Die guten Tage strahlen und sie kommen dann, wenn wir uns
wieder Zeit nehmen und uns Raum geben.
2020 – was für ein merkwürdiges Jahr. Eigentlich fing es für mich ziemlich gut an: Zuversicht, Freundschaft und viel, viel Liebe gefühlt, Karneval in Köln gefeiert, die Klausurenphase gut überstanden und mich gebührend vom schönen Stuttgart verabschiedet.. und dann kam das Corona-Virus. Eine globale Pandemie bricht aus. Home Office oder gar Kündigungen stehen an, man kann nicht mehr ins Fitnessstudio oder den Sportverein, fühlt sich in seiner Freiheit eingeschränkt, eingeengt, kein Nachtleben, kein Besuch in Bars und Restaurants, kein Reisen. Strapazierte Nerven und auch strapazierte Freundschaften und Beziehungen – kein Lebensbereich bleibt verschont. Besonders die sozialen Beziehungen bereiten große Sorgen: Laut der freundin sind die Scheidungsrate seit Februar in China bereits angestiegen, dies wird auch für Deutschland erwartet. Was beschäftigt die Menschen im Bezug auf ihre Beziehungen, auf die Liebe, jetzt zu Corona-Zeiten? Was beschäftigt DICH? In zwei Artikeln wollen wir eine Antwort darauf finden.
Mir Überschriften ausdenken konnte ich schon immer besonders gut. Und auch im Singlesein bin ich eigentlich ziemlich passabel: Feiern gehen, Konzerte besuchen, im Ausland unterwegs sein, Freunde treffen, Nächte durchtanzen, das Leben genießen. Das ist doch das, wofür sich das Solosein lohnt. Doch was für einen Sinn ergibt es, zu Coronazeiten single zu sein? Das, wofür sich das Singlesein doch die ganze Zeit gelohnt hat, ist einem nun verwehrt. Man hat so unendlich viel Zeit.
Ich puzzle jetzt. Mache Home-Workouts mit Ivana Santa Cruz. Mein Pringles-Konsum ist exponentiell gestiegen. Bastele Perlentiere (komme mir dabei vor, wie eine Rentnerin) oder Fotoalben für meine Freunde. Alben, die einen an das erinnern, was man mal hatte und aktuell nicht haben kann: die Freiheit, alles zu tun, worauf man Lust hat, wann man will, wie man will, weil man nicht abhängig ist von einem Partner oder einer Partnerin. Ich habe Zeit, nachzudenken, über mein Leben und das, was ich fühle. Extrem viel Zeit. Bin ich überhaupt glücklich? Genieße ich mein Leben als Single auch, wenn ich keine Möglichkeiten habe, mich abzulenken, in Menschenmengen zu stürzen und das Leben zu feiern?
Ich möchte wissen, wie es anderen „Ledigen“ damit geht. Meine partnerlosen Freunde bestätigen es: Eigentlich war man die ganze Zeit glücklich, ist es irgendwie immer noch. Aber ganz ehrlich: Irgendwie fehlt auch etwas. Nähe, Kommunikation, das Verständnis eines anderen Menschen. Vielleicht fehlt auch nur der generelle Kontakt zu Menschen. Aber tief in uns drin schlummert doch immer der Wunsch, verstanden und geliebt zu werden. Dafür ist der Mensch gemacht.
Auf einer anonymen Plattform frage ich daher nach:
„An die Singles unter Euch: Seid Ihr aktuell glücklich?“ Abgesehen von ein paar Scherzantworten nutzen viele die Anonymität, um ihren wahren Gefühlen freien Lauf zu lassen: „Eigentlich schon“, antwortet X, „aber mir fehlt der Sex.“ „Ich bin glücklich“, schreibt ein anderer, „aber hin und wieder wäre es schön, abends mit jemandem zu kuscheln, wenn man im Bett liegt.“ „Nicht wirklich“, gibt eine dritte Person zu, „Da gibt es jemanden, die ich toll finde. Aber sie will nichts von mir.“ Auf die Frage hin, ob all das etwas mit Corona zu tun habe, antworten die Meisten jedoch tatsächlich mit „nein“. Denn der Wunsch nach einer Partnerschaft säße tiefer und sei ja immer da.
Doch was soll man gerade zu Corona-Zeiten tun, wenn man sich allein fühlt? Wenn der Wunsch danach, jemanden an seiner Seite zu haben, der sich Zeit für einen nimmt, dem man sich nahe fühlt, der einen versteht und so annimmt, wie man ist, groß wird und man statt Ablenkung noch mehr Zeit hat, über diesen Frust nachzudenken?
Ich frage Juliette Boisson. Sie ist ausgebildete Heilpraktikerin für Psychotherapie, hat eine Praxis für Beziehungsthemen in München und berät Paare, von Liebeskummer Betroffene, Menschen, die vor ambivalenten Fragestellungen stehen (z.B. Trennung ja/nein?) oder auch, wie sie sie nennt „chronische Singles“.
„Einsamkeit macht erwiesenermaßen krank“, erzählt sie mir am Telefon. Der Mensch sei von Natur aus ein soziales Wesen, habe schon immer in Gruppen gelebt und die Sehnsucht nach Gemeinschaften oder menschlicher Nähe sei nicht nur natürlich, sondern eben auch menschlich. Wenn dies auf längere Zeit fehle - und da hat natürlich jeder ein ganz eigenes und individuelles Zeitgefühl – gehe man ein. Doch was kann dagegen helfen?
Boisson nennt drei Tipps:
1. Soziale Kontakte aufrechterhalten,
2. Medien nutzen,
3. Reflektieren.
Soziale Kontakte aufrecht zu erhalten sei während Coronazeiten gar nicht so schwer. Ein Videocall mit der Familie, Telefonate mit der Clique oder auch ein aufregendes Spazierdate mit jemand Fremdem von einer Online-Datingapp – why not? Je nachdem, was gerade erlaubt ist, sollte man die Chancen, die man hat, nutzen. Dies lenkt nicht nur von der Einsamkeit ab, sondern fördert auch Freundschaften, lässt Kontakte neu aufflammen, Menschen besser kennenlernen und Gefühle zu ihnen vertiefen. Das Umfeld, in dem man vorher unterwegs war, kann aufrechterhalten werden – ein Freund von mir, der seit Jahren in einer Mannschaft Fußball spielt, erzählte mir zum Beispiel, dass er aktuell täglich über Zoom mit seinen Mannschaftskameraden trainiere, Workouts absolviere und somit das Team auch über Distanzen hinweg ein Team bleibt.
Die Medien, die einem zur Verfügung stehen, soll man also laut Boisson nutzen und sich, denn der Bedarf besteht, auch neuen Wegen (zum Beispiel dem Online-Kennenlernen) widmen. Hier müsse es sich nicht zwangsweise um Dates handeln, es gäbe auch Apps, die einem ermöglichten, online neue Freunde zu finden.
Also warum nicht die Chance nutzen, online einfach mal neue Menschen kennenzulernen, Neues über sie und irgendwie auch sich selbst zu erfahren und damit ein paar Schritte aus der eigenen Komfortzone zu gehen? Schaden kann dies auf jeden Fall nie.
Besonders der dritte Tipp bringt mich jedoch zum Nachdenken. „Wenn dieser tiefe Wunsch danach existiert, unbedingt einen Partner oder eine Partnerin haben zu wollen", rät Boisson, „muss man sich auch mal fragen: Warum eigentlich?" Und tatsächlich: Kommt dieser Wunsch vielleicht daher, dass man ohnehin unzufrieden oder unglücklich ist? Dass man seine Bedürfnisse versucht, durch einen anderen Menschen zu stillen, dies quasi von ihm erwartet? Kann ein Mensch diesen Erwartungen überhaupt gerecht werden? Und wird man dann nicht enttäuscht, wenn man das Glück an der falschen Stelle sucht? Jetzt habe man Zeit, sich um sich selbst zu kümmern, die Singlezeit als Vorbereitung auf die nächste Beziehung zu nutzen, um dann gestärkt und mit Selbstbewusstsein gewappnet starten zu können.
Wenn es sich doch herausstellt, dass man doch unbedingt eine Beziehung möchte: Tut man denn auch was dafür? Redet man sich vielleicht herum mit Aussagen wie „Online daten ist doch nichts für mich“, obwohl man es noch nie probiert hat? Erwartet man, dass der Prinz oder die Prinzessin auf einem Ross angeritten kommt und an die eigene Tür klopft? Oder tut man aktiv etwas dafür, um Menschen kennenzulernen? Ganz ohne Erwartungen? Wenn es online nicht klappt, müsse man nun mal warten, bis das „normale“ Daten wieder ginge, so Boisson. Doch diese Zeit könne man nutzen, um sich die Frage zu stellen, was man sich von einer Beziehung wünsche: „Es hilft, sich die Frage zu stellen, wie man sich denn eine Beziehung vorstellt: Wie soll das gehen und was will ich eigentlich?“
Nach dem Gespräch mit Frau Boisson fühle ich mich ein wenig, als hätte ich selbst eine Therapiestunde bei der „Liebeskummertherapeutin“ in Anspruch genommen. Vielleicht ist das, was sie sagte, genau das Richtige: Chancen zu nutzen. Die Chance, die wir jetzt haben, uns Zeit zu nehmen und über uns nachzudenken. Die Corona-Zeit generell als Chance zu sehen. Vielleicht ist es ja auch eine Chance für Dich.
Die guten Tage strahlen und sie kommen dann, wenn wir uns
wieder Zeit nehmen und uns Raum geben.
In Teil 2 geht es übrigens um Vergebensein zu Coronazeiten... Schau gerne mal rein - auch hier auf edit.