Interview

Arbeiten, wie es sich viele (nicht) vorstellen können

27. Juni 2021
Ortsunabhängig und frei arbeiten. Elias Schiele arbeitet von wo, wie viel und wann er will. Mit seiner Familie lebte er für längere Zeit im LKW. Wie der 36-Jährige zu seinem Lebenswandel gekommen ist, erzählt er im Interview.

Wie sieht für dich der perfekte Arbeitsalltag aus?

Der ideale Arbeitsalltag sieht für mich so aus, dass ich ihn mir frei einteilen kann. Wann und wie ich arbeite, mit wem und woran. Nur, dass ich dafür geradestehe, was ich zugesagt habe. Ganz wichtig ist, dass ich selbstbestimmt arbeite und ortsungebunden. So kann ich schauen, dass viele Dinge zusammenpassen: Die Ortsunabhängigkeit mit dem LKW, meine Familie, die Arbeit und andere Dinge, die ich tue. 

Kann das Leben im LKW, Arbeit und Familie überhaupt funktionieren?

Es gab am Anfang schon einige Hürden, die man überwinden musste. Zum einen musst du lernen, so zu reisen, dass du auch die Ruhe hast, dich auf die Arbeit zu konzentrieren. Die Balance finden, wie schnell du neue Sachen siehst, sodass du dich nicht ständig mit neuen Eindrücken belädst. Zum anderen die technischen Hürden. Mittlerweile haben wir aber eine LTE-Antenne oben auf dem LKW. Mit der Antenne hast du auch an Orten, wo nicht so viel Zivilisation ist, keine Probleme. 

Die Ortsunabhängigkeit ermöglicht Elias das Arbeiten an den schönsten Stränden.
Mit seinen drei Kindern und seiner Frau genießt Elias solche Sonnenuntergänge.
Der LKW ist insgesamt sieben Meter lang. Der tatsächliche Wohnraum ist zweieinhalb auf fünf Meter.

Frei und ortsunabhängig hast du aber nicht schon immer gearbeitet, oder?

Nein. Mein beruflicher Werdegang ging von einem großen Mittelständler, zu einer kleinen Entwicklungsdienstleistungsfirma, zu einem Startup und dann zu meinem heutigen Job bei your.company. 

Wie hast du angefangen?

Ich habe ursprünglich Mechatronik Feinwerk- und Medizintechnik studiert. Über die Diplomarbeit bin ich dann ins Arbeitsleben reingerutscht. Ich habe meine Diplomarbeit für einen Mittelständler in China geschrieben. Danach war für mich die Überlegung, für solch eine Firma in Deutschland zu arbeiten. Das hat für mich aber überhaupt nicht gepasst.

Warum hat es nicht gepasst?

Einfach die Art und Weise, wie dort mit einem umgegangen wird. War zwar eine super Firma, aber du gehst dort rein und lässt 70 Prozent von dir selbst außen weg. Du bist nur noch ein Abklatsch von dir. Das lebst du dann acht Stunden am Tag, gehst wieder raus und bist plötzlich wieder du selbst. Innerhalb vom Arbeitsumfeld hast du diesen Schatten von dir. Alle Gespräche gehen nur über Dinge, die vollkommen unverbindlich und unverfänglich sind. Das Ganze liegt mir einfach nicht.

Was hast du dann gemacht?

Ich habe meinen Rückflug von China stornieren lassen, bin auf dem Landweg zurück und war eineinhalb Jahre später wieder in Deutschland. Auf dem Weg habe ich über Kontakte eine Stelle in einer Entwicklungsdienstleistungsfirma für Medizintechnik bekommen. War wieder eine supercoole Firma. Man konnte als Ingenieur eine Idee nach der anderen verwirklichen. Aber war auch wieder schwierig als Jung-Ingenieur. Du kriegst zwar dein Gehalt, aber wenn du die Firma verlässt, dann hast du nichts. Das hat mir wieder aufgestoßen. Du willst mehr machen und Verantwortung übernehmen, aber du bist immer ein austauschbarer Teil des Unternehmens, der nichts wirklich von der Wertschätzung mitnimmt.

Dann hast du dich entschieden, ein Biotech-Startup zu gründen?

Ja, da ging es darum, Zellen automatisiert umzutopfen. Das Ganze hatte aber eine lange Entwicklungszeit, du brauchst viel Geld und einen langen Atem. Also wurden Firmenanteile verkauft, dann hast du irgendwann 70 Prozent deines Unternehmens los und hast nicht mal mehr die Entscheidungshoheit, aber arbeitest 60 Stunden die Woche. Da habe ich mir wieder die Frage gestellt, was hier schiefläuft. 

War das dann der Punkt, als du bemerkt hast, dass sich an der Arbeitswelt etwas verändern muss?

Ja. Es gibt aber kein Angebot dafür. Dann dachten wir uns: Ja gut, dann machen wir es selbst und gründen eine Firma, die genau so ist, wie wir arbeiten wollen. So sind wir zu your.company gekommen. 

Wie kann man sich your.company vorstellen?

Wir versuchen bei your.company ein Unternehmen aufzubauen, das auf Augenhöhe funktioniert, bei dem alle fair und mit ihrer Wertschätzung beteiligt sind und auch an dem Gewinn, der entsteht. Mit your.company arbeiten wir in verantwortlicher Freiheit: Das heißt Dingen, denen ich zusage. Dafür habe ich Verantwortung übernommen, dafür stehe ich auch gerade. Aber wie viel ich zusage und annehme, ist meine Entscheidung. So kann ich ständig meine Arbeitslast selbst definieren.

Funktioniert das wirklich?

Ich weiß, ich lebe in einer Blase, weil ich täglich mit Gleichgesinnten unterwegs bin. Aber ich bin seit fünf Jahren dabei und es funktioniert einfach. 

Am Anfang hast du dich ja mit vielen Dingen beschäftigt, unter anderem viel Recherche. Was genau sind jetzt deine Aufgaben?
 
Seit es greifbarer ist, kümmere ich mich viel um die Infrastruktur für die Company-Sharing-Lösung. Das heißt, was die Produktpartnerschaften, also die Gruppen um einzelne Produkte herum, als geteilte Infrastruktur wirklich nutzen. 

Du sagst ja, du willst den Oldtimer Arbeitswelt neu erfinden. Ist das nicht schwierig?

Es ist ja nicht universell gültig für alle, nur ein zusätzliches Angebot. Die Entwicklung, die ich sehen konnte, bestätigt unsere Annahme, dass es eine wachsende Zahl von Menschen gibt, die so arbeiten möchte.

Aber dann eher jüngere Generationen?

Ja, aber nicht ausschließlich. Wenn man das pitcht, gibt es schon eine starke Tendenz. Junge Leute verstehen sofort, was wir damit wollen und warum. In älteren Generationen kriegt man eher Unverständnis. Trotzdem haben wir viele Ältere kennengelernt, die dafür brennen und sehen, was der Vorteil ist. 

Dadurch, dass du ortsunabhängig arbeiten kannst, ist es für dich auch möglich mit deiner Familie und dem LKW zu reisen. Wie kam es zu der zweiten großen Entscheidung?

Der Gedanke war schon immer da, aber in die längere Reise sind wir ein bisschen reingerutscht. Bevor die zwei älteren Kinder in die Schule kommen sollten, wollten wir noch eine längere Reise machen. Also sind wir los, doch dann kam Corona und wir sind nach Portugal. Dort war es super, um die erste Welle auszusitzen. Anschließend sind wir nach Kreta weitergereist. Corona wurde aber nicht besser, also sind wir nach Frankreich. Dort haben wir die Kinder dann auch an einer Schule mit Home-Schooling angemeldet.  

Wie ist das Reisen für die Kinder?

Bei solch einem begrenzten Lebensraum lernt man vor allem, auf seine Ressourcen zu achten. Die Kinder lernen das in frühem Alter schon mit. Sie wissen für ihr Alter schon so viel und lernen durch das Reisen viele interessante Leute kennen. Außerdem sprechen sie zweieinhalb Sprachen. Deutsch und Französisch fließend und Englisch kriegen sie relativ viel mit und sprechen es auch schon. 

Ihr seid im Januar 2020 los. An welchen Orten wart ihr auf eurer Route?

Wir sind über Frankreich, nach Spanien und Portugal. Eigentlich wollten wir noch nach Marokko, aber damals waren schon die Querverbindungen eingestellt. Also sind wir wieder über Spanien und Frankreich zurück nach Deutschland. Anschließend über Österreich, Italien und dann Kreta, wo wir auch ein halbes Jahr geblieben sind. Jetzt sind wir erstmal für die nächste Zeit in Frankreich. 

Hattet ihr irgendwo Schwierigkeiten wegen Corona?

Nein, da hatten wir keine Schwierigkeiten. Aber wir haben auch bisschen Schwein gehabt, dass in Portugal und Kreta die Zahlen zu dem Zeitpunkt ziemlich niedrig waren. Wir hatten nirgends Probleme, wurden überall mit offenen Armen aufgenommen. Es sind überall einfach nur nette und gute Menschen. 

Hast du den Lebenswandel jemals bereut?

(lacht) Wie könnte ich? Das Leben ist so viel reicher, vielfältiger und intensiver im Positiven, dass ich mir überhaupt nicht vorstellen könnte, zurückzurudern. Also absolut nicht! 

Auch auf Dauer oder für immer?

Es wird sicher irgendwann eine andere Form annehmen, dass wir nicht immer im LKW unterwegs sind. Vor allem, dass auch die Kinder beim Entscheidungsprozess dabei sind. Aber nach meiner Erfahrung, hängt das überhaupt nicht an dem Ort oder an dem Wechsel von Orten, sondern an der inneren Einstellung. Die Freiheit, die man mit dem Reisen verbindet, ist eigentlich eine Freiheit, die man in sich selbst entwickeln muss und die kann ich in Tübingen oder wo auch immer haben.