Unsere Gesundheit auf digitaler Reise
„Im Durchschnitt verbringe ich täglich eine Stunde mit administrativen Aufgaben“, betont der Orthopäde Dr. Christoph Hauschild. Damit ist er nicht allein – Verwaltungsaufgaben sind im medizinischen Alltag weit verbreitet und rauben wertvolle Zeit. Eine umfassende Digitalisierung des Gesundheitssystems könnte Abhilfe schaffen und den Ärzt*innen ermöglichen, sich wieder auf das Wesentliche zu fokussieren: die Patient*innen. Um die Digitalisierung voranzutreiben hat das Bundesgesundheitsministerium die deutsche Digitalisierungsstrategie entwickelt. Sie stellt eine Leitlinie dar, die aufzeigt, wie digitale Prozesse innerhalb des Gesundheitssystems in den nächsten Jahren ausgebaut werden sollen. Zwei konkrete Gesetzesentwürfe, das Digitalgesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz, folgen dieser Strategie. Mit dem Digitalgesetz kommen digitale Lösungen in die Arztpraxen, die den Behandlungsalltag erleichtern, wie zum Beispiel die elektronische Patientenakte oder das E-Rezept. Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz ermöglicht Forschungseinrichtungen einen einfacheren Zugang zu relevanten Gesundheitsdaten. Damit können schneller neue medizinische Erkenntnisse zur Bekämpfung von Krankheiten gewonnen werden.
Digitalisierung – Chance und Risiko
„Die Digitalisierung wird in Zukunft von immer größerer Bedeutung sein und ist im Rahmen der ärztlichen Ausbildung unumgänglich“, erklärt der Orthopäde Christoph Hauschild. Durch digitalisierte Anwendungen können Prozesse für Ärzt*innen und Patient*innen vereinfacht und effizienter gestaltet werden. Beispiele dafür sind die elektronische Gesundheitskarte, digitale Rezepte sowie digitale Medikationsübersichten. Instrumente wie Online-Terminvereinbarungen und medizinische Beratung über digitale Plattformen erleichtern den Zugang der Patient*innen zu Gesundheitsdienstleistungen. Digitale Technologien leisten zudem einen entscheidenden Beitrag im Rahmen der medizinischen Forschung, beispielsweise zur Krebsforschung.
Die 80-jährige Barbara Emmerz hat jedoch Bedenken gegenüber einem digitalen Gesundheitssystem: „Ich habe Angst, dass ich die Zusammenhänge im Internet nicht verstehe und Informationen weitergebe, die ich nicht weitergeben möchte.“ Damit wird auch ein Risiko verstärkter Digitalisierung deutlich: Die Benachteiligung von Patient*innen, die nicht ausreichend technikaffin sind oder nicht über die erforderlichen Geräte verfügen. Auch Datenschutz und Datensicherheit sind kritische Faktoren. Es werden sensible Patientendaten gesammelt und gespeichert. „Die Rechte von Patientinnen und Patienten auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung müssen berücksichtigt werden, denn das sind unveräußerliche Grundrechte“, betont die Pressesprecherin des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI). Es müsse sichergestellt werden, dass Daten transparent und anonym verarbeitet werden. Außerdem sollten Patient*innen die volle Kontrolle über die eigenen Daten haben, erklärt sie weiter.
Die digitale Hausarztpraxis
Ein Unternehmen, das versucht, die Digitalisierung vollständig in sein Konzept zu integrieren, ist das Münchner Start-up Avi Medical. Vlat Lata, Julian Kley und Christoph Baumeister gründeten Anfang 2020 ihr Unternehmen und eröffneten bereits in mehreren deutschen Städten hybride Praxen. Ihr Ziel ist es, Hausarztpraxen zu digitalisieren und zu modernisieren. „Dem Arzt soll geholfen werden, sich wieder auf die Medizin und damit auf seine eigentliche Arbeit zu konzentrieren“, erklärt ein ehemaliger Mitarbeiter von Avi Medical. Digitale Lösungen sollen die ärztliche Arbeit erleichtern und die Patientenerfahrung und -versorgung verbessern. Online Anamnese-Bögen, eine vereinfachte Abrechnung und verschiedene digitale Tools zur Unterstützung bei Behandlungen sind dafür wichtige Hilfsmittel. Mit der Avi Medical App buchen die Patient*innen ihre Termine online und laden sich persönliche Dokumente und Laborbefunde direkt auf das Mobilgerät. Je nach Bedarf können Fragen im Anschluss an die Behandlungen über die Chatfunktion an das Fachpersonal gestellt werden. Digitalisierte Prozesse sollen Wartezeiten reduzieren und den Zugang zu den eigenen medizinischen Informationen erleichtern.
Die Expert*innen sind sich einig: Das Gesundheitssystem muss digitaler werden. So könnten Ärzt*innen wie Christoph Hauschild mehr Zeit mit Behandlungen statt mit Verwaltung verbringen. Man müsse aber auch die Risiken erkennen und ihnen entgegenwirken, verdeutlicht die Pressesprecherin des BfDI. Die Herausforderung besteht nun darin, eine Balance zwischen technologischem Fortschritt und Privatsphäre zu finden.