann kann mir ein bisschen Selbstoptimierung bestimmt auch nicht schaden. Ich habe es also tatsächlich getan. 14 Tage lang eiskalt duschen. Und jetzt, gut zwei Wochen später, bin ich ein anderer. Ich sitze in einem kleinen Wartezimmer und blättere nervös durch die verschiedensten Magazine über Naturheilkunde. Ich will endlich die Vorher-Nachher-Ergebnisse meines Blutbildes sehen. Aber der Reihe nach. Spulen wir 14 Tage zurück.
Der Warmduscher da oben bin ich. In meiner Freizeit spiele ich Fußball beim TSV Plattenhardt. Für mehr hat es nicht gereicht. Außerdem versuche ich meinen Körper nebenher im Fitnessstudio in den von Captain America zu transformieren. Mit mäßigem Erfolg, wie ihr seht. Und in der Uni bin ich auch eher Durchschnitt. Warum ich in allem, was ich tue, so durchschnittlich bin? Weil ich meine Komfortzone nie verlassen habe. Im Fußballtraining laufe ich nicht mehr als nötig, in der Uni ist es für mich schon ein Erfolg, anwesend zu sein und wenn mir im Gym nicht gerade ein hübsches Mädl zulächelt, setze ich die Hantel lieber eine Wiederholung früher als später ab. Aber damit ist jetzt Schluss.
Eine kalte Dusche macht wach und aufmerksam! Die tiefen Atemzüge erhöhen die Sauerstoffaufnahme und die Herzfrequenz. Das sorgt für einen natürlichen Energiekick für den Tag.
Herr Doktor Hartmut Rapp aus Filderstadt wird das Experiment begleiten und mein Blut vor und nach dem Selbstversuch untersuchen. So wissen wir später, ob sich tatsächlich etwas an meinem Körper verändert hat. „Unbändige Willensstärke, fit und aufmerksam in der Uni? Mehr Muskelkraft im Fitnessstudio? Das ist durch kaltes Duschen durchaus möglich“, erklärt er mir. „Eine verbesserte Muskelregeneration löst eine kalte Dusche aber nicht aus. Dafür dringt die Kälte nicht tief genug in die Muskeln vor“. Toll. Aber dann konzentriere ich mich eben auf die ersten beiden Punkte.
Mein Radiowecker klingelt. Es ist 08:15 Uhr. Heute werde ich zum allerersten Mal in meinem Leben den Tag mit einer eiskalten Dusche beginnen. Im Radio läuft Chesney Hawkes mit „The one and only“. Nachdem ich es wage, meinen linken Fuß aus der Bettdecke zu strecken und ihn die kalte Luft innerhalb von Sekunden in einen Eisblock verwandelt, frage ich mich, ob ich dem Experiment überhaupt gewachsen bin. Ich rechne mir aus, dass ich eigentlich noch zehn Minuten liegen bleiben könnte. Der Refrain setzt wieder ein „I am the one and only...“ Scheiße Kevin. Du willst der one and only sein. Also bewege deinen faulen Ar*** aus dem Bett und gehe duschen. Ich schaffe es schließlich ins Bad. Wasser auf eiskalt, Duschbrause in die Hand, und wie es mir Herr Doktor Rapp empfohlen hat, zuerst die Gliedmaßen absprühen. Und los! Ich bewege mich keinen Zentimeter. Die ersten eiskalten Wasserspritzer prallen vom Boden der Dusche auf meine Beine ab. Leck mich am Ar***, ist das kalt! Der Ohrwurm vom Aufstehen meldet sich wieder. Komm jetzt! Wie beim Pflaster abreißen. Die Blockade in meinem Kopf löst sich. Ich brause mir das rechte Bein ab. Mit eiskaltem Wasser. Ich atme schwer. Linker Arm, bis zur Schulter, jetzt die Königsdisziplin: Duschkopf aufhängen und mit dem ganzen Körper drunter. Mir bleibt die Luft weg. Das erste Wort, das ich rauskriege, ist ein lautes „F***!“. Alles in meinem Körper zieht sich zusammen. Wo ist das Shampoo? Mein Herz rast. Ich fühle mich wie Jack Dawson, als er mitten im eiskalten Atlantik treibt und vergeblich versucht nach Luft zu schnappen. Nur, dass ich nicht von Kate Winslet, sondern von meinem eigenen Shampoo genervt werde, welches mir wegen meiner unkoordinierten Bewegungen unter der Eiseskälte in die Augen läuft. Okay, reicht. Ich mache die Dusche aus, schnappe mir mein Handtuch, wickle mich damit ein und bleibe in der Position erst einmal für ein paar Sekunden stehen. Und dann passiert es: Mein ausgekühlter Körper pumpt Blut durch meine Adern, um sich selbst wieder aufzuwärmen. Meine Brust ist durch die minutenlange Kälte so rot geworden als hätte ich einen ekligen Hautausschlag. Aber ich fühle mich richtig gut.
Laut einer Studie der University of California verringerte sich der Testosteronspiegel von Affen nachdem sie regelmäßig erhöhten Temperaturen ausgesetzt wurden. Folglich müsste der Testosteronspiegel eines Warmduschers durch kaltes duschen wieder ansteigen. Mehr Testosteron bedeutet mehr Muskelkraft.
Es ist Tag sechs. Mit jeder kalten Dusche habe ich das Gefühl, ein paar Zentimeter weiter über mich hinauszuwachsen. In der Uni bin ich topfit, beim Sport läuft es super und ich habe keine Probleme morgens aufzustehen. Aber es gibt eine Sache, die sich mit jeder kalten Dusche, die ich nehme, stärker in meine Gedanken brennt: Der Wunsch von heißem Wasser auf meiner Haut. Umso länger ich darüber nachdenke, desto stärker wächst der Drang in mir, eine winzig kleine Ausnahme zu machen. Ich meine, professionelle Bodybuilder haben doch schließlich auch einen „Cheatday“, an dem sie Hühnchen und Reis gegen fettige Burger, Pizza und Pasta eintauschen. Warum sollte ich mir dann nicht heute mal einen Cheatday gönnen und eine heiße Dusche nehmen? Nein! Das ist doch nur mein innerer Schweinehund, der aus mir spricht. Wie damals als ich mit dem Rauchen aufgehört habe und er mir immer wieder gesagt hat: „Na komm, eine Zigarette geht klar“. Damals hat das vielleicht geklappt. Aber nicht heute. Ich fühle mich seit Tagen fantastisch und will dieses Gefühl nicht gegen eine fünfminütige heiße Dusche eintauschen.
Kaltes Duschen verbessert die Durchblutung und wirkt entzündungshemmend!
Es ist der Abend des neunten Tages. Ich schreibe an genau dieser Reportage. Oder besser gesagt tippe ich sie ab. Die Worte fliegen mir einfach zu. Als hätte ich sie schon längst geschrieben. Allein bei der letzten Hausarbeit saß ich Stunden vorm PC, bevor ich überhaupt nur einen Buchstaben zu Papier gebracht hatte. Doch jetzt läuft es einfach. Liegt das nun am täglichen Kälteschock? Oder nur daran, dass mir das Thema mehr zusagt? Das lässt sich wohl erst nach den endgültigen Blutergebnissen sagen.
Eine eisige Dusche stärkt das Immunsystem! Eine niederländische Studie bestätigt, dass es bei den Kaltduschern im Vergleich zu den Warmduschern rund 30 Prozent weniger Krankschreibungen gab. Grund dafür sei die durch den Kältereiz ausgelöste Mobilisation der weißen Blutkörperchen. Diese sind für die Bekämpfung von Bakterien und Viren verantwortlich.
Tag elf. Das kalte Duschen fällt mir immer leichter. Wie ich mich fühle? Besser denn je! Und trotzdem bin ich heute verdammt nervös. Ich werde gleich herausfinden, ob ich durch die letzten Tage eiskaltes Duschen wirklich stärker geworden bin oder nicht. Ich stehe vor der Hantelbank in meinem Fitnessstudio. 75 Kilo, mein Maximalgewicht. Die Aufwärmsätze laufen gut, ich fühle mich stark und bin bereit, Vollgas zu geben. Ich will es jetzt einfach wissen! Ich packe die letzten Gewichtscheiben drauf und zähle nochmal nach. Auf der linken Seite 30 Kilo, auf der rechten Seite 30, plus die Stange, die selbst 20 Kilogramm wiegt. Macht 80 Kilo. Als ich mich auf die Bank lege, höre ich mein eigenes Herz schlagen. Ich ziehe meine Handgelenksbandagen ein letztes Mal enger. Dann greife ich nach der Stange und hebe sie aus der Halterung. Das Gewicht der 80 Kilogramm lastet nun allein auf mir. Ich senke die Stange bis zur Brust. Und jetzt Vollgas: Drück das Ding hoch! Mit all meinem Willen drücke ich die Stange Zentimeter für Zentimeter nach oben. Und ich höre erst damit auf, als ich sie zurück in die Halterung manövriert habe. Geschafft! Ich dachte eigentlich, ich würde aufspringen und jubeln. Aber ich sitze nur da. Stolz darauf, meinen persönlichen Rekord geknackt zu haben.
Ich sitze in einem kleinen Wartezimmer und blättere nervös durch die verschiedensten Magazine über Naturheilkunde. Ich will endlich die Ergebnisse meines Blutbildes sehen. Ich habe mich in den letzten zwei Wochen wohl besser gefühlt als je zuvor. Ich bin morgens superfit aus dem Bett gekommen, habe in der Uni Vollgas gegeben, hochkonzentriert an dieser Reportage gearbeitet, bin im Sport über mich hinausgewachsen und fühle mich so vital wie nie. Soll das jetzt alles nur ein Placeboeffekt gewesen sein? Oder beruht das alles auf wissenschaftlichen Tatsachen? Die Tür zum Büros von Herrn Doktor Rapp öffnet sich: „Da ist er ja, der Teufelskerl!“ Als er mir meine Ergebnisse vozeigt und erklärt, komme ich aus dem Grinsen nicht mehr heraus: Fast zehn Prozent mehr Testosteron, eine erhöhte Anzahl weißer Blutkörperchen, verbesserte Leberwerte, ein niedrigerer Blutzuckerspiegel, verbesserte Fließfähigkeit des Blutes. (Das Gewebe wird besser mit Blut versorgt.) Und vor allem: keine negativen Effekte! "Beeindruckend!", sagt Herr Doktor Rapp. Unglaublich, ich habe es tatsächlich geschafft: Vom Warmduscher zum Teufelskerl!