„Ich habe alle Emotionen erlebt. Die höchsten Glücksgefühle, die größte Hoffnung und natürlich auch die größte Frustration und Angst oder auch Sorge, ob wir überhaupt mal ein eigenes Kind bekommen. Das war die größte Angst, die ich hatte.”
Der lange Weg zum Familienglück
Rund 800.000 Paare in Deutschland sind ungewollt kinderlos. Für sie ist der Traum vom eigenen Kind unerfüllt und mit Hürden verbunden. Dabei können zahlreiche Gründe eine Schwangerschaft verhindern. Häufig liegt das an medizinischen Ursachen – zum Beispiel durch eine Hormonstörung wie dem polyzystischen Ovarsyndrom (PCOS) oder eingeschränkten Spermien beim Mann. Zudem kann auch die Unterleibs-Erkrankung Endometriose eine Schwangerschaft bei Frauen erschweren. Doch auch äußere Faktoren und die eigene Lebensweise wie Stress, Erschöpfung oder Bewegungsmangel können dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zufolge dazu beitragen.
Dabei ist laut BMFSFJ jede*r Zehnte in Deutschland zwischen 20 und 50 Jahren ungewollt kinderlos. Besonders hoch ist der Anteil bei den 25- bis 34-Jährigen – denn rund 57 Prozent aller mit bisher unerfülltem Kinderwunsch sind Teil dieser Altersgruppe.
Um den eigenen Kinderwunsch zu erfüllen, gibt es zahlreiche Methoden. Oft stehen dabei Behandlungen in einer Kinderwunschklinik und die künstliche Befruchtung im Fokus. Bereits 1978 wurde im Vereinigten Königreich das erste Retortenbaby der Welt durch künstliche Befruchtung geboren. Bis heute hat sich die Reproduktionsmedizin weiterentwickelt und wird häufig genutzt – allein im Jahr 2022 wurden dem deutschen IVF-Register zufolge mehr als 67.000 Frauen in einer Kinderwunschklinik mit unterschiedlichen Methoden behandelt. Doch keine Kinderwunsch-Reise ist gleich, sie hat viele Gesichter und Geschichten.
Chantal und Jens Fleischmann – Insemination (IUI)
„Es war die größte Herausforderung, während dem Kinderwunsch damit klarzukommen, dass da einfach ein Baby nach dem anderen in dein Umfeld geboren wird”, erzählt Chantal Fleischmann. Die 26-jährige hat gemeinsam mit ihrem Mann Jens sechseinhalb Jahre Kinderwunsch hinter sich. Ende 2016 hatte Chantal die Pille abgesetzt, denn der Wunsch, früh Mama zu werden, war bei ihr immer da. Doch bereits mit 19 Jahren musste sie zwei Fehlgeburten verkraften. Nach einer Pausierung des Kinderwunsches bekommt Chantal einen sehr unregelmäßigen Zyklus und starke Akne – irgendwann lautet die Diagnose: PCO-Syndrom.
Als auch die Stimulierung des Eisprungs beim Frauenarzt fehlschlägt, wird Chantal an die Kinderwunschklinik Mainz überwiesen. Hier bekommt sie eine Insemination (IUI). Diese eignet sich besonders dann gut, wenn das Spermium nur ein bisschen eingeschränkt ist, wie es bei Jens der Fall ist. Hierbei handelt es sich lediglich um eine einfache Unterstützung beim Kinderwunsch, die Befruchtung findet dennoch im Körper statt. „Wir haben gesagt, wir würden den Weg der künstlichen Befruchtung irgendwann gehen, wenn es nicht mehr anders geht, aber wollten erstmal die IUI machen, die nicht so teuer ist”, erklärt Chantal die Entscheidung.
Für zwei Inseminationsbehandlungen hat das Paar rund 350 Euro ausgegeben, es kommen noch Anfahrtskosten, Medikamente und die Untersuchung für HIV und Hepatitis hinzu. Über die Kosten aller Versuche und Untersuchungen, um Diagnosen ausfindig zu machen, erzählt Chantal: „Insgesamt sind wir da schon bei mindestens 3000 Euro, wenn nicht sogar mehr.” Nicht nur aus finanzieller, sondern auch aus emotionaler Sicht ist das Thema belastend. „Es gibt viele Paare, die da Probleme mit der Zeit bekommen. Weil irgendwann im Raum steht, Geschlechtsverkehr nach Plan zu haben. Das ist natürlich für viele Paare nicht so einfach, aber uns hat das alles mehr zusammengeschweißt”, meint Chantal. Besonders der Austausch mit Gleichgesinnten auf Social Media gibt dem Paar Halt, denn außerhalb des Internets sei das Thema immer noch häufig ein Tabu.
Nach einigen Rückschlägen und eineinhalb Jahren in der Kinderwunschklinik verläuft ihre zweite Insemination erfolgreich. Anfang März erwarten die beiden ihr erstes Kind.
Sonja und Sven Neurohr – IVF und ICSI
Auch Sonja Neurohr hat bereits eine lange Kinderwunsch-Reise hinter sich. Gemeinsam mit ihrem 37-jährigen Mann Sven hat die 34-jährige fünf Jahre in der Kinderwunschklinik verbracht. Nachdem das Paar ein Jahr auf natürlichem Wege versucht hat, ein Kind zu bekommen, haben sie den Schritt in die Kinderwunschklinik gewagt. Eigentlich wollten die beiden nichts mit der künstlichen Befruchtung zu tun haben. Doch irgendwann kam der Entschluss von Sonja: „Schatz, wir gehen jetzt in die Kinderwunschklinik und ziehen das durch.” „Das war wirklich das Beste, was wir machen konnten”, erzählt Sonja stolz. Heute ist sie mit Zwillingen schwanger.
Dass Sonja auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen kann, liegt unter anderem an ihrer tubaren Sterilität, die beide Eileiter verschließt. Dazu kommen noch andere Diagnosen, die eine natürliche Schwangerschaft verhindern – darunter PCOS und eine leichte Form von Endometriose.
„Als mein Mann und ich die Kinderwunschbehandlung begonnen haben, haben wir gesagt, mehr als eine Insemination machen wir never ever. Letztendlich sind wir an einem Punkt angekommen, wo wir sehr verzweifelt waren”, sagt Sonja. Während ihrer Zeit in der Kinderwunschklinik hat sie alle Behandlungsmethoden genutzt, die es in der Reproduktionsmedizin gibt. Begonnen hat Sonja mit drei Inseminationen, gefolgt von einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) und zwei Spermieninjektionen (ICSIs). Mit Hilfe der letzten ICSI wurde Sonja dann mit ihren Zwillingen schwanger. Zwischen 1997 und 2021 wurden laut dem deutschen IVF-Register insgesamt mehr als 388.716 Kinder nach einer IVF geboren – zum Vergleich: das sind alle Einwohner der Städte Schwerin, Witten, Erlangen und Konstanz zusammen.
Bis Sonja mit Hilfe der ICSI schwanger wurde, hatte sie insgesamt neun Versuche mit unterschiedlichen Behandlungsmethoden. Im Oktober 2023 hat es schon einmal funktioniert, doch leider war der Versuch nicht erfolgreich. „Da hätte ich auch Zwillinge bekommen, die sind dann abgegangen”, erzählt Sonja. „Ich bin durch unterschiedliche Phasen gegangen. Zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Mut und Trauer.” Um den Kinderwunsch aufzuarbeiten und hinter sich zu lassen, ist Sonja zur Therapie gegangen.
Mit der Kinderwunschbehandlung sind auch hohe Kosten verbunden. Einen Zuschuss von der Krankenkasse gibt es jedoch nur für verheiratete Paare. Zu Beginn der Behandlung waren Sonja und Sven nicht verheiratet, deshalb mussten sie alle Kosten selbst tragen. „Wir haben für den Kinderwunsch geheiratet oder eher heiraten müssen. Eigentlich wollte ich nie heiraten”, berichtet Sonja. Insgesamt haben die beiden 50.000 Euro für ihren Kinderwunsch ausgegeben. Sonja ist überglücklich über ihre Schwangerschaft, aber auch hier kommen wieder die Kosten ins Spiel: „Zwillinge sind natürlich doppelt so schön, also Jackpot. Aber man muss natürlich bedenken, dass man alle Kosten mal zwei nehmen muss.”
Sonja und Sven haben außerdem auch viel Zeit in die Behandlungen gesteckt. Zu Beginn war das Paar in der Kinderwunschklinik in Singen, ein fünfminütiger Fußweg. Zwischenzeitlich haben sich die beiden jedoch für einen Klinikwechsel nach Ulm entschieden. „Dadurch wurde der Aufwand massiv erhöht, da sind wir für eine Fahrt 200 Kilometer gefahren. Das war wirklich kräftezehrend", berichtet Sonja. Für den letzten Versuch ist das Paar wieder in die Kinderwunschklinik nach Singen zurückgekehrt.
Insgesamt gibt es in Deutschland rund 150 Kinderwunschkliniken. Die meisten davon sind im Westen und Süden von Deutschland angesiedelt. Deshalb müssen viele Paare oft eine lange Anfahrt auf sich nehmen, um sich den Kinderwunsch zu erfüllen.
Cathy und Timo Bauer – ICSI
„Als mein Mann und ich uns für die Familienplanung entschieden haben, wusste ich bis dato noch gar nicht, dass bei mir irgendetwas nicht passt”, berichtet Cathy Bauer. Die 28-jährige und ihr Mann Timo haben sich im Jahr 2018 während einer Reise in Kalifornien dafür entschieden, die Pille abzusetzen. Das Ziel des Paares: Mit Neuigkeiten nach Hause zurückzukehren. Nach mehreren erfolglosen Versuchen wurden die beiden im November 2019 von der Frauenärztin an die Kinderwunschklinik überwiesen. „Ich wurde dann im August 2020 schwanger, hatte da aber erstmal noch eine Fehlgeburt und im Oktober 2020 bekam ich die Eizelle eingesetzt, die jetzt unsere Tochter ist”, erzählt Cathy froh. Ihre Tochter Hailey ist mittlerweile zwei Jahre alt.
In der Kinderwunschklinik Augsburg ist Cathy mit Hilfe der ICSI schwanger geworden. Das Paar hat sich schnell dazu entschieden, die Methode mit der größten Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft zu nutzen, um unnötige Kosten für viele Versuche zu vermeiden – mit Erfolg. Dass Cathy nicht auf natürlichem Wege schwanger werden kann, liegt an ihrem PCO-Syndrom und einer damit verbundenen Follikelreifungsstörung. „Das war bei mir sehr umfangreich und stark ausgeprägt”, sagt Cathy.
Für die Behandlung in der Kinderwunschklinik sei auch die Einstellung, die man mitbringt, enorm wichtig: „Ich bin ein sehr positiv eingestellter Mensch, das macht so viel aus”, erzählt Cathy. Die Kinderwunsch-Reise sei auch für die Beziehung eine große Belastung. Cathy und ihr Mann Timo haben sich dabei immer wieder ihr Ziel vor Augen geführt: ein gemeinsames Baby. Während der Zeit in der Kinderwunschklinik hat das Paar nie angefangen, sich gegenseitig zu hinterfragen oder unter Druck zu setzen.
Als das Paar 2018 mit der Familienplanung begonnen hat, waren bei ihnen keine Kinderwunsch-Leistungen in der Krankenkasse abgedeckt. Beide waren selbstständig und daher privat versichert. In vielen Fällen werden Paare bei der Kinderwunschbehandlung von der Krankenkasse bezuschusst, anders ist das bei Selbstständigen und Privatversicherten. „Ich hatte damals noch nicht den Weitblick, mich um solche Zusatzleistungen zu kümmern, da das für mich bis dato nicht relevant gewesen ist”, heißt es von Cathy. Als bei Cathy die PCOS-Diagnose feststand, konnten die beiden nicht mehr die Krankenkasse wechseln oder eine Zusatzversicherung abschließen. Deshalb musste das Paar alle Kosten selbst tragen und hat insgesamt etwa 40.000 Euro für die Kinderwunschbehandlung ausgegeben.
Bis heute halten die Eltern sich die schönen Momente vor Augen: „Wir erinnern uns jetzt nicht daran zurück und sagen „Mensch, war das eine schwierige, negative, anstrengende Zeit", sondern die Reise zu unserem Kind ist auch für uns rückblickend was total schönes gewesen.”
Unmengen an Behandlungen, hohe Kosten und eine emotionale Achterbahnfahrt. Für viele Paare ist die Kinderwunsch-Reise eine Herausforderung, so auch für Chantal, Sonja und Cathy und ihre Partner. Doch alle drei Paare sind ihren eigenen Weg gegangen und haben die Zeit in der Kinderwunschklinik erfolgreich gemeistert.