Eine Nacht auf Streife
Es ist ein trister Sonntagabend im November. Die eisige Kälte und der Regen haben die Stuttgarter Innenstadt leergefegt. Nur zwei einsame Gestalten, komplett in schwarz gekleidet, streifen festen Schrittes durch die Nacht. Im Licht einer Straßenlaterne reflektiert ein Schriftzug: Security. Um die Taille tragen die Männer eine Koppel, an der neben Handschuhen, Schlagstock und Pfefferspray auch Handschellen befestigt sind. Das leise Rauschen ihrer Funkgeräte durchbricht die Stille. Es ist 19.30 Uhr. Julian und sein Kollege sind bereits seit mehreren Stunden auf Streife. Ihr Einsatzbereich umfasst, wie an einem gewöhnlichen Arbeitstag, die Stuttgarter Innenstadt. Doch auch bei Großveranstaltungen wie dem Cannstatter Wasen, Fußballspielen oder Konzerten sind sie regelmäßig tätig. Dabei arbeiten sie eng mit der Polizei zusammen; die Befugnisse sind dennoch verschieden. Private Sicherheitsunternehmen haben, abgesehen von wenigen Ausnahmen, keine Sonderrechte. Sie bewachen und kontrollieren auf Grundlage des Hausrechts und des sogenannten Jedermannsrechts. Dieses Recht erlaubt Bürgerinnen und Bürgern, unter bestimmten Bedingungen einen Täter am Tatort festzuhalten, bis die Polizei eintrifft.
Rund zwanzig Mitarbeiter arbeiten für das private Sicherheitsunternehmen, bei dem Julian angestellt ist. Zu ihren Aufgaben gehören hauptsächlich Interventionsdienste: „Wir gewährleisten die Sicherheit der Allgemeinheit, indem wir vor Ort nach dem Rechten sehen und gegebenenfalls auch deeskalierende Maßnahmen einleiten.“
In die Security-Branche fand Julian, wie viele seiner Kollegen, über den Quereinstieg. Er war Ringer und jobbte gelegentlich als Türsteher, bis er sich schließlich für die dreijährige Ausbildung zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit entschied. Wirtschaftslehre, Rechtskunde und sogar Grundlagen der Psychologie sind unter anderem Ausbildungsschwerpunkte.
Seit 2010 sind im Sicherheitsgewerbe mehr als 50.000 neue Jobs entstanden; derzeit verzeichnet die Bundesagentur für Arbeit mehr als 15.000 offene Stellen. Kaum eine Branche wächst so schnell wie das Sicherheitsgewerbe. Insgesamt werden in Deutschland jährlich mehr als fünf Milliarden Euro für Bewachung ausgegeben. Allein die drei größten Sicherheitsunternehmen Securitas, Kötter und NWSG setzten im Jahr 2016 mehr als 1,4 Milliarden Euro um. Vor allem im Stadtbild tauchen immer mehr Sicherheitsleute auf. Ob an Bahnhöfen oder Flughäfen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, Kaufhäusern oder bei Großveranstaltungen: Wo die Männer in Schwarz mit wachsamen Augen ihre Runden drehen, fühlen sich die Menschen sicherer.
Die zunehmende Bandenkriminalität und der Terrorismus fördern das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen. „In speziellen Schulungen lernen wir, mit den verschiedensten Situationen richtig umzugehen“, sagt Julian. So werde auf verdächtige Personen und unbeaufsichtigtes Gepäck nun verstärkt geachtet. Auch die Flüchtlingskrise hat die Nachfrage seit vergangenem Jahr noch einmal schlagartig erhöht.
Julian und sein Kollege sind sofort alarmiert, als eine Gruppe alkoholisierter Jugendlicher ihren Weg kreuzt, aber die Lage bleibt ruhig. „Die Gewaltbereitschaft ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen“, meint Julian. Auf Streife wurden bereits Messer, abgeschlagene Glasflaschen und eine Junkie-Nadel als Waffen gegen ihn eingesetzt: „Zum Glück sind ernste Verletzungen aber die Ausnahme.“ Viel häufiger als tätliche Angriffe seien verbale Attacken: „Beleidigungen gehören inzwischen zur Tagesordnung. Man braucht ein dickes Fell.“
Die Gefahr tätlich angegriffen zu werden, dazu die Beleidigungen und die niedrigen Löhne im Sicherheitssektor. Geht man da gerne zur Arbeit? Julian schon, denn er hat in seinem Beruf eine Berufung gefunden: „Unser Einsatzbereich ist vielfältig. Langeweile kommt nie auf“, sagt er, während sein Blick umherwandert. Dass Straftaten durch die Präsenz von geschultem Sicherheitsdienst oft verhindert oder reduziert werden, macht ihn stolz: „Deswegen mache ich den Job.“
Kein Berufsfeld ist so klischeebeladen wie das der Security. „Man erwartet einen tätowierten Muskelprotz oder einen ungebildeten Proleten, der seine Fäuste sprechen lässt“, sagt Julian und grinst schief. Er selbst kennt genügend Menschen in der Branche, die diesem Stereotyp keineswegs entsprechen. Wer diesen Job wählt, muss einiges mitbringen: hohe physische und durchaus auch psychische Belastbarkeit, Menschenkenntnis, Professionalität und Autorität.
Julian greift umgehend zu seinem Funkgerät, als eine Meldung eingeht. Eine Prügelei. „Die Pflicht ruft“, verabschiedet sich Julian, während er mit seinem Kollegen schon um die nächste Ecke biegt und in der Stuttgarter Nacht verschwindet.
* Name von der Redaktion geändert