Nachtgedanken
Mediationen, beruhigende Musik und homöopathische Schlafmittel habe ich schon lange aufgegeben. Mein auf 70 Dezibel laufendes Gehirn ballert mir unbeeindruckt weiter in Föhn-Lautstärke Dinge um die Ohren. Von „Wer war nochmal der erste US-Präsident?“ bis hin zu „Hat wirklich letztes Semester jemand die Uni-Mikrowellen in Brand gesetzt, weil Küchenpapier Feuer gefangen hat?“ ist alles dabei. Kleine Gedanken, große Ideen und doch, meistens nur ich am nächsten Morgen, genervt und mit Augenringen. In solchen Momenten denke ich dann über alles Mögliche nach. Die nette Kassiererin im Supermarkt letztens. Daran, dass ich wieder vergessen habe, Bio-Müllbeutel einzukaufen und was eigentlich alles Mikroplastik enthält. Es ist so, als wäre mein Gehirn eine Wasserrutsche und meine Gedanken sind eingeölte Sandsäcke, die dem Schwimmbecken entgegengeworfen werden.
Pseudointelligenz
Seufzend drehe ich mich auf meine andere Seite, um nach meinem Handy auf dem Nachttisch zu tasten, doch das bietet mir leider auch keine neue Beschäftigung. Was auch? Alle anderen schlafen ja. Mein Blick fällt auf die Uhrzeit. 02:19 Uhr. Noch fünf Stunden und elf Minuten bis mein Wecker klingelt und mich dafür bestraft, dass mein Gehirn nie den Mund halten kann. "Kann ich bitte einfach einschlafen und mir nicht den Kopf über etwas absolut Sinnloses zerbrechen?" frage ich mich. Doch wie gewohnt kommt eine Antwort von dem Plappermaul in meinem Kopf zurück. "Ist das denn wirklich Schwachsinn? Wenn man dem Lauf seiner Gedanken nicht folgt, kommt man dann überhaupt jemals irgendwo an?" Pseudointelligent ist das erste Wort, was einem dabei einfallen könnte. Mir in diesem Moment jedoch nicht.
Der Steinzeitmensch in mir
Als Antwort auf die Frage drehe ich mich auf den Rücken und starre ins Dunkel meines Zimmers. Natürlich ist mir bewusst, dass die ganze Diskussion viel zu philosophisch für die frühe Stunde ist. Dass ich schlafen sollte, um morgen früh in der Vorlesung nicht einzuschlafen, ist kein Gedanke, der nur Genies kommen könnte. Doch vielleicht ist der Möchtegern-Schlaumeier in meinem Kopf nicht ganz ab vom Schuss. Bei der Menge an Input, den wir heutzutage jede Minute bekommen, hat mein Gehirn tagsüber fast keine Gelegenheit, auch mal Output zu leisten. Klar, strengen wir uns alle den ganzen Tag an und sind produktiv und kreativ. Doch einfach mal die Beine baumeln lassen und die Gedanken ins Nichts laufen lassen, machen wir kaum. Andererseits eröffnet sich mir die Frage: „Sollen wir Menschen überhaupt aufhören zu denken?“ Trotz meines limitierten Wissens über Steinzeitmenschen kann ich mir vorstellen, dass diejenigen, die aufhören zu denken, die ersten sind, die den Tiger nicht hören und sterben. „Oder ist es der Fluch des Kapitalismus“, denke ich mir. „Immer Arbeiten, produktiv sein und uns nie langweilen, das ist doch der Traum jedes Wirtschaftswissenschaftlers, der einen Aufschwung im Markt sehen will“. „Amen, Schwester“, echot mein Gehirn und bringt mich galant zurück zu dem Film, in dem ich diesem Spruch neulich gehört habe. Aufhören tut dieser Teufelskreis selten.
Ein Gedanke über das Denken
Ich liege also jeden Abend wach und denke einfach nach. Meine Nachtgedanken sind größtenteils am nächsten Morgen wieder vergessen, aber nichtsdestotrotz ist es zu gleichen Teilen nervig und entspannend, mal nicht andere reden zu hören, sondern einfach das eigene Gehirn reden zu lassen.
Da ich nun aber so lange über das Nachdenken nachgedacht habe, werden meine Augenlider doch langsam schwer. Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, in dem meine Gedankenmaschine kurz Wasser trinken muss, um ihren vom Reden trockenen Hals zu revitalisieren. „Oder vielleicht stamme ich auch nur von einem mittel-intelligenten Steinzeitmenschen ab, der nicht immer denkt, sondern nur manchmal“, überlege ich mir. Als ich endlich einschlafe, ist mein letzter Gedanke, welche Pelze Höhlenmenschen getragen haben. Und gibt es die auch in vegan?