Es ist eine juristische Spitzfindigkeit der Ukraine und völkerrechtlich Humbug.
Russlands Ende in der UN?
Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg 1945, gründeten 51 Staaten eine internationale Organisation, die sich diesem Leitgedanken verpflichtet fühlt. Russland spielt als Rechtsnachfolger der Sowjetunion in der UNO als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates eine zentrale Rolle. Seit dem völkerrechtswidrigen Überfall des Landes auf die Ukraine im Februar 2022 werden immer wieder Stimmen laut, die Russland zumindest das Vetorecht in der UNO entziehen wollen. Kann ein Land, das so massiver Völker- und Menschenrechtsverletzungen beschuldigt wird, in einer Friedensorganisation am Schalthebel der Macht sitzen? Um diese Frage zu beantworten, muss man genauer verstehen, wie die UNO funktioniert.
Die UN berufen sich auf bestimmte fundamentale Prinzipien der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, um internationalen Frieden, kollektive Sicherheit, Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung zu wahren. Zusammengefasst werden diese Prinzipien in der Charta der Vereinten Nationen. Die Organisation trifft Entscheidungen in diesen Bereichen in Form von Beschlüssen, den sogenannten Resolutionen. Diese können jedoch nicht als Gesetze verstanden werden, da die UNO keine übergeordnete Weltregierung darstellt.
Momentan gehören den United Nations 193 Staaten an, was fast alle Staaten der Welt beinhaltet. Um so viele Staaten und deren Ansichten unter einen Hut bringen zu können, wurde ein System entwickelt, dass die Organisation in fünf Teilorgane aufteilt.
- Die Generalversammlung: Die Generalversammlung ist das zentrale Beratungsorgan der Organisation und wird auch Vollversammlung genannt. Alle UN-Mitglieder sind Teil der Vollversammlung. Die Generalversammlung muss Empfehlungen des Sicherheitsrates stets bestätigen, um sie in Kraft treten zu lassen.
- Der Sicherheitsrat: Der Sicherheitsrat oder auch Weltsicherheitsrat ist das einzige Organ der UN, dass völkerrechtlich bindende Beschlüsse verfassen kann. Er besteht aus fünf ständigen und zehn nicht-ständigen Mitgliedern, die empfohlene Resolutionen entwerfen. Russland ist hier ständiges Mitglied und ist damit eine Vetomacht.
- Der Generalsekretär: Der Generalsekretär ist der Konflikt-Vermittler und Repräsentant der UN. Derzeitiger Generalsekretär ist Antonio Guterres.
- Der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC): Der ECOSOC kümmert sich hauptsächlich um die Hebung des Lebensstandards in der Welt.
- Der internationale Gerichtshof: Der Internationale Gerichtshof ist das wichtigste Rechtssprechungsorgan der UN. Er entscheidet verbindlich über zwischenstaatliche Streitigkeiten, sofern die betroffenen Staaten sich der Gerichtsbarkeit des IGH unterwerfen. Russland erkennt den IGH nicht an, genauso wie die USA und China.
Der Sicherheitsrat
Eines der wichtigsten Organe der UN, mit der wohl größten Rolle im Russland-Konflikt, ist der Sicherheitsrat. Er verfasst verpflichtende Beschlüsse, die maßgebend für die Konfliklösung und die weiteren Rollen der Ukraine und Russland in den Vereinten Nationen sind.
Die Position des Sicherheitsrat im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist nicht einfach. Viele Regelungen und politische Schritte müssen hier in Betracht gezogen und eingehalten werden. Aber um Russlands derzeitig schwierige Lage im Sicherheitsrat zu verstehen, muss man zunächst auf die Ursache dessen blicken.
Der Russland Konflikt
Am 24. Februar 2022 startete Russland den noch andauernden Krieg mit der Ukraine. Die Invasion wird schon anfangs teils auch innerhalb der UN verachtet und lässt Russland bisher immer weiter in Sanktionen und Missachtung versinken. In der mehrtägigen Vollversammlung Anfang Oktober 2022 stimmen ganze 143 aller Mitgliedsstaaten der Resolution zu, die die Annexion weiterer Gebiete der Ukraine als völkerrechtswiedrig einstuft und für ungültig erklärt. Die Gegenstimme von Russland selbst und die Gesamtsituation lässt die Frage aufkommen, ob Russland in seiner Macht mit dem Veto-Recht im Sicherheitsrat und seiner Position als ständiges Mitglied eingeschränkt werden sollte. Für Russland ist die momentane Position mit dem Veto-Recht ein Freifahrtschein des Selbstschutzes, was vielen UN-Mitgliedern widerstrebt und auch Zweifel an dem System der UN aufkommen lässt.
Gibt es eine Lösung?
Die UNO hat in ihren Grundregelungen festgelegt, wie im Falle von Missachtung der UN-Prinzipien durch ein Land vorgegangen werden kann.
Artikel 6 der UN-Charta besagt, dass ein Mitglied, dass die Grundsätze der Charta schwerwiegend verletzt, auf Empfehlung des Sicherheitsrats durch die Generalversammlung ausgeschlossen werden kann.
Artikel 5 der UN-Charta besagt, dass die Generalversammlung, auf Empfehlung des Sicherheitsrats, einem Mitglied der UN, gegen das vom Sicherheitsrat Vorbeugungs- oder Zwangsmaßnahmen getroffen wurden, Rechte und Vorrechte seiner Mitgliedschaft zeitweilig entziehen kann.
Also prinzipiell sollte, basierend auf diesen Charta-Vorschriften, ein Rauswurf Russlands möglich sein. Der Haken: Russlands Veto-Recht und somit die Verhinderung jeder Empfehlung des Sicherheitsrates, die den eigenen Rauswurf oder die eigene Suspendierung betrifft. Eine grundlegende Änderung der Charta-Veto-Regelung ist systematisch gesehen unwahrscheinlich. Jedoch könnte es zu der Möglichkeit einer Schwächung des russischen Vetos kommen. Im Sicherheitsrat werden Beschlüsse in zwei Kategorien aufgeteilt. „Verfahrensfragen“, wie zum Beispiel Sitzungsabläufe und „sonstige Beschlüsse“, die alles andere beinhalten. Nur bei Verfahrensfragen gilt das Veto-Recht nicht, sondern die Mehrheit gewinnt. Viele stellen jetzt also die Frage, ob es nicht möglich ist, den Rauswurf Russlands als Verfahrensfrage einzustufen und damit die Vetos der großen Fünf zu schwächen.
Die Ukraine nimmt derzeit jedoch einen anderen Angriffspunkt ins Visier. Sie hat der UNO den umstrittenen Antrag gestellt, als ständiges Mitglied anstatt Russland in den Sicherheitsrat aufgenommen zu werden. Die Begründung ist, wie ein ZDF-Artikel erklärt, dass die Charta der Vereinten Nationen eine Vorschrift beinhaltet, die für eine Aufnahme einer Nation in die Gemeinschaft eine Empfehlung durch den Sicherheitsrat und einer folgenden Resolution durch die Generalversammlung vorraussetzt. Die Regelung gilt auch für Nationen, die aus einem bereits bestehenden Mitglied der UN hervorgehen. Ukrainische Vertreter in der UNO bemängeln, dass es bei Russland ein solches Verfahren nie gegeben haben soll. 1991 wurde mit der Auflösung der ehemaligen Sowjetunion Russland als Nachfolger der bestehenden UN-Position bestimmt, ohne den korrekten Aufnahmeprozess durchlaufen zu haben. Sie können damit die Legitimität der russischen Position in der Organisation anzweifeln. Dieser Schritt scheint für viele eine Möglichkeit, Russlands Macht in den Vereinten Nationen deutlich zu mindern. Einige äußern jedoch auch Zweifel, da einige Mitglieder auch der Meinung sind, dass einem Rauswurf Russlands nicht der internationale Frieden zugrunde liegt. Auch der Direktor des Programms über die United Nations an der Columbia University steht den Anschuldigungen der Ukraine kritisch gegenüber. Seiner Meinung nach sei es eine juristische Spitzfindigkeit der Ukraine und völkerrechtlich Humbug.
Insgesamt stehen die Vereinten Nationen hier vor einer schwierigen Situation. Die starke Macht der Veto-Länder lässt das System gegen sich selbst spielen. Russland verstößt gegen sämtliche Grundregeln der UN, kann das durch sein Veto aber frei weiterführen. Auch vermehrte Sanktionen halten das Land nicht einfach auf. Wo ist hier also der Ausweg? Oder gibt es womöglich gar keinen?
Die United Nations sollen als Vermittler fungieren, die so viele Parteien wie möglich, ob verfeindet oder nicht, an einen Tisch bringen. Ein wirtschaftlich und politisch so starkes und wichtiges Land wie Russland aus der Organisation auszuschließen scheint auch nicht wie die perfekte Lösung. Ob die UNO zur Bewältigung des Konfliktes beitragen kann, wird man wohl erst aus dem Rückblick beurteilen können.