Mutter-Kind-Gefängnis

Eingesperrt ins Leben

Der Blick aus dem Kinderzimmer einer der Mutter-Kind-Zellen der JVA Aichach.
17. Dez. 2018

Schwanger im Knast aber das Ende der Haftstrafe ist noch nicht in Sicht. Einige Strafvollzugsanstalten haben eine Einrichtung, die es ermöglicht, Neugeborene mit ins Gefängnis zu nehmen. Kinder hinter Gittern: Wie sieht das aus?

Es ist ein nebliger, grauer Novembertag kurz vor acht und die Tore öffnen sich. Hinter den dicken Mauern hat der Tag schon lange begonnen. Das Klimpern mächtiger Schlüssel ist von überall zu hören und zwei Blöcke weiter hallt fröhliches Kindergeschrei durch die Gänge. An den Wänden sind bunte Bilder und selbst gebastelte Dekorationen zu sehen. Beinahe vergisst man, dass man im Gefängnis ist. 

Von rund 14.000 Gefangenen in den Justizvollzugsanstalten von Nordrhein-Westfalen sind 873 Frauen. Doch was passiert mit diesen Frauen, wenn sie vor oder während des Antritts ihrer Haftstrafe schwanger werden? Mit dieser Frage hat sich 1947 auch die Juristin Helga Einsele, die ehemalige Leiterin der Frauenvollzugsanstalt in Frankfurt, beschäftigt. Sie setzte sich für eine Humanisierung des deutschen Strafrechtes ein und gründete somit die erste Mutter-Kind-Abteilung in einem deutschen Gefängnis.

Der Umgang mit schwangeren inhaftierten Frauen ist auch für Joachim Turowski und Sandra Erdel ein tägliches Thema. In Aichach, Bayern, ist die Diplom-Sozialpädagogin Sandra Erdel für inhaftierte Mütter des geschlossenen Vollzuges und ihre Kinder zuständig. Turowski ist Regierungsdirektor und Leiter des Justizvollzugskrankenhauses NRW sowie des angeschlossenen Mutter-Kind-Vollzuges, welcher eine selbstständige offene Anstalt ist. In diesen Gefängnissen können Frauen gemeinsam mit ihrem frisch geborenen Kind ihre Haftstrafe absitzen. Die Frauen kommen erst nach der Geburt ihres Kindes in die Einrichtungen. Mit den 16 Plätzen, die zur Verfügung stehen, sei der Bedarf in NRW ungefähr gedeckt, so Turowski. In Aichach gibt es hingegen nur 10 Plätze. „Der Bedarf ist groß“, erklärt Erdel, „und das wird erkannt.“

Der etwas andere Alltag einer inhaftierten Mutter und ihres Kindes

Unterstützt werden die Mutter-Kind-Paare bei ihrem Alltag von mehreren Sozialpädagoginnen. Das Team aus NRW leitet die Pflichtveranstaltungen, an denen die Mütter teilnehmen. „Das sind Einzelgespräche und Betreuungen im Rahmen der Hilfeplanung und Umsetzung, aber auch Gruppenveranstaltungen wie geleitetes Spielen für die Kinder mit den Müttern“, erklärt Turowski. „Es gehört zu unserem Erziehungs- und Hilfeauftrag, den Müttern auch beizubringen: ‚Was mache ich eigentlich mit meinem Kind?‘“, fährt er fort und vermittelt eher das Bild einer Ganztagsbetreuung für Mutter und Kind, als das eines Gefängnisses. Die Kolleginnen und Kollegen im offenen Vollzug in NRW liefen alle „in zivil“ rum und der Gitterzaun, der die Vollzugsanstalt umgibt, sei „mehr so als moralisches Hindernis gedacht, damit die kleinen Kinder nicht weglaufen.“ 

Erdel hingegen beschreibt eine andere Situation. „Im Spannungsfeld zwischen Strafvollzug und Jugendhilfe, da mittendrin sind wir.“ In Aichach werden die Erziehungspläne individuell an jede Inhaftierte angepasst, je nachdem wie schwerwiegend die Ausgangssituation ist. Da es sich um eine geschlossene Anstalt handelt, müssen Ausgang und Urlaub wie bei jeder anderen Inhaftierten genehmigt werden. Allerdings seien die Kinder nicht inhaftiert, sagt Erdel. 

Das Gelände, welches das Gefängnis in NRW umgibt, wird vor allem genutzt, wenn die Kinder zusammen mit ihren Müttern die gemeinsame Freizeit genießen. Jeden Nachmittag haben die Frauen auch die Gelegenheit, und stückweise auch Anweisung, mit ihren Kindern die Anstalt zu verlassen und etwas zu unternehmen. Ziel der Freizeit ist es, gemeinsam Aktivitäten auszuführen und nicht „nur mit dem Kind im Zimmer rumzuhängen.“ Beispielsweise sollen die Mutter-Kind-Paare spazieren gehen oder in der Stadt Erledigungen tätigen. Jedes zweite Wochenende haben die Inhaftierten „Urlaub“ und sollen mit den Kindern nach Hause in ihre Ursprungsfamilie fahren. An regulären Vormittagen besuchen die Kinder den nebenan liegenden Kindergarten. Dort sind sie von anderen Kindern, die nicht aus dem Gefängnis stammen, umgeben. Wo die Kinder aufwachsen, wäre „kein Geheimnis, macht aber unter Kindern eigentlich nicht viel aus“, so Turowski.

Das Prinzip Hoffnung

Die Einschulung der Kleinkinder bekommen Turowski und Erdel nicht mit. Das Alter, in dem die Kinder mit ihren Müttern die Einrichtung verlassen müssen, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. In Bayern ist der Aufenthalt auf drei Jahre limitiert, in NRW auf sechs. Beide Länder sind sich einig, dass in diesem Zeitraum die Haftstrafe der Mütter beendet sein muss, um keine späte Trennung herbeiführen zu müssen.

Im Folgenden berichtet Erdel darüber, was für Rückmeldungen nach den Entlassungen der Frauen erfolgen.

Ob das Programm und die Resozialisierung erfolgreich waren, bekommen die Mitarbeiter von Turowskis Einrichtung nur mit, wenn die Frauen wieder im Justizvollzugssystem auftauchen. Eine Rückmeldung, wie sich die Frauen nach der Haft wieder in die Gesellschaft eingliedern, gibt es nicht. „Für uns ist das eher so ein bisschen das Prinzip Hoffnung“, gesteht er gelassen. „Die Frauen haben während des Vollzugs gelernt, ihre eigenen Interessen und die ihres Kindes umzusetzen und sich gegen die Beeinflussungen von Freunden oder Familie abzugrenzen“, sagt Turowski. „Dieses können wir jedoch nicht auch noch mittherapieren.“