Krankenhaus-Kost 7 Minuten

Zwischen Heilungsauftrag und Mangelernährung

Man sieht einen Arztkoffer und Obst und Gemüse
Essen ist Medizin, erklären Mediziner*innen und Ernährungswissenschaftler*innen in einem offenen Brief an Cem Özdemir und Karl Lauterbach. (Symbolbild) | Quelle: Viktoria Reiser
15. Mai 2024

Zerkochte Nudeln, Tiefkühl-Gemüse und kaltes Gulasch – wer an Krankenhaus-Essen denkt, dem vergeht schnell der Appetit. Hinzu kommen hohe Fallzahlen von Mangelernährung in Kliniken. Doch was ist dran am Mythos von ungesundem Klinik-Essen?

Zwölf Prozent der Patient*innen in deutschen Krankenhäusern sind mangelernährt. Das war das Ergebnis auf allen teilnehmenden Stationen des weltweiten nutritionDay 2018 an dem jährlich die Ernährungssituation in Krankenhäusern und Pflegeheimen gemessen werden soll. Auch in der Schweizer Effort-Studie, die 2019 veröffentlicht wurde, untersuchten Experten den Zusammenhang zwischen gesunder Ernährung und dem Genesungsverlauf. Die erste Versuchsgruppe, 1013 Patient*innen, bekam normale Krankenhaus-Kost, die zweite Gruppe, 1015 Patient*innen, wurde speziell ernährt. Sie bekamen ein Essen, dass mit extra Eiweiß, Kalorien und Vitaminen versetzt war. In der Gruppe mit normaler Kost traten bei 272 Personen Komplikationen auf, bei der zweiten Gruppe waren es 40 Personen weniger. Außerdem gab es in der ersten Gruppe 30 Tote mehr als in der Gruppe, die eine spezielle Ernährung bekam. So kommt die Studie zu dem Schluss, dass bei einer schlechten Ernährung auch das Risiko an der Erkrankung zu sterben, höher ist.

Der Blick für den Einzelnen zählt

Fördert Krankenhaus-Essen also Mangelernährung? „Das kann man so pauschal nicht sagen“, findet Uta Köpcke, Diätassistentin und Präsidentin des Verbands der Diätassistenten (VDD). „Die Leute, deren Ernährungszustand schlecht ist, können oft gar nicht ausreichend mit dem Krankenhaus-Essen versorgt werden. Sie brauchen schlicht eine Ernährungstherapie.“ Wer nur kurz im Krankenhaus bleibt oder gut ernährt ist, könne das Essen dort gut verkraften. Wer allerdings schon mangelernährt ist, brauche zum Beispiel eine zusätzlich angereicherte Kost, Zwischenmahlzeiten oder Trinknahrung. Das Essen an sich scheint nicht das einzige Problem zu sein. Vielmehr sollten bei der Aufnahme verpflichtende Screenings durch Ernährungsexpert*innen durchgeführt werden, um Mangelernährung zu erkennen und die Ernährung anzupassen, fordern die Verfasser*innen eines offenen Briefes an Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Unter den Verfassern*innen sind auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) und die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM).

Diätassistent*innen sind Ernährungsexperten, die Patient*innen individuell beraten. Dadurch versuchen sie zum Beispiel Schmerzen zu lindern oder den Genesungsprozess zu unterstützen. Oft sind sie in Kliniken tätig, beraten aber auch gesunde Menschen, wie sie sich am besten ernähren können.

In der individuellen Patientenbetreuung sehen Experten demnach einen Lösungsweg. Das kollidiert allerdings mit einem weiteren Problem, dem Personalmangel in der Ernährungsberatung. Aus der Berufsfeldanalyse DiätassistentInnen geht hervor, dass sich im Schnitt ein*e Diätassistent*in um 188 Patienten kümmert. Das liegt laut VDD auch an schlechten Arbeitsbedingungen und Unterbezahlung.

Selbst wenn genügend Fachkräfte vorhanden wären, ist bei der Verpflegung in Krankenhäusern noch Luft nach oben. Schon 2011 gab die DGE die „DGE-Qualitätsstandards für die Verpflegung in Kliniken“ heraus. Dahinter verbergen sich eine Reihe an Kriterien und Hintergrundinformationen, die helfen sollen, die Ernährung in Krankenhäusern zu verbessern, beispielsweise durch externe Qualitätsprüfungen. Allerdings sind die Standards freiwillig und müssen von keiner Klinik umgesetzt werden. Wie viele Kliniken das bisher getan haben, ist unklar. Die Verfasser*innen des offenen Briefes fordern deshalb die Qualitätsstandards „so zügig wie möglich“ verpflichtend in allen deutschen Krankenhäusern einzuführen, was für die Kliniken ein hoher Kostenaufwand wäre.

Liegt es am Ende wieder nur am Geld?

Viel Geld steht für die Verpflegung der Patient*innen nicht zur Verfügung. In dem offenen Brief an Cem Özdemir und Karl Lauterbach beklagen Mediziner*innen und Ernährungswissenschaftler*innen das aktuelle Budget von 5,14 Euro pro Patient*in pro Tag. Diätassistentin Uta Köpcke spricht sogar von durchschnittlich weniger als fünf Euro pro Tag, die für das Essen einer Patientin und eines Patienten in deutschen Krankenhäusern ausgegeben werden. Das beinhaltet drei Hauptmahlzeiten und Zwischenmahlzeiten. „In jedem Krankenhaus wird beim Kostenfaktor Ernährung immer als Erstes der Rotstift angesetzt“, erzählt die Diätassistentin. Seit vielen Jahrzehnten werde das Budget immer wieder gekürzt.

„In jedem Krankenhaus wird beim Kostenfaktor Ernährung immer als Erstes der Rotstift angesetzt“

Uta Köpcke, Diätassistentin und Präsidentin des Verbands der Diätassistenten

Das Problem: Die normale Krankenhaus-Kost wird als nicht-medizinische Versorgung angesehen, weshalb das Geld aus dem gleichen Topf wie zwölf weitere nicht-medizinische Leistungen kommt. Dazu gehören unter anderem auch Aus- und Fortbildung, EDV, Verwaltung, Wäscheversorgung, Controlling und Reinigung. Trotz steigenden Personalkosten und Lebensmittelpreisen wird das Budget nicht angepasst und es muss an verschiedenen Stellen eingespart werden.

Um mehr Geld von den Krankenkassen zu bekommen, könnten die Krankenhäuser Qualitätsverträge mit ihnen abschließen. „Teil der Qualitätsverträge ist eine gezielt nachweislich verbesserte Ernährung zum Beispiel mit Wahloptionen, variierenden Portionsgrößen und Zwischenmahlzeiten“, meint Uta Köpcke. Dazu könnten zum Beispiel die DGE-Standards eingeführt werden.

Neben dem geringen Budget, das für die Versorgung von Patient*innen zur Verfügung steht, sei auch die Zubereitung des Essens ein großes Problem. Gekocht werde kaum noch im Krankenhaus selbst. In Zukunft wollen immer mehr Kliniken die Essenszubereitung in die Hände Dritter legen, wie eine Veröffentlichung der Prüfungsgesellschaft Rödl & Partner aus dem Jahr 2017 zeigt. Das Auslagern der Essenszubereitung schont dabei auch die sanierungsbedürftigen Krankenhausküchen, denn die letzte Erneuerung liegt dort laut Rödl & Partner im Durchschnitt rund 13 Jahre zurück. Durch das Outsourcen kämen allerdings zusätzliche Transportwege hinzu, die die Qualität des Essens beeinflussen könnten. 

Einen externen Caterer zu beauftragen, muss aber laut Rödl & Partner nicht direkt zu einer schlechten Versorgung führen. Oft werde das Essen nach dem Kochen nährstoffschonend heruntergekühlt oder gefroren. Dadurch könne das Essen sogar länger haltbar gemacht werden und verliere nicht unbedingt an Qualität. Das vorportionierte Tiefkühl-Essen könne dann flexibel und nach Wunsch der Patientin und des Patienten verteilt werden. Tiefgekühlt heißt also nicht gleich schlecht.

Wie sieht ein gesundes Essen im Krankenhaus aus?

Verschiedene Ansätze zeigen, wie Ernährung besser gestaltet werden könnte. Die EAT-Lancet-Kommission hat dazu 2019 die „Planetary Health Diet“ herausgegeben, eine Ernährungsstrategie für eine gesunde und umweltschonende Ernährung. Diese könnte auch als Ansatz für das Essen in Kliniken dienen.

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| Quelle: https://eatforum.org/content/uploads/2019/01/EAT-Lancet_Commission_Summary_Report.pdf

Dass Essen im Krankenhaus auch anders geht, zeigt beispielsweise die Waldklinik Eisenberg in Thüringen mit Fünf-Sterne-Hotel und Verpflegung auf Restaurant-Niveau. Hier können Patient*innen aus verschiedenen Menüs ihr Essen auswählen. Das Konzept funktioniere, da jede Investition und die Zusammenstellung des Essens genau bedacht und geplant werde. Krankenhaus-Essen kann so auch zur Inspiration werden, zu Hause auch gesund zu kochen und damit dauerhaft Erkrankungen entgegenzuwirken.

Verbesserte Kommunikationswege und mehr Wahlmöglichkeiten für Patient*innen fordert auch Uta Köpcke. Der Caterer sollte so schnell wie möglich erfahren, was welche Patient*innen möchten und brauchen. „In vielen Häusern werden heute immer noch Zettelchen geschrieben“, meint Uta Köpcke. Kommunikationswege seien lang und fehlerbehaftet. So könne es schon mal vorkommen, dass Zettelchen verloren gingen und Patient*innen Essen bekommen, dass sie gar nicht bestellt haben oder nicht vertragen. „Oft sind die Verantwortlichen nicht gut miteinander vernetzt. Dafür könnte man die Digitalisierung gut verwenden“, findet Köpcke. Servicekräfte könnten bei der Essensabfrage mit iPads ausgestattet werden. Das wäre allerdings ein weiterer Kostenfaktor. 

Für eine ausreichende Verpflegung müsste also deutlich mehr Geld investiert werden. Durch mehr Fachkräfte und Flexibilität könnte jede*r Patient*in individuell berücksichtigt und Mangelernährung bekämpft werden. Denn um es mit den Worten der Verfasser*innen des offenen Briefes zu sagen: Ernährung ist Medizin.