"Den Dreckstürken holen wir nicht wegen seines scheiß türkischen Nachnamens."
Wie soll ich jetzt noch Fan sein?!
Rassismus ist Alltag. Über diesen Fakt müssen wir uns auch im Jahr 2020 klar sein. Fälle wie der von George Floyd bilden dabei nur die Spitze des Eisberges. Und auch im Sport ist der Kampf gegen Rassismus noch lange nicht gewonnen. Ich habe es selbst erlebt. Ich war da, Anfang des Jahres, beim DFB-Pokal Achtelfinale Schalke gegen Hertha BSC. Vereinzelte Schalker-Dumpfbacken begleiteten jede Aktion des Berliner Verteidigers Torunarigha mit Affenlauten. Zu weit weg, um die Verantwortlichen identifizieren zu können, aber nah genug, um den puren Hass zu spüren, fragte ich mich, warum gegen diese Vollpfosten nicht vorgegangen wird. Ich wurde richtig wütend, da sich die als Schalke Fans verkleideten Rassisten in einem scheinbar rechtsfreien Raum wähnten – wo sie ja irgendwie letztendlich auch waren. Denn niemand tat etwas gegen sie! Weder der Stadionsprecher noch der Schiedsrichter auf dem Feld griffen ein. Dabei hat die FIFA seit 2017 einen klaren Drei-Schritte-Plan bei rassistischen Vorfällen zusammengestellt: Der Schiedsrichter soll das Spiel unterbrechen und den Stadionsprecher zu einer Durchsage auffordern. Hören die rassistischen Vorfälle daraufhin nicht auf, werden die Mannschaften vorerst in die Kabine geschickt. In letzter Instanz wird die Partie abgebrochen. Nichts davon ist passiert.
Nimmt man dieses volle Stadion als Spiegel unserer Gesellschaft, na dann: Gute Nacht! Denn ich sah zu viele Menschen, die wegsahen, während eine kleine Gruppe offenen Fremdenhass praktizierte. Es wird Zeit, dass der Sport klare Kante zeigt und durch harte Strafen offensiv kommuniziert: Euch wollen wir in unseren Stadien nicht haben! Rassismus macht den Sport kaputt. Und jetzt auch meinen FC Bayern.
Rassismus auf dem FC Bayern Campus
Uli Hoeneß, Oliver Kahn, Thomas Müller und viele weitere Ikonen des FC Bayern Münchens posieren in einem Youtube-Video für ihre Aktion „Rot gegen Rassismus“. Sie setzen ein Zeichen gegen Ausgrenzung, Beleidigung und Intoleranz. Heute, keine 6 Monate später, sieht sich der Club in einen Rassismus Skandal verwickelt.
Nachdem Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge im November 2019 noch beteuert, „für Rassismus darf im Fußball kein Spielraum sein […], wir stehen als weltoffener Verein für Toleranz und Vielfalt, gegen Homophobie und Ausgrenzung“, gab es mindestens einen leitenden Mitarbeiter des Vereins, der diese Werte mit Füßen trat.
Ein Jugendtrainer des Nachwuchsleistungszentrums äußerte sich dort über Jahre hinweg offen rassistisch und homophob. Egal, ob im direkten Umgang mit Jugendspielern, in offiziellen Trainersitzungen oder in der internen WhatsApp-Gruppe der Abteilung. Sätze wie „den Dreckstürken holen wir nicht wegen seines scheiß türkischen Nachnamens“ gehörten zur Tagesordnung. Wurde er von der Vereinsführung in seine Schranken gewiesen? Und damit meine ich: Wurde er per Arschtritt hochkant vor die Tore der Säbener Straße katapultiert? Nein. Im Gegenteil. In der internen WhatsApp-Gruppe der Jugendabteilung wurden seine rassistischen Kommentare von anderen Mitarbeitern noch mit Lach-Smileys abgefeiert. Er stieg sogar weiter auf und machte Karriere. Erst als der Skandal von „Sport Inside“ aufgedeckt wird, werden Konsequenzen gezogen. Der Mitarbeiter wird entlassen. Viel zu spät – ein riesen Imageschaden für den FC Bayern.
Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen? Mir kann doch niemand erzählen, dass dieses Verhalten von der Vereinsführung über Jahre hinweg unentdeckt blieb. Wusste Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge womöglich von den rassistischen Schwingungen im Verein? Ich erinnere mich an eine Äußerung, die Rummenigge vor einigen Wochen im Zuge der anstehenden Vertragsverlängerung mit David Alaba getroffen hat: „David ist für mich sowas wie der schwarze Franz Beckenbauer“, sagte er in einem Sky Interview und führte weiter aus, „in Zeiten von ´Black Lives Matter´ hat er die Chance, auch durch seine Hautfarbe eine besondere Rolle einzunehmen“. Im Jahr 2020 die Qualität eines Spielers mit dessen Hautfarbe in Verbindung zu bringen, finde ich schon ziemlich fragwürdig. Das Ding ist: Unterstelle ich Rummenigge, ein Rassist zu sein? Nein, auf keinen Fall. Aber das macht es eigentlich noch schlimmer. Das ist nämlich genau der Alltagsrassismus, mit dem sich Millionen von Menschen tagtäglich konfrontiert sehen. Und den viele einfach so als gegeben erachten und hinnehmen. Vielleicht dachten so ja auch die Mitarbeiter, die über die rassistischen Äußerungen des Münchner Jugendtrainers hinwegsahen. Nach dem Motto: „Oh, da ist er etwas übers Ziel hinausgeschossen. Hat er sicher nicht so gemeint.“ Finden solche rassistischen Äußerungen in der Kreisliga B statt, wo sich irgendwelche 75-jährigen Hinterwäldler nicht zu benehmen wissen und von außen Stimmung machen, um etwas Action in ihr sonst so tristes Leben zu bringen, ist das schon schlimm genug. Dagegen muss auch im Amateurbereich viel härter vorgegangen werden. Aber passiert sowas bei einem der größten Vereine der Welt, dann stellt sich mir die Frage, ob da nicht vielleicht die gleichen Hinterwäldler wie in der Kreisliga B am Steuer sitzen.
Will ich jetzt noch Bayern Fan sein?
Mir als Bayern Sympathisant fällt es nun ehrlich gesagt ziemlich schwer, mich weiterhin mit dem Club identifizieren zu können. Bevor mir niemand ausführlich erklären kann, wieso ein Rassist über mehrere Jahre ungerügt sein Unwesen in der Jugendabteilung des FC Bayern treiben konnte, kann ich diesem Verein keine Sympathien mehr entgegenbringen.
Plötzlich erscheint mir auch das ach so emotionale Anti Rassismus Video #RotgegenRassismus wie ein schlechter Scherz. Zumal sich der Erfolg des Vereins zu einem großen Teil auf die Qualität ausländischer Spieler zurückführen lässt. Schaut man sich die Startaufstellung im jüngst gewonnenen Championsleague Finale gegen Paris an, findet man fünf ausländische Spieler. Sechs Bayern waren dunkelhäutig. Und wer schießt das entscheidende Siegtor? Kingsley Coman: ein schwarzer Franzose. Geil!
War ich selbst rassistisch?
Wer über Themen wie Fremdenhass im Sport schreibt und Karl-Heinz Rummenigge Alltagsrassismus vorwirft, der muss sich auch an die eigene Nase fassen. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob mein Handeln nun rassistisch war oder nicht. Ich bin zu folgendem Entschluss gekommen: Ja, war es.
In einem Vorbereitungsspiel meines Dorfclubs wurden wir von einem schwarzen Schiedsrichter gepfiffen. Nachdem er sich eine krasse Fehlentscheidung leistete und ich bereits drauf und dran war, ihn anzupflaumen, ob er denn heute früh vergessen habe, seine Kontaktlinsen einzusetzen, hielt ich mich zurück und fraß den Frust in mich hinein. Und ich glaube, ich tat das aufgrund seiner Hautfarbe. Nachdem #blacklivesmatter wochenlang durch die Medien ging, hielt mich irgendetwas in mir davon ab, diesem Mann die Meinung zu geigen. Nun mag man sagen, „ist doch schön, dass ich meine Wut in Zaum halten konnte“. Aber nein. Ich habe ihn aufgrund seiner Hautfarbe anders behandelt als ich einen Weißen behandelt hätte. Und das ist nichts anderes als Rassismus. Ich habe mich anschließend im Netz schlau gemacht und bin auf den Begriff „Affirmative Action“ oder zu deutsch „positive Diskriminierung“ gestoßen. Wenn man also eine Minderheit gezielt bevorzugt. Aber wie man es dreht und wendet: Am Ende bleibt es Diskriminierung. Und es tut mir leid.
Was tun gegen Rassimus im Sport?
Wir alle können etwas gegen Fremdenhass im Sport unternehmen. Zum Beispiel rassistische Parolen im Fanblock mit dem Smartphone aufzeichnen und an die Polizei weitergeben. Auch die Vereine, deren Mitglieder, die Spieler, der DFB, die Sponsoren und alle, die in der Welt des Sports ihre Finger im Spiel haben, müssen sich kritisch hinterfragen. Tun wir wirklich alle genug, um gegen Rassismus zu kämpfen? Denn PR-Kampagnen mit Stars und kreative Videoclips von Vereinen sind zwar wichtig und sinnvoll. Aber reicht das? Ich finde, hier müssen die Verbände und deren Sportgerichte endlich härtere Strafen aussprechen. Wir brauchen starke Zeichen gegen Diskriminierung! Rassismus ist ein No-Go und muss mit entsprechend harten Strafen subventioniert werden. Hier müssen die Vereine stärker in die Pflicht genommen werden. Strafzahlungen bei rassistischen Ausfällen der eigenen Fans müssen abschreckend genug sein, damit man sich intensiv mit der Bekämpfung von Rassismus auf den Rängen auseinandersetzt. Denn eine Strafe von 50.000 Euro, die der DFB dem FC Schalke nach den Affenrufen der eigenen Anhänger gegen den Berliner Torunarigha auferlegt hat, ist selbst für den wirtschaftlich am Boden liegenden FC Schalke 04 nur ein Taschengeld.
Paul Pogba, Landsmann des Championsleaguehelden Kingsley Coman, hat es vor kurzem auf den Punkt gebracht: „Ich bin Internationaler!“ Auch ich sehe mich nicht als Deutscher, auch nicht als Europäer, sondern als Internationaler. Wir sind eins. Und vor allem im Sport, der Zusammenhalt und Teamgeist propagiert, sollten diese Werte auch gelebt und mit aller Macht verteidigt werden. Wenn der FC Bayern München bereit ist, diesen Weg zu gehen und die faulen Äpfel hinter seinen Toren aussortiert, dann kann ich vielleicht auch wieder Bayern Fan sein.