Aluhut ab!
Ein elfjähriges Mädchen, das seinen Geburtstag wegen der Pandemie nur mit Einschränkungen feiern konnte, fühlte sich „wie bei Anne Frank, wo sie mucksmäuschenstill sein mussten, um nicht erwischt zu werden." Ein Corona-Demonstrant in Wien trug auf seiner Jacke einen Davidstern mit der Aufschrift „nicht getestet“. Und schließlich äußerte die 22-jährige Jana aus Kassel bei einer angemeldeten Corona-Demonstration unter Polizeischutz, sie fühle sich „wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten hier aktiv im Widerstand bin.“ Heißt: Jana aus Kassel ist Sophie Scholl, die CDU ist die NSDAP und Merkel ist Hitler? Allesamt absurde Vergleiche. Absurd, weil sie die brutale Diktatur der Nationalsozialisten verharmlosen.
"Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen." Ein Zitat der Widerstandskämpferin Sophie Scholl gegen den Nationalsozialismus. Ein Zitat, das nun auch von manchen Corona-Demonstrant*innen aufgegriffen wird und das Andenken an die Geschwister Scholl beschmutzt. Sophie und Hans Scholl kämpften als Teil der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" gegen die Diktatur des Nationalsozialismus. Dafür wurden sie zum Tode verurteilt. Sie bezahlten ihren Aktivismus mit ihrem Leben.
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Wenn Sophie Scholl ihr Leben riskiert, was riskiert dagegen die 22-jährige Jana? Wird sie befragt, inhaftiert oder gar – wie ihre selbsternannte Vergleichsperson Scholl – enthauptet? Nein. Im Gegenteil: Die Polizei schützt sie. Denn die Versammlungsfreiheit ist heute im Gegensatz zu früher ein Grundrecht, das unsere Verfassung garantiert. Auflagen aufgrund der Pandemie? Ja. Aber ein Verbot? Nein. Proteste sind erlaubt, sie sind legal. Außerdem gilt die Meinungsfreiheit auch während Corona uneingeschränkt. Zu Zeiten des Nationalsozialismus – zu Zeiten Sophie Scholls – wurde eben dieses Recht durch die Reichstagsbrandverordnung und das Heimtückegesetz eingeschränkt. Heute darf jede*r seine*ihre Meinung – sei sie auch noch so absurd – jederzeit öffentlich äußern und verbreiten. Das kann manchmal wehtun, ist aber gut so. Denn so wird beispielweise verhindert, dass kritische Auseinandersetzungen mit der Regierung beeinträchtigt oder gar verboten werden. Jana aus Kassel darf also ungeschoren auf der Bühne stehen und Nonsens von sich geben. Das Maximum an Gegenwehr: Ein Ordner, der seine Weste bei ihr abgibt, da er „für so einen Schwachsinn“ seinen Job nicht länger ausführen möchte.
Durch Nichtstun Leben retten
Davidstern, Anne Frank oder Sophie Scholl – Zieht man derartige Parallelen, ignoriert man, was die Opfer der Nazi-Regimes erlitten haben. Und was erleiden wir während der Pandemie? Wir müssen zuhause bleiben, in unseren vier Wänden, in Frieden, mit fließend Wasser, Strom und bestenfalls noch mit Netflix. Wir können beim Nichtstun Menschenleben retten. Ja, unsere Generation ist schon besonders hart dran.
Es ist kein Triumph, derartige Geschichtsvergleiche zu ziehen. Das sehen auch die Regelbefolger und Gesetzestreue. Sie machen sich stark gegen die Skeptiker und Leugner. Doch Hass auf Jana aus Kassel, das elfjährige Mädchen oder den Demonstranten aus Wien kann nicht die Lösung sein. Ja, es sollte klar Stellung dagegen bezogen werden. Jedoch mit Argumenten und ohne Hass. Denn Hass erzeugt Gegenhass. Das kann nicht die Lösung sein.
Aufklärung ist das, was vorangetrieben werden muss. Menschen, besonders Kinder, müssen über die deutsche Vergangenheit und ihre Protagonisten noch besser unterrichtet werden. Das ist unerlässlich. Denn wie könnte jemand, der auch nur ein bisschen von der deutschen Vergangenheit weiß, solche Parallelen ziehen? Aufklärung, Aufklärung und nochmal Aufklärung. Damit derartige Vergleiche nicht zum Alltag werden. Damit eine klare Abgrenzung zwischen Aluhut und Weißer Rose stattfindet. Denn Aluhut und Weiße Rose passen nicht zusammen.