„Es gibt keine 1.-Klasse-Liebe und 2.-Klasse-Liebe. Für das schönste Gefühl der Welt sollten Menschen nicht bestraft werden ‒ Liebe ist Liebe.“
Die Mutter der Schwulen
Betritt man den Kings Club, ist man in einer anderen Welt. Gedimmtes Licht, Wände überzogen mit rotem Samt und überall Spiegel. Über einer der kleinen Sitzecken hängt ein großes Porträt an der Wand – Laura Halding-Hoppenheit. Sie ist die Mutter der Schwulen, Besitzerin des Kings Clubs und seit über 40 Jahren dort zu Hause.
Wir sitzen im leeren Club an der Bar und beginnen mit dem Interview. Aus klassischen Interviewfragen wird ein zweistündiges Gespräch. Laura ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Sie erzählt darauf los, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Spricht die gebürtige Rumänin von „uns“ und „ihrer Familie“, meint sie sich und die Schwulen.
edit: Wie wurden Sie zur „Mutter der Schwulen“?
Ich fühlte mich in Deutschland ausgegrenzt. Die Schwulen waren mein Lichtblick. Es war ihnen scheißegal, ob ich gut Deutsch spreche. Die hatten andere Probleme als mich zu diskriminieren. Ich fand es immer ungerecht, wie Schwule behandelt wurden. Ich habe gedacht: Eines Tages bin ich stark. Irgendwann wollte ich den Schwulen etwas zurückgeben. Natürlich konnte ich erstmal einen Scheiß machen.
Wie sind Sie in Stuttgart gelandet?
Über mein Studium in Bukarest reiste ich in den 70ern nach Deutschland. Ich wollte eigentlich nicht weg aus Rumänien. In Hamburg lernte ich meinen ersten Mann kennen, einen Redakteur aus Berlin. Wohlgefühlt hab’ ich mich hier nicht – ich fand’s zum Kotzen, auch weil ich kein Deutsch konnte. Als mein Mann Chefredakteur wurde, zogen wir nach Stuttgart. Ich bin in einer Gesellschaft gelandet, in der ich nicht sein wollte.
Warum sind Sie geblieben?
Deutsch gelernt habe ich nicht so schnell, aber ich bin schwanger geworden, das ging schneller. Es war klar, ich konnte nicht mehr weg, aber ich war weder für die Ehe noch auf das Mutter-Sein vorbereitet.
Wie war es damals im Kings Club?
Es sah schon damals so aus wie heute. Ich wusste gleich: Ich hab’ meinen Platz gefunden. Meine Ehe brach zusammen. Ich begann im Kings Club zu jobben. Die Schwulen führten ein Doppelleben. Sie kamen her, um Schutz zu suchen und um sich auszuleben ‒ was sie tagsüber nicht konnten. Sie parkten ein paar Straßen weiter, die Reklame war aus, man war extrem vorsichtig. Aber hier drin hatten wir eine wunderschöne Zeit, obwohl die Diskriminierung draußen enorm war.
Gab es Tiefpunkte?
Ich werde es nie vergessen, Anfang der 80er, auf der Titelseite des Spiegels: „AIDS – die tödliche Seuche“. Es brach Panik aus, plötzlich sind so viele Menschen gestorben – eine furchtbare Zeit. Der gesellschaftliche Riss wurde deutlicher. Die Szene begann wackelig zu werden und sie begannen sich gegenseitig zu diskriminieren. Manche wollten nicht mehr in den Club kommen. Zu ihnen sagte ich: „Ihr Idioten, auch die Kranken sind eure Familie.“ Es hat 3-4 Jahre gedauert, bis sich alles wieder stabilisiert hat.
Wie ist die Situation heute?
Inzwischen sind wir stolz. Das Bewusstsein der Menschen hat sich geändert. Seit 15 Jahren sind die Lichter unserer Reklame an. Heute ist es ein Club zum Feiern – ohne Angst zu haben. Wenn einer Probleme hat, helfe ich, wo ich kann. Es ist wichtig, dass die Menschen sich hier wohlfühlen. Ich habe hier 40 Jahre lang die Preise nicht erhöht. Ich versuche kein Geschäft zu machen, es ist Familie. Ich mache hier die Tür auf und bin glücklich. Inzwischen ist das Publikum gemischt, aber besonders die Schwulen fühlen sich zu Hause. Ich bin seit circa 30 Jahren die Besitzerin des Clubs und stehe am Wochenende meistens selbst an der Tür.
„Der Club ist unser Tempel - ein Tempel der Kommunikation.“
Was machen Sie, wenn Sie nicht im Kings Club sind?
Früher hatte ich noch andere Clubs. Dann wollte ich aber in die Politik gehen und das bekommt man nicht alles unter einen Hut. Meine Kinder sind erwachsen, also habe ich jetzt Freizeit, um mich um meine politische Arbeit zu kümmern. Ich vertrete Die Linke im Stadtrat Stuttgart und bin in vielen Vereinen wie der deutschen AIDS-Hilfe. Ich kämpfe gegen Rassismus und Diskriminierung. Oft reise ich in andere Städte und Länder, um die Schwulen bei politischen Veranstaltungen zu unterstützen. Manchmal kommen junge Schwule zu mir ins Rathaus und wollen, dass ich mit ihren Eltern rede. Für andere Menschen ist meine Arbeit vielleicht übertrieben, aber für mich ist das normal. In einer Familie hilft man sich und hält zusammen.
Bekommen Sie heute noch Hass zu spüren?
Nein, die trauen sich nicht. Ich habe keine Zeit mehr lieb zu sein, heute knallt’s gleich. Ich wurde auch diskriminiert. Die Leute sagten, ich mache ihre Kinder schwul. Ich habe dann gesagt: „Nein, liebe Leute. Sie schmeißen die Kinder raus und ich nehme sie in den Arm und sage, dass sie wertvoll sind.“ Ich scheue keine Kraft. Es gab Zeiten, da dachte ich, das überlebe ich nicht. Wenn ich zurückblicke, denke ich „Das hast du alles nicht erlebt“. Aber man sollte nicht viel über die negativen Erlebnisse reden. Die sind vorbei und die gute Energie ist da.
Gab es Höhepunkte, die Ihnen im Gedächtnis geblieben sind?
Als ich 2014 das Bundesverdienstkreuz bekam, sind die Schwulen ausgerastet. Sie haben auf dem Schlossplatz eine riesige Party gefeiert. Wir waren stolz. Man merkte die Anerkennung der Gesellschaft. So etwas holt die Szene aus der „Schmuddelecke“. Früher hätte mir kein Mensch einen Preis gegeben. Im Gegenteil, die hätten mir den Hals umgedreht. Ich bin dankbar für all das, denn daran merkt man, dass sich etwas geändert hat und man uns heute respektiert.
Was war Ihr schönster Moment?
Etwas Besonderes war das 35-jährige und das 40-jährige Jubiläum. Am 35-Jährigen haben wir das erste Mal im Rathaus gefeiert. Ich sagte dem Bürgermeister: „Wir sind die Gesellschaft. Jeder feiert Jubiläen im Rathaus, wir wollen das auch.“ Es war ein riesiger Erfolg. Aber das 40-jährige Jubiläum letztes Jahr, das ist außer Kontrolle geraten. Das Rathaus war so überfüllt, es mussten noch zusätzlich Säle aufgemacht werden. Es kamen unzählige Menschen, die zeigen wollten: „Wir sind dankbar, dass diese Arbeit gemacht wird.“ Es hat sich also gelohnt!
Der Kings Club hat Donnerstag, Freitag und Samstag jeweils ab 22 Uhr geöffnet. Jeden Donnerstag findet Karaoke statt und am Wochenende legt ein DJ auf, gespielt wird Mixed Music. Der Club befindet sich in der Calwerstraße 21 mitten in Stuttgart. Weitere Infos gibt es auf der Homepage des Clubs.