„Ich habe den ganzen Tag nur an Essen gedacht und einen innerlichen Kampf in dieser Zeit mit mir geführt.“
Ernährung – nur Gefühlssache?
Wenn Natascha Renk ihre kleine Tochter füttert, fällt ihr eines besonders auf. Ist ihre Tochter satt, wird der Mund vor dem nächsten Löffel fest zugepresst. Schmeckt das Essen nicht, wird es wieder ausgespuckt. Verspürt sie Hunger, wird gequengelt oder durch eine andere Gestik und Mimik auf sich aufmerksam gemacht. Diese Verhaltensweise beschreibt etwas, das ursprünglich ein jeder von uns konnte und es nicht einmal lernen musste. Die Rede ist von intuitivem Essen.
Natascha hat selbst bis zu ihrem 13. Lebensjahr problemlos intuitiv gegessen. Dann folgte die Pubertät. Die erste Periode, Heißhungerattacken, der Körper verändert sich. Natascha fühlt sich zu dick. Und versinkt ab diesem Zeitpunkt in eine immer weiter absteigende Spirale der Diäten.
1000 Regeln im Kopf
Low-Carb-Diät, kein Essen mehr nach 18 Uhr, bestimmte Lebensmittel sind komplett verboten. Jahrelang legte Natascha ihr Essverhalten nach Zahlen und Regeln aus. Ihr mentales Wohlbefinden blieb dabei auf der Strecke. „Diäten lassen einen emotional schrumpfen“, beschreibt sie ihre Erfahrungen. In der griechischen Übersetzung heißt das Wort Diät „gesund leben“. Umgangssprachlich verstecken sich hinter diesem Begriff Vorschriften, Verbote und eine Patentlösung.
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Eine sehr beliebte Patentlösung. Laut der IfD Allensbach waren im Jahr 2023 rund 15 Millionen Menschen in Deutschland mäßig an Diäten und Diätprodukten interessiert, während 3,9 Millionen besonderes Interesse zeigten. Das heißt auch: Interesse an einer Möglichkeit, rapide das eigene Körpergewicht zu reduzieren. So schnell wie das Gewicht verloren ist, ist es aber meist nach Ablauf des Diätplans wieder auf den Hüften. „Der Jo-Jo-Effekt entsteht dadurch, dass wir unseren Körper während einer Diät in einen Notzustand versetzten“, erklärt Doris Steinkamp, Diätassistentin und Inhaberin der Beratungsagentur „Kompetenz Ernährung“. Zudem verfallen nach Ablauf des Diätplans viele von einem Extrem in das andere: Nach wochenlanger Restriktion kehren sie unbedacht zu ihren ursprünglichen Ernährungsgewohnheiten zurück. Eine Diät allein kann also nicht den Wunsch erfüllen, sein Traumgewicht langfristig zu halten. „Ich habe den ganzen Tag nur an Essen gedacht und einen innerlichen Kampf in dieser Zeit mit mir geführt“, so Nataschas Fazit über Diäten.
Wenn das Bauchgefühl den Ton beim Abnehmen angibt
Dr. Mareike Awe bringt im Jahr 2015 mit „intueat“ das Kontrastprogramm zu einer Diät auf den Markt - Abnehmen durch intuitives Essen. Was bedeutet das?
Intuitiv zu essen bedeutet, seine Mahlzeiten nach Hungersignalen auszurichten. Dies können beispielsweise Müdigkeit oder Magenknurren sein. Nur in diesem Fall wird Nahrung zu sich genommen. Dafür darf gegessen werden, worauf immer der Mensch gerade Lust hat. Kein Lebensmittel wird als gut oder schlecht bewertet. „Grundsätzlich tut uns ein Lebensmittel nie gut oder schlecht“, sagt Steinkamp. Es käme vor allem auf die Dosierung der Gelüste an. Tritt anschließend ein angenehmes Sättigungsgefühl ein, wird der Teller beiseitegestellt. Die Einschätzung von Appetit und Saturation erfolgt nach einer Hunger-Skala. Diese stellt in zehn Stufen Richtwerte für das menschliche Hunger- und Sättigungsgefühl sowie dessen körperliche Äußerung dar.
Das intuitive Essen stellt ein gesundes, achtsames Verhältnis zum Essen und dem eigenen Körperbild in den Mittelpunkt. Der Gewichtsverlust ist nebensächlich und verläuft über einen längeren Zeitraum. Die Belohnung für diese Geduld: das Gewicht nach dem Abnehmen kann langfristig gehalten werden.
Ganz so leicht ist aber auch dieses Konzept schlussendlich nicht. Eine Person wie Natascha, die an Kontrolle durch Diätpläne gewöhnt ist, klammere sich unter anderem bei der Hunger-Skala schnell an neuen Regeln fest. Die perfekte Stufe an Hunger oder Sättigung zu erreichen. „Mein Mann würde ja auch nicht sagen, mein Hunger ist auf der Stufe zwei, aber perfekt wäre Stufe drei, es wird einfach gegessen.“
Doris Steinkamp ist der Meinung, dass Essen Zeit und eine routinierte Struktur benötigt. Das Essverhalten ist stark geprägt von Faktoren wie dem Lebensalltag, der Kultur, den Essgewohnheiten aus der Kindheit oder auch der Religion. Wer intuitiv essen möchte, muss sich im Detail mit einer Ist-Analyse dieser aktuellen Umstände auseinandersetzten und eigenverantwortlich handeln können. Haben wir wirklich Hunger oder bekommen wir nur gerade etwas angeboten? Treibt uns eine bestimmte Emotion zum Essen? Intuitiv essen ist kein Freifahrtschein. Natascha betont, dass das Vermögen, unterscheiden zu können, was dem Körper gut tut und was der Kopf will, der Knackpunkt für den Erfolg durch das intuitive Essen sei. Ansonsten passiere genau das Gegenteil - der Mensch nimmt zu.
Auch wenn wir alle mit einem intuitiven Verhältnis zum Essen aufgewachsen sind – nicht jeder kann heute an diesen Punkt zurück. Krankheitsbilder wie Adipositas, die medikamentös behandelt werden müssen, verhindern einen gesunden Stoffwechsel. Dieser ist wiederrum laut Steinkamp Voraussetzung, dass die intuitive Ernährung funktioniert.
Diät vs. intuitives Essen
Die Unterschiede der beiden Ernährungsformen sind folgende: Eine Diät basiert auf extremen Einschränkungen des Menschen in seinem Essverhalten, das intuitive Essen auf einer frei einteilbaren, täglichen Struktur und der Eigenverantwortung im Umgang mit Essen. Hierfür braucht es keinen vorgegebenen Diätplan, sondern eine konkrete Selbstreflexion des Menschen und seines Essverhaltens. Während Ziel einer Diät der schnelle Gewichtsverlust ist, ist dieser beim intuitiven Essen nur nebensächlich. Hier geht es um eine langfristige Änderung der Essgewohnheiten.
Neben diesen allgemeinen Unterschieden steht für Natascha Renk und Doris Steinkamp ein Aspekt ganz besonders im Mittelpunkt: der Einfluss des Essverhaltens auf das soziale Umfeld. „Diäten machen uns zum Außenseiter“, so Steinkamp. Das Essen sei etwas Soziales und Gemütliches. Entziehen wir uns dieser Komponente, entwickeln sich neue Schäden. Natascha berichtet, dass sie in der Zeit, in der strenge Diätpläne ihren Alltag regierten, jeglichen Kontakt zur Außenwelt vermeiden wollte.
Essen sollte nicht das Leben beherrschen
Der gesündeste Umgang mit dem Essen ist laut Doris Steinkamp dieser: Ein Krankheitsbild muss mit einem Diätplan verwaltet werden. Jeder andere sollte eigenverantwortlich – intuitiv – Nahrung zu sich nehmen.
„Auf Dauer muss Essen und Trinken die wichtigste Nebensache der Welt sein.“
Natascha fasst ihre Erfolge durch das intuitive Essen voll Freude zusammen: „Eigentlich wollte ich einfach nur zehn Kilo abnehmen, aber was ich dazu bekommen habe, ist Zufriedenheit, Freiheit und positive Auswirkungen auf mein ganzes Leben und meine sozialen Kontakte.“ Das Leben hat nun neben dem Thema Essen endlich wieder einen Platz. Steinkamp appelliert: „Auf Dauer muss Essen und Trinken die wichtigste Nebensache der Welt sein.“