„Was auch eine Herausforderung war, war so viel nachempfinden zu können und gleichzeitig Distanz zu wahren."
„Unsere Branche kann sehr sexistisch sein“
Pia Stendera hat als freie Journalistin unter anderem für die taz und jetzt.de gearbeitet. Ihr Fokus liegt dabei besonders auf den Themen Gesellschaft, Soziale Ungleichheit und Migration.
Auch Lena von Holt arbeitet als freie Journalistin – sie schrieb bereits für die Zeit, the Guardian und Deutschlandfunk.
In ihrem investigativen Podcast „Boys Club – Macht und Missbrauch bei Axel Springer" sprechen Pia und Lena unter anderem mit Betroffenen des Machtmissbrauchs und legen das System „BILD" frei. Insgesamt arbeiteten die Journalistinnen rund eineinhalb Jahre lang am Podcast, allein die Recherche dauerte mehrere Monate.
Im Zentrum der investigativen Arbeit steht der ehemalige BILD-Chefredakteur Julian Reichelt, der sexuelle Verhältnisse mit viel jüngeren Mitarbeiterinnen gehabt haben soll, die von seiner Macht abhängig waren. Dabei sei, so legt es der Podcast nahe, der Machtmissbrauch von einem ganzen System unterstützt worden: dem sogenannten „Boys Club", Julian Reichelts „Inner Circle".
Im Podcast sagt Pia: „Es ist persönlich, weil es uns betrifft, als junge Frauen, nicht nur in der Medienbranche.“ Ihr selbst seid junge Journalistinnen. Wie sehr hat euch der Fall persönlich mitgenommen?
Pia: Ich glaube, als empathischer Mensch ist man immer berührt von den Geschichten und Menschen, mit denen man zusammenarbeitet. In dem Fall war es besonders, weil die Reflektion der Geschichte eine ganz andere war. Wir haben als junge Frauen auch schon bestimmte gesellschaftliche Dynamiken erlebt und unsere Branche kann sehr sexistisch sein, was wir an diesem Fall wieder sehen konnten.
Lena: Viele Menschen, mit denen wir uns austauschen durften, haben negative Erfahrungen gemacht. Sie haben ihre Erfahrung teilweise schon mal geteilt, sei es jetzt mit Kolleg*innen, Vorgesetzten oder einem Compliance-Zuständigen und sind da eben nicht auf offene Ohren gestoßen. Ihnen wurde teilweise gesagt, dass das, was sie erlebt haben, kein Unrecht ist oder es auf jeden Fall nicht wert ist, das in irgendeiner Form anzukreiden. Als Betroffene, die ihren Mut zusammengenommen hat, um sich Hilfe zu suchen, ist man dann wieder ganz auf sich allein gestellt.
Wie geht man professionell mit solchen sensiblen Themen um?
Pia: Die Menschen haben mutmaßlich Machtmissbrauch erfahren. Das heißt, wir wollten auf keinen Fall, dass ihnen nochmal Macht entzogen wird. Wir sind in die ersten Interviews gegangen und haben gesagt: „Dieses Gespräch findet in einem geschützten Rahmen statt, wir werden nichts daraus verwenden. Es ist nur dafür da, dass wir uns kennenlernen und uns austauschen.“ Das hat dazu geführt, dass es Personen gab, die nach dem ersten oder zweiten Gespräch doch nicht bei dem Podcast mitmachen wollten. Mit mehr Druck hätten wir schneller mehr erreichen können, aber dann hätte es diesen geschützten Raum nicht gegeben.
Lena: Es ist ein ganz schwieriges Abwägungsverhältnis. Einerseits willst du etwas hörbar machen. Auf der anderen Seite will man den Menschen, die mit uns reden, einen sicheren Ort zum Sprechen geben.
Pia: Was auch eine Herausforderung war, war so viel nachempfinden zu können und gleichzeitig Distanz zu wahren. Deshalb war es toll, im Team zu arbeiten. Es war sehr gut, Sachen zu teilen– das Gute und das Schlechte. Das kann ich nur allen Menschen raten, die investigativ arbeiten wollen.
Gab es noch andere Herausforderungen und wie seid ihr damit umgegangen?
Lena: Das, was wir erzählen wollen, ist etwas Systematisches. Im Journalismus ist es ganz oft so, dass wir etwas erzählen, was man nicht so richtig greifen kann. Zum Teil sind das aber gerade die wichtigen Sachen. Man muss sich überlegen, wie man das durch einzelne Erfahrungen greifbar macht.
Was ist für euch investigativer Journalismus?
Pia: Als wir das erste Mal im Studio waren und ich ins Mikro sagen sollte, dass ich investigative Journalistin bin, hatte ich Probleme damit. Man hat das Bild von Geheimdokumenten und irgendwelchen Hinterzimmern. Was am Ende investigativen Journalismus wirklich ausmacht, ist es, sich die Dinge und das System dahinter anzuschauen: Sehr tief reingehen, extrem sauber zu recherchieren und auch gegen Mächtige zu recherchieren. Allein der intensive Austausch mit unserem Anwalt zeigt, dass auch dieses Projekt investigativer Journalismus war.
Hattet ihr bei der Recherche Angst vor rechtlichen oder persönlichen Konsequenzen?
Lena: Es war von Anfang an klar, dass es juristische Konsequenzen geben könnte, die die Veröffentlichung verhindern. Das wäre schwierig für uns gewesen: Wir haben eineinhalb Jahre lang darauf hingearbeitet und das alles wäre dann plötzlich doch nicht hörbar gewesen. Auch auf persönlicher Ebene haben wir uns Sorgen gemacht. Und natürlich haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir uns selbst schützen können. Also ja, die Angst war auf jeden Fall da.
Gab es denn schlussendlich Konsequenzen für euch?
Pia: Nein, bisher gab es keine.
Euer Podcast heißt Macht und Missbrauch, warum nicht Machtmissbrauch?
Pia: Die Lücke zwischen den beiden Wörtern ist wie ein Assoziations-Raum. Die Idee kam ursprünglich nicht von uns. Aber ich finde das ganz charmant, weil wir in dem Podcast versuchen, der Frage „Was ist eigentlich Macht?“ auf den Grund zu gehen. Ich glaube, wir sind schnell beim Machtmissbrauch, so wie bei Julian Reichelt. Aber dieses System, was darunter liegt, verstehen viele nicht. Deshalb muss man noch mal darauf eingehen, was Macht eigentlich ist, wie Machtdynamiken funktionieren und wann diese problematisch werden.
Lena: Wenn wir als Journalist*innen über etwas sprechen, dann ist es wichtig, dass wir nicht nur die Geschichte der potenziellen Opfer erzählen, sondern auch zeigen, inwiefern einzelne Personen sich aus diesen Strukturen befreien können.
„Dieses System, was darunter liegt, verstehen viele nicht."
Warum habt ihr euch dazu entschieden, genau diesen Fall zu recherchieren und als Podcast aufzubereiten?
Pia: Sowohl Lena als auch ich haben viel von dem Fall gehört und die Artikel gelesen. Wir haben schnell gemerkt, dass da noch viele Fragen offen sind. Der ganze Mechanismus dahinter war überhaupt nicht klar. Daher kam die Entscheidung, dass wir das machen wollen. Es war zum einen eine Möglichkeit, die uns gegeben wurde, zum anderen aber auch der Wunsch, besser zu verstehen, was genau da passiert.
In eurem Podcast sagt ihr: „Wenn du zu Axel Springer recherchierst ist es schwer, damit aufzuhören. Egal welchen Stein du hochhebst, du wirst immer etwas finden." Wie frustrierend war diese Erkenntnis und dadurch die Recherche?
Lena: Wahnsinnig frustrierend, weil wir so viel Material hatten. Wir haben immer wieder Sachen eine Folge weitergeschoben, die wir in der derzeitigen Folge nicht unterbringen konnten. Am Ende stand das alles in der letzten Folge und passte da natürlich auch nicht mehr rein. Wir haben noch viele Steine. Allein deswegen waren wir schon frustriert, weil es nicht untergebracht werden konnte. Jetzt sind noch ein paar Steine dazugekommen, weil Menschen den Podcast gehört haben und uns geschrieben haben.
Pia: Ich finde es cool und frustrierend zugleich. Frustrierend während der Recherche, aber jetzt ganz cool, weil es bestätigt, dass die Erzählung des Systems richtig ist. Auch wenn es ein wenig nervig ist, dass wir bestimmte Sachen nicht offenlegen dürfen, können wir uns ziemlich sicher hinter das stellen, was wir veröffentlicht haben. Weil wir eben wissen, dass es noch so viel mehr gibt.
Lena: Ich glaube, man muss immer Entscheidungen treffen, wenn man etwas erzählen möchte.
Was macht für euch das Format Podcast besonders und warum hat es sich angeboten, einen Podcast über das Thema zu machen?
Pia: Eigentlich liegt das bei einem Thema, über das niemand sprechen will, nicht so auf der Hand. Aber das Medium Podcast kann dem Hörer wahnsinnig nah kommen. Denn wie konsumiert man einen Podcast? Man hat die Kopfhörer sehr nah am Ohr und allein durch die Stimme einer Person passiert so viel. Man fängt viel schneller an, sich mit einer Person zu identifizieren, sich reinzudenken oder einzufühlen. Wenn man den Machtmissbrauch und die Gefühle dahinter zeigen will, ist es das beste Medium.
Lena: Es ist zum einen das Sprechen, welches das Ganze nahbarer macht. Zum anderen ist es auch der Platz. Schreib mal einen Artikel, in dem du all diese verschiedenen Aspekte unterbringst. Das geht gar nicht. Beim Podcast bleiben die Leute dran, bekommen immer mehr Aspekte, die dann irgendwann ein Gesamtbild ergeben. Das war auch die Idee dahinter.
Was war euer größtes inhaltliches Learning im Fall Axel Springer?
Lena: Versuche nie, deinen Arbeitgeber deine Familie werden zu lassen.
Dieses Interview fand am 24.05.2023 im Rahmen der edit-Gesprächsreihe „Investigativer Journalismus" online statt. Die Autor*innen haben das Gespräch vorbereitet und moderiert. Zusätzlich hatten die anwesenden Studierenden des Studiengangs Crossmedia-Redaktion/ Public Relations die Möglichkeit, Fragen zu stellen.