Gott stört nicht
Heute müsste ich es schaffen. Ich rutsche durch das geflieste Treppenhaus der S-Bahn-Station und tripple die Stufen ans Gleis. Die Bahn ist noch da. Panisch patsche ich auf den Türöffner. Nichts tut sich. Im Angesicht meines Schicksals schaue ich durch die geschlossene Türe. „Gott ist für uns – wer will sich dann noch gegen uns stellen.“, lese ich. Dann ist die Bahn weg.
Was war das denn? Hat Gott über eine Werbetafel zu mir gesprochen? Schnaufend und verwirrt plumpse ich auf eine Holzbank. Zumindest kommt die S1 nach Kirchheim/Teck „in Kürze“. Heute war Gott wohl nicht so für mich. Wahrscheinlich war er ziemlich gegen mich. Aber woher kam dieser -angesichts meiner Lage - hämische Spruch?
Nach einer kurzen Handyrecherche stoße ich im Internet auf die Süddeutsche Plakatmission. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, hoffnungsvolle Bibelverse in die Öffentlichkeit zu bringen. So auch in die Stuttgarter S-Bahnen. In letzter Zeit wurde viel darüber berichtet, denn die Regionalversammlungsfraktion aus Linken und Piraten fordert ein Verbot: Die Sprüche sollen das Verfassungsgebot der weltanschaulichen Neutralität verletzen. Das Recht, nicht zu glauben, sei beschädigt. Die Bahn solle kein Ort religiöser Indoktrination sein. In Berlin gibt es ein entsprechendes Verbot – ginge es nach Linken und Piraten soll es auch für Stuttgart kommen.
Mit Religion verbindet jede*r andere Dinge. Ich denke an die Messdienergruppe. An das Singen. An den Spaß. Das Bild ist aber getrübt: Ich weiß um die Skandale. Geldschiebereien. Missbrauch. Die Kirche ist für mich kein Grund, stolz zu sein. Aber schadet es jemandem, wenn in der S-Bahn ein Bibelvers hängt?
Die Diskussion erinnert an die Genderdebatte
Zu argumentieren, wer sich von was angegriffen fühlen darf, ist aus neutraler Position gefährlich. Dennoch hilft es hier, auch die Seite der Religiösen anzuschauen: Wie steht es denn um die Religionsfreiheit, wenn es verboten wäre, Religion im öffentlichen Raum auszudrücken? Synagogen, Moscheen und Kirchen prägen Stuttgart ohnehin. Da ist es doch schöner, auf Werbetafeln drücken Menschen ihren Glauben aus, als Daimler seine Liebe zum SUV. Die Plakatmission ruft nicht zur Hexenverbrennung auf, nimmt kirchliche Institutionen in Schutz oder warnt vor dem Fegefeuer: Sie verbreitet positive Gedanken. Und die einen werden davon erreicht. Die anderen nicht.
Ich fühle mich bei dieser Diskussion an die Genderdebatte erinnert. Denn: Es tut nicht weh. Manchen Menschen hilft es, andere stören sich daran. Gendern stört die Konservativen. Bibelsprüche stören die Linken. Aber am Ende tut beides niemandem weh. Stattdessen hilft Gendern der Gleichberechtigung und gelebte Religion dem Seelenfrieden vieler. Beide Seiten würden gut daran tun, sich an Dingen zu stören die der Bevölkerung wirklich schaden.
Die S1 fährt ein. Diesmal erwische ich sie, steige ein und störe mich an nichts.
Einen weiteren Teil der Kolumne „In Kürze" findest du hier.