Sportjournalismus -(k)ein Traumberuf?

Quelle Elias Bock

Sportjournalismus -(k)ein Traumberuf?

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Daniel Haug ist dort angekommen, wo er als Kind immer sein wollte: Sein Arbeitsplatz sind die Pressetribünen der Fußball-Bundesliga.

Quelle Elias Bock

Daniel Haug ist dort angekommen, wo er als Kind immer sein wollte: Sein Arbeitsplatz sind die Pressetribünen der Fußball-Bundesliga.

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Café statt Weltmeisterschaft: Marko Schumacher war mehr als zwei Jahrzehnte Sportjournalist. Heute betreibt er ein kleines Café in Bad Cannstatt.

Quelle Elias Bock

Café statt Weltmeisterschaft: Marko Schumacher war mehr als zwei Jahrzehnte Sportjournalist. Heute betreibt er ein kleines Café in Bad Cannstatt.

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VfB-Stürmer Nick Woltemade hängt Gladbachs Verteidiger Ko Itakura ab, legt halblinks im Strafraum in den Lauf zu seinem Mitspieler Bruun Larsen. Der Däne will den Ball in den Fünfmeterraum geben, doch Gladbachs Verteidiger Elvedi ist mit seinem Bein dazwischen und kann den Pass unterbinden. Aus Versehen schiebt der Schweizer den Ball jedoch selbst ins eigene Tor. Es ist 16:36 Uhr an einem kalten Samstagnachmittag. Durch das mit 60.000 Fans ausverkaufte Stadion schallt der Song „Bro Hymn“ von Pennywise, die Torhymne des VfB. Kaum jemanden hält es mehr auf den Sitzen. Schals werden geschwungen und Fans klatschen sich ab oder fallen sich gegenseitig um den Hals. Auf der Pressetribüne schreit VfB-Reporter Daniel Haug: „Tor für den VfB!“ Emotional schildert der Radioreporter das zwischenzeitliche 1:1 bei der Bundesligapartie zwischen dem VfB Stuttgart und Borussia Mönchengladbach. Seit 2022 kommentiert Daniel Haug als Fußballkommentator alle Spiele des VfB Stuttgart für den Radiosender „DIE NEUE 107.7“. Als Kind beobachtete er auf der Gegentribüne mit einem Fernglas die Sportjournalisten auf der Pressetribüne – mit dem Ziel, eines Tages dort selbst zu sitzen. Seit knapp drei Jahren lebt der 33-Jährige seinen Kindheitstraum. Die Krönung folgte in der Saison 2024/25, als er Champions-League-Spiele des VfB aus Madrid, Turin, Belgrad und Bratislava kommentierte.
 

VfB-Reporter Daniel Haug kommentiert das zwischenzeitliche 1:1 zwischen dem VfB Stuttgart und Borussia Mönchengladbach. | Quelle: Radio L12 GmbH & Co KG

Wenn Kindheitsträume wahr werden

Zwei Kilometer von der Spielstätte des VfB Stuttgart entfernt ist der Traum Sportjournalismus Geschichte. Hier lebt und arbeitet Marko Schumacher. Früher war der 53-Jährige beruflich viel an der Mercedesstraße unterwegs. Dort befinden sich das Stadion, das Clubzentrum und die Trainingsplätze des VfB. Mittlerweile arbeitet er am Daimlerplatz in Bad Cannstatt. Hier hat er vor knapp drei Jahren das Café Gottlieb eröffnet – ein hippes Café zwischen den vielen Sports-Bars und Fast-Food-Restaurants in Cannstatt. Zuvor war Schumacher 25 Jahre Sportjournalist bei der Stuttgarter Zeitung. Als Redakteur hat er unter anderem von der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien und Hunderten Bundesligaspielen berichtet. Als Kind hat er genauso wie Daniel Haug Fußballspiele nachkommentiert. Doch das Herzblut für den Job ging über die Jahre verloren. Er habe alles erlebt, was er als Sportjournalist immer erleben wollte. Sein Traum sei erfüllt. 

13:55 Uhr. Daniel Haug parkt an der Mercedesstraße. Er ist etwas spät dran. Schuld hat der Stau auf der B14. Haug stellt seinen Rucksack am Tor 3 vor der MHP-Arena ab. Schnell noch eine Instagram-Story aufnehmen und dann geht’s weiter, die Akkreditierung für das Bundesligaspiel zwischen dem VfB Stuttgart und Borussia Mönchengladbach abholen.14:02 Uhr. Daniel Haug ist auf der Pressetribüne angekommen. Routiniert und schnell baut er in der letzten Reihe am Kommentatorenplatz von "Die Neue 107.7" seine Audiotechnik auf. Schnell noch auf dem Notebook die wichtigsten Fakten zum heutigen Spiel checken und dann schon das Headset aufsetzen. Erste Liveeinblendung in die Sendung „VfB Live“ vom regionalen Radiosender "Die Neue 107.7". 14:30 Uhr. Noch eine Stunde bis zum Spielbeginn. Zeit, mit Kollegen zu sprechen und im Presseraum noch schnell eine Brezel zu essen. 

Daniel Haug nahm keinen geradlinigen Weg, um hier arbeiten zu dürfen. Als Kind wächst der gebürtige Stuttgarter ohne Fernseher auf. Nur im Sommer bei großen Sportevents wie der Fußball-Weltmeisterschaft bekommt die Familie Haug von der Tante den Fernseher geliehen. Daniel wird auch deswegen stark von der Bundesligakonferenz im Radio geprägt. Nach einem Schülerpraktikum bei der Vaihinger Kreiszeitung ist seine Begeisterung für den Sportjournalismus endgültig geweckt. Ein Berufsfähigkeitstest in der Realschule ergibt: „Von Abitur und Studium wird abgeraten, wir empfehlen eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann“, erinnert sich Haug. Mit einem Blick auf die Uhr und der Erkenntnis, dass das Spiel gleich beginnt, geht es mit einem Sprint vom Presseraum wieder auf die Pressetribüne der MHP-Arena.

Noch kurz die Startaufstellung checken, dann kann es losgehen. Als Fußballkommentator ist Daniel Haug bei jedem Bundesligaspiel des VfB Stuttgart live im Stadion.

Quelle: Elias Bock

Noch kurz die Startaufstellung checken, dann kann es losgehen. Als Fußballkommentator ist Daniel Haug bei jedem Bundesligaspiel des VfB Stuttgart live im Stadion.

Quelle: Elias Bock

Marko Schumacher begrüßt in seinem Café Gottlieb ein paar Stammgäste. Obwohl es Montag kurz vor zwölf Uhr ist, ist das Café gut besucht. Stimmengewirr der Gäste und das Schäumen von Milch sorgen für den typischen Café-Sound. Eines ist in seinem Berufswechsel gleich geblieben: Er arbeitet immer noch oft am Wochenende, dann, wenn andere frei haben. Cafébetreiber zu werden sei ein spontaner Entschluss gewesen. Eigentlich habe er sich schon damit abgefunden gehabt, bis zur Rente auf seinem Redakteursstuhl im Stuttgarter Pressehaus sitzen zu bleiben. Doch dann sei eines Tages in dem Viertel, in dem er wohnt, ein Laden frei geworden. „Gastronomie hat mir als Student viel Spaß gemacht, und es war immer so ein Hirngespinst von mir, das vielleicht irgendwann selbst zu machen, und dann habe ich es einfach gemacht“, erzählt Schumacher.  Ein Schritt nicht ohne Risiko. Marko Schumacher hat vier Kinder, und die Gastronomie kommt Mitte 2022 gerade aus der Coronakrise. Das Café gibt es jetzt rund zweieinhalb Jahre. Gezweifelt habe er nie, ob es funktioniert. Für solche Vorhaben brauche es einfach so eine naive Euphorie. Die Abfindung bei seinem Ausscheiden von der Stuttgarter Zeitung Anfang 2022 habe natürlich geholfen, aber er wäre, betont Schumacher, auch ohne Abfindung gegangen, weil er innerlich schon gekündigt hatte. Heute müsse er nicht mehr sinnlose Konferenzen absitzen, sondern führe ein viel selbstbestimmteres Leben.

Das Café Gottlieb am Daimlerplatz in Bad Cannstatt – für Marko Schumacher soll es ein Treffpunkt für die Menschen aus dem Viertel sein.

Quelle Gottlieb Café

Das Café Gottlieb am Daimlerplatz in Bad Cannstatt – für Marko Schumacher soll es ein Treffpunkt für die Menschen aus dem Viertel sein.

Quelle Gottlieb Café

15:30 Uhr. Spielbeginn in der MHP-Arena. Auf den Kopfhörern hört Daniel Haug noch den Verkehrsservice, dann wird live zu ihm ins Stadion geschaltet. Pro Halbzeit berichtet er rund 10 Minuten vom Spiel. Das Wetter ist sonnig. Die Temperaturen liegen allerdings nur knapp über null Grad. In der letzten Reihe der Pressetribüne ist es eng. So eng, dass man jedes Wort der „bruddelnden“ Stuttgarter Fans hört. „Bruddeln“ ist schwäbisch und bedeutet gleichzeitig zu schimpfen und zu jammern. Von denen lässt sich Daniel Haug aber nicht ablenken und notiert sich Chancen, wenn er gerade nicht live im Radio kommentiert. Ungeachtet der Berufsempfehlung auf der Realschule wollte der Schüler Daniel Haug in den Sportmedien arbeiten. Bei einer Sporttalk-Veranstaltung fragte er Michael Antwerpes, den damaligen SWR-Sportchef, was er denn machen müsse, um bei SWR-Sport zu arbeiten. Daniel Haug weiß noch genau, was Antwerpes zu ihm gesagt hat. „Mach dein Abi, fang ein Studium an, und im dritten Semester schreibst du mir eine Mail, dass du ein Praktikum bei uns machen willst“. Also machte er das Abitur und entschied sich für ein Lehramtsstudium mit dem Hintergedanken, ein Backup zu haben, falls es mit dem Sportjournalismus nicht klappen sollte. Im dritten Semester erinnerte sich Daniel Haug an die Aussage von Michael Antwerpes und schrieb ihm eine Mail. Es folgte ein Praktikum bei SWR-Sport mit anschließender freier Mitarbeit. Weil es mit einem Volontariat beim SWR nicht klappte, ging's für die journalistische Ausbildung zum TV-Sender RegioTV. Nach dem Volontariat wurde er 2020 mitten in der Coronakrise nicht übernommen. Doch es ergab sich die Möglichkeit, für das junge Medienunternehmen „LIGEN“ erste Gehversuche als Kommentator zu machen. Hier kommentierte Haug nicht die Champions League, sondern Dinge wie Hessenliga oder Regionalliga, konnte sich dafür aber als Fußballkommentator beweisen. Nach zwei Jahren wagte er den Schritt in die Freiberuflichkeit mit dem Schwerpunkt VfB-Reporter für die "DIE NEUE 107.7". 2:1 für Gladbach in der 82. Spielminute. Ein paar Minuten später ist das Spiel zu Ende, gleichzeitig mit den ersten Spielberichten. Laptops werden zugeklappt.

„Ich trinke ein Bier , esse eine Wurst und beleidige den Schiedsrichter, wenn es sein muss“ 

Marko Schumacher

Im Café Gottlieb in Bad Cannstatt ist es noch voller geworden. „Ich bin froh, dass, wenn ich, im Stadion sitze, mir keine Gedanken mehr machen muss, worüber ich am nächsten Tag berichte oder welche Fragen ich in der Pressekonferenz stelle. Ich trinke jetzt ein Bier, esse eine Wurst und beleidige den Schiedsrichter, wenn es sein muss“, so beschreibt Schumacher seine heutige Beziehung zum Fußball. Mittlerweile sei er wieder Fußballfan. Es habe nicht eine Sekunde gegeben, in der er gedacht hätte, wäre er doch nur Sportreporter geblieben. „Ich habe total abgeschlossen damit, auch wenn ich den Job total gern gemacht habe.“ Schumacher denkt an lange Recherchen und lange Dienstreisen zurück. Das sei in den letzten Jahren aber immer weniger geworden. Früher habe es auch Tage gegeben, an denen in der Zeitung mal nichts über den VfB stand. „Heute ist quasi die Direktive, jeden Tag eine Seite VfB und im Internet dann am besten so viele Artikel wie möglich über den VfB. Egal, ob es eine Nachricht gibt oder nicht". Das habe mit dem eigentlichen Sportjournalismus laut Schumacher relativ wenig zu tun. „Das ist kein Vorwurf an die Kollegen, die vor dem Vereinsgelände rumlungern und hoffen, dass ein dunkles Auto vorbeifährt und irgendein Berater drin sitzt und sie wieder irgendeine Schlagzeile machen können.“ Der Druck würde einfach immer größer, so Schumacher.

„Meine Frau arbeitet im Kindergarten mit Kindern mit Beeinträchtigung. Das ist die 20.000-fach wichtigere Arbeit als meine, der da so ein bisschen Spiele kommentiert.“

Daniel Haug

17:40 Uhr. Alles wieder zusammengepackt. Daniel Haug steht in einem Halbkreis mit anderen Reportern und befragt VfB-Sportvorstand Wohlgemuth nach der Niederlage gegen Gladbach. Anschließend schreibt Haug noch einen Spielbericht für die Frauenhandballmannschaft des HB Ludwigsburg. Ein Tag zuvor beim Warten auf den Beginn der Spieltagspressekonferenz vom VfB hatte er noch den passenden Handballvorbericht fertig gemacht.  Ohne diese durchgetaktete Arbeitsaufteilung würde es nicht gehen. Wie ein Regenschauer hört sich das Klicken der Tastaturen während der Pressekonferenz an. Haug arbeitet unter anderem noch für das Fußballmagazin Kicker, MagentaSport und für den SWR. Das alles unter einen Hut zu bringen, sei nicht immer einfach. Wie Marko Schumacher sieht auch er ein paar Entwicklungen im Fußball kritisch – zum Beispiel die extrem hohen Ablösesummen. „Meine Frau arbeitet im Kindergarten mit Kindern mit Beeinträchtigung. Das ist die 20.000-fach wichtigere Arbeit als meine, der da so ein bisschen Spiele kommentiert.“ Seine Begeisterung für den Sportjournalismus will sich Haug aber trotzdem nicht nehmen lassen. Wie es in 15 Jahren aussehe, könne er noch nicht sagen. Sein großes Ziel ist es, irgendwann für die ARD-Radiobundesligakonferenz zu kommentieren.  Im Café Gottlieb ist Marko Schumacher froh, sein Hobby als Fußballfan wiederentdeckt zu haben – eine Leidenschaft, die verloren ging, als sein Hobby 25 Jahre lang sein Beruf war. Vom ersten Zeitungsbericht über ein Kreisligaspiel bis hin zur Champions League: Daniel Haug ist glücklich, dass er statt Aufsätze zu korrigieren seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat. Zwei unterschiedliche Wege, doch ob an der Siebträgermaschine oder auf der Pressetribüne,: beide haben in ihrem Job Erfüllung gefunden.