Bundeswehr

Rechts und Ordnung?

03. Dez. 2021
Hitlergrüße, Hakenkreuze, Hassnachrichten: Meldungen von rechtsextremen Vorfällen innerhalb der Bundeswehr gehen immer wieder durch die Medien. Doch wie tiefgreifend ist das Problem? Eine Analyse im Spannungsfeld zwischen Demokratiefeindlichkeit und Generalverdacht.

„So einen untermenschlichen Schund lässt man hier in das Land“, sagt ein Mannschaftssoldat in einem selbst aufgenommenen Video über Geflüchtete. „Mischrassen finde ich nicht gut“, fügt er hinzu. Später wird er das Video in seinem WhatsApp-Status hochladen. Ein Unteroffizier fragt einen Kameraden, ob man in der Neustadt noch „Schwarze jage“ und tut kund: „Alle Juden müssten vergast werden“. Beide Sachverhalte sind in den Jahresberichten der Wehrbeauftragten zu lesen. Sie reihen sich damit ein in eine Reihe weiterer rechtsextremer Vorfälle innerhalb der Bundeswehr.

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Rechtsextreme Vorfälle in der Bundeswehr zwischen 2018 und 2020. | Quelle: Florian Bauer

Ein Blick hinter die Kulissen

Dem Investigativjournalisten Dirk Laabs bereiten all diese Vorfälle Sorge: „Wir haben es mit einem sehr ernsten und strukturellen Problem zu tun, das sich nicht nur auf bestimmte Standorte oder Soldaten unten in der Hierarchie beschränkt, sondern auch Offiziere und die höheren Laufbahnen betrifft“. Laabs hat sich im Zuge der Recherchen zu seinem Buch „Staatsfeinde in Uniform“ jahrelang mit rechten Umtrieben in deutschen Institutionen auseinandergesetzt. Von einer „Schattenarmee“ an Rechtsextremen will er nicht sprechen, betont er doch gleichzeitig: „Wir haben es hier mit Verfassungsfeinden zu tun – mit Faschisten, die sich das Dritte Reich zurückwünschen“. Doch das sei nicht das einzige Problem. Immer wieder hätten Soldat*innen Missstände und rechtsradikales Gedankengut bei den Kolleg*innen geduldet, Laabs spricht von einer „Kultur des Wegschauens“.

„Wir haben es mit einem sehr ernsten und strukturellen Problem zu tun."

Dirk Laabs

Ähnliche Eindrücke schildert auch Florian Pfaff, Major außer Dienst und Sprecher des Bundeswehr-kritischen Verbandes „Darmstädter Signale“. Vor allem aufgrund persönlicher Erfahrungen kritisiert er eine mangelnde Fehlerkultur innerhalb der Bundeswehr. Grund dafür seien die jetzigen Strukturen: „Diejenigen, die diese radikalen, extremen und nicht verfassungsgemäßen Haltungen an den Tag legen sind diejenigen, die die Macht haben und oben sitzen“. Sowohl Laabs als auch Pfaff betonen aber, dass die überwiegende Mehrheit der Soldat*innen in Deutschland auf dem Boden des Grundgesetzes stehe.

"Das rechtsextreme Weltbild ist gekennzeichnet durch Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, völkische Ideologie, Antisemitismus, Geschichtsklitterung, einhergehend mit der Verherrlichung des NS-Regimes und Relativierung bis zur Leugnung des Holocaust, Diffamierung und Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats und seiner Institutionen."

- Bundeszentrale für politische Bildung

Eine Frage der Perspektive

Der Verteidigungsexperte und ehemalige Soldat Marco Seliger hat einen anderen Blick auf die aktuelle Situation. Weder hat er während seiner Zeit als Soldat Erfahrungen mit rechtsextremem Gedankengut in der Bundeswehr gemacht, noch würde er das Problem als strukturell bezeichnen. „Es hat in der deutschen Geschichte keine Armee gegeben, die so tief in die Gesellschaft eingebettet ist, die so wenig anfällig ist für Nationalismen oder noch extremere Richtungen wie die Bundeswehr. Das ist die Ausgangslage und das sollte man sich immer erst vor Augen führen“, gibt Seliger zu Bedenken. Der ehemalige Autor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bewertet die Bundeswehr als „durch und durch demokratisiert und für sich auch durchaus ein Spiegel der Gesellschaft“. Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr würden so viele Mechanismen und so viel Rüstzeug in Sachen Innerer Führung vermittelt bekommen, dass ein strukturelles Problem überhaupt nicht vorliegen könne.

 „Diese Bundeswehr ist durch und durch demokratisiert.“

Marco Seliger

Er kritisiert eher das öffentliche Bild, das in den letzten Jahren über die Bundeswehr entstanden ist: „Als jemand, der bereit ist, für die Bundesrepublik Deutschland sein Leben zu riskieren, muss man zwangsläufig ein besonderes Verhältnis zu seinem Land haben“. Geld alleine reiche da nicht. Er fordert mehr Wertschätzung und fügt hinzu: „Dass Streitkräfte eine gewisse ,Kriegerkultur‘ und gewisse gemeinschaftliche Rituale brauchen – und das wird in der Öffentlichkeit häufig falsch verstanden – halte ich für zwingend erforderlich. Gerade in Anbetracht von Situationen, in denen die Soldaten existenziell aufeinander angewiesen sind, in denen sie sich ihr Leben einander anvertrauen müssen. Das hat nichts mit rechts oder gar rechtsextrem zu tun“.

Zahl der rechtsextremen Verdachtsfälle gestiegen

Einig sind sich alle Befragten bei der Bewertung des Ende Oktober veröffentlichten Jahresberichts 2020 des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Die Zahl der rechtsextremen Verdachtsfälle ist von 363 im Jahr 2019 auf insgesamt 477 Fälle angestiegen. Die Steigerung um mehr als 30 Prozent sei darauf zurückzuführen, dass Bundeswehr und MAD genauer hinschauen würden und auch in der Truppe selbst sensibler mit dem Thema umgegangen werde.

Diese Einschätzung teilt auch Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Sie ist für die parlamentarische Kontrolle der Bundeswehr und die Einhaltung der Grundsätze der Inneren Führung zuständig. „Jedem muss klar sein, dass Rechtsextremismus in der Bundeswehr keinen Platz hat“, lässt sie auf Anfrage ausrichten. Die SPD-Politikerin fügt hinzu: „Es hat sich in den vergangenen Jahren viel getan, aber wir sind immer noch nicht dort angekommen, wo wir hin müssen“. Sie verweist auf den aktuellen Maßnahmenkatalog. Dieser reicht von einer im Jahr 2017 eingeführten Soldateneinstellungsüberprüfung bis hin zu einem Verfahren vor dem Truppendienstgericht.

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Mit diesen Maßnahmen soll der Rechtsextremismus in der Bundeswehr bekämpft werden. | Quelle: Florian Bauer

Ein Thema, mehrere Sichtweisen - was nun?

Was bleibt sind unterschiedliche Meinungen über denselben Sachverhalt. Strukturelles Problem und großes Gefahrenpotential auf der einen Seite. Einzelfälle und harmlose Armee auf der Anderen. Licht ins Dunkel könnte eine Anfang 2022 beginnende Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr bringen. Es sollen wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu Ursachen und Ausmaß extremistischer Einstellungen unter Soldat*innen gewonnen werden, bestätigt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Der Generalinspekteur der Bundeswehr habe die Forschungskonzeption der empirischen Studie schon gebilligt. Im Anschluss an die Untersuchung werden die Ergebnisse veröffentlicht. Vielleicht ergibt sich dann eine konkrete Antwort auf die Frage, wie rechtsextrem die Bundeswehr ist. Eine Frage, die bisher nicht eindeutig zu beantworten ist.