Begrüßungen

Im Handumdrehen angesteckt

Ein Handschlag: Die Begrüßung birgt ein hohes Risiko, Krankheitserreger zu übertragen.
25. Juni 2020

Ein kurzes Winken, der „Wuhan Shake“ oder doch ein „Elbow Bump“? Wenn wir in Zeiten von Corona unsere Liebsten begrüßen wollen, wird die sonst selbstverständliche Begrüßung plötzlich kompliziert und kann zu befremdlichen Situationen führen. Wie wichtig ist uns das traditionelle Begrüßungsritual? Und was macht der sogenannte „Skin Hunger“ mit uns?

Stell dir vor: Du hast deinen besten Freund schon lange nicht mehr gesehen. Bei eurem ersten Wiedersehen willst du ihm am liebsten in die Arme fallen, doch mehr als ein kurzes Zunicken kommt nicht zu Stande. Wie fühlst du dich?

Ganz gleich, ob es eine Umarmung von Freund*innen, ein Handschlag zwischen Politiker*innen oder ein Schulterklopfen in Sportvereinen ist: Berührungen während Begrüßungen haben sich in unserem Leben eingebürgert und sind essenziell. 

Haut-Hunger

Wenn wir über längere Zeit sozial isoliert leben und uns einsam fühlen, leiden wir – körperlich und seelisch. „Skin Hunger" nennen Expert*innen diese Sehnsucht nach Körperkontakt. Nur eine kurze, als angenehm empfundene Berührung kann dazu beitragen, sich besser zu fühlen.

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Angenehme Berührungen können unser Stresslevel senken und das Abwehrsystem stärken. | Quelle: Alina Lingg

Doch wegen der Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie sollte man auf jeglichen Körperkontakt verzichten. Auch während der Begrüßung wird empfohlen, auf Abstand zu bleiben. Um sich selbst und seine Liebsten nicht anzustecken, begrüßen sich viele jetzt mit neuen, alternativen Ritualen.

Fingerfertigkeit verlangt der "vulkanische Gruß". Vulkanier sind eine fiktive Spezies im Star Trek-Universum. Sie spreizen zur Begrüßung ihre Finger, sodass ein „V“ entsteht. Zu dieser Geste werden häufig die Worte „Lebe lang und in Frieden“ gesagt.
Im asiatischen Raum ist die Verbeugung zur Begrüßung weit verbreitet. Sie ist ein Zeichen der Respektsbekundung.
"Namaste" bedeutet wörtlich übersetzt „Ich verbeuge mich vor dir“. Mit dieser Geste begrüßen sich jetzt nicht mehr nur Inder*innen.
Der "Elbow Bump": Bei dieser informellen Begrüßung berühren sich nur die Ellenbogen, nicht die Handflächen der Personen.
Während des Winkens wird ein großer Abstand zum Gegenüber eingehalten, sodass keine Krankheitserreger übertragen werden können.
Hand aufs Herz: In arabischen Ländern ist es üblich, nach dem Händeschütteln die rechte Hand zum Herzen zu führen. Das bedeutet: Die Begrüßung kommt von Herzen.

Kultur im Wandel

Die Möglichkeit, dass sich einige dieser Begrüßungsalternativen auch nach Corona einbürgern und den Handschlag ablösen könnten, bestehe durchaus, sagt Thomas Stodulka, Professor für Sozial- und Kulturanthropologie an der Freien Universität Berlin. „Wichtig ist, dass man Kulturen nie als statisch begreift. Das waren sie nie. Kulturen sind immer im Wandel, sie sind immer dynamisch."

„Im Moment ist es aber durchaus verblüffend, wie schnell das geht und wie sich in kürzester Zeit neue Rituale einbürgern.“

Thomas Stodulka

Trifft man Bekannte, können die neuen Begrüßungsrituale erst einmal kurios erscheinen. Befremdlich. „Ich habe nie das Gefühl, dass das jetzt eine angemessene Begegnung war, da mir das Begrüßen, das Verabschieden und der Körperkontakt fehlen“, berichtet Stodulka. Im Hinblick auf Begrüßungsrituale fügt er hinzu: „Das wird definitiv neue kulturelle Formen von Körpertechniken mit sich bringen.“

Normalerweise gebe das Begrüßungsritual jedem Menschen die Möglichkeit, sich zunächst eher neutral und ohne Fehlerpotenzial zu begegnen. „Diese Konventionen sind wichtig, da sie die Möglichkeit der Begegnung eröffnen“, so der Experte. „Begrüßungen bringen auch immer etwas von Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit mit sich. Nicht nur im religiösen und kulturellen Sinne – auch in einzelnen kleinen Freundeskreisen.“ In einer Umarmung stecke so viel an Empathie und Verständnis außerhalb von Sprache – da sei es mehr als verständlich, dass viele derartige Gesten vermissen. „Rituale sind für uns Menschen und unsere Kultur sehr bedeutend“, ist sich Stodulka sicher.

Normalität statt Unbehagen

In anderen Ländern allerdings begrüßt man sich immer ohne Körperkontakt. Das, was in uns Unbehagen und eine innere Spannung auslöst, ist dort Normalität. Beispielsweise in Indien: Während wir beim Begrüßen mit unserem Gegenüber auch auf körperlicher Ebene interagieren, führen Inder*innen ihre Namaste-Geste ohne Körperkontakt mit anderen Personen aus. Das sei aber kein Zeichen dafür, dass wir uns deswegen näher sind als sie, meint Stodulka. „Was es aber aussagt, ist das kulturelle Verständnis von körperlicher Nähe und Reinheit.“ Durch Begrüßungsrituale könne man sehr schön sehen, was für ein Körper- und Raumverständnis in einem Land vorliegt. „Sie sagen auch viel über Geschlechterrollen, soziale Hierarchien und soziale Distinktion – also über die Abgrenzung von Angehörigen bestimmter sozialer Gruppierungen – aus, nicht aber über individuelle Nähe oder Distanz einer Kultur.“

Ob und wie sich unsere Kultur durch diese ungewöhnlichen Zeiten verändern wird, werde man erst aus einer historischen Sicht genauer betrachten können. „Es wäre natürlich wünschenswert, wenn man aus Krisen immer auch gestärkt hervorginge und überholte Werte und Normen, die kontraproduktiv für interkulturelles Verständnis sind, ein Stück weit beeinflusst würden“, findet Stodulka. „Vielleicht birgt diese Zeit ein Potenzial dafür.“