„Ich sehe im Moment nicht, dass sich unsere Gesellschaft so weit öffnet, dass meine Kinder nicht in der Schule damit gehänselt werden.“
Tagsüber Mutter, nachts Online-Sexworkerin
Wie kann man sich dein aktuelles Leben mit Familie, Beruf und Kindern vorstellen?
Bis vor ein paar Jahren hatte ich ein ganz normales, bürgerliches Leben. Ich war eine klassische Vorstadtmutti. Ich habe Kinder und einen Mann. Wir haben 15 Jahre lang monogam zusammengelebt und haben ein Häuschen mit Garten. Ich arbeite in einer Agentur in einem ganz normalen Job. Irgendwann habe ich den Bereich Sex noch näher kennengelernt. Dann haben wir zum einen unsere Beziehung geöffnet und damit unseren Horizont erweitert und ganz viel ausprobiert. Zum anderen habe ich gemerkt, dass es mir total viel Lust und Freude macht, sexuelle Dienstleistungen zu verkaufen.
Du bist verheiratet und ihr führt eine offene Beziehung. Wie läuft das ab und was sagt dein Partner zu deinem Nebenjob?
Dadurch, dass wir unsere Beziehung geöffnet haben, hat Sex in unserem Leben einfach eine größere Rolle gespielt. Wir haben immer gern unsere Fantasien geteilt. Irgendwann haben wir uns überlegt, dass jeder jemanden einzeln treffen könnte. Die letzten Jahre hatten wir beide zusätzliche Partner und das war total schön und ausgeglichen. Es ist für uns eine gute Art zu leben. Wir haben schon viele Sachen gemeinsam gedreht und sprechen alles miteinander ab. Das war schon immer so. Da sind wir tatsächlich offen, im wahrsten Sinne des Worte
Polyamorie / Polyamory:
Polyamorie bedeutet, dass Menschen gleichzeitig mehrere romantische und/oder sexuelle Beziehungen haben, mit dem Wissen und Einverständnis aller Beteiligten. Sie basiert auf Offenheit, Ehrlichkeit, Kommunikation und Einvernehmlichkeit.
Wie kann man sich deine Community vorstellen?
Auf Twitter habe ich gemerkt, wie viele Menschen dort im Bereich Sex eine große Erfüllung finden. Natürlich gibt es auch viele, die selbst polyamor leben oder offene Beziehungen haben. Sie sind daran interessiert und mögen den Austausch. Unter ihnen sind ganz viele Menschen, bei denen im echten Leben Sex überhaupt keine oder eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Auf OnlyFans sind die allermeisten User männlich und freuen sich, etwas Anteil haben zu können. Sie finden mich einfach gut und wollen mich unterstützen. Es gibt nur ganz, ganz wenige, die mal blöde Kommentare schreiben, das ist die absolute Ausnahme. Meistens herrscht ein sehr wertschätzender, schöner Umgang.
Neben Only Fans führst du ebenfalls einen Blog und hast auch ein Buch geschrieben. Was für eine Botschaft willst du an deine Community vermitteln?
Ich will das ganze Thema normalisieren: sexuelle Vorlieben, Sexwork und den offenen Austausch über Bedürfnisse. Das sind für mich normale Themen, aber viele Leute haben wohl den Drang, etwas zu kommentieren, nur damit sie etwas gesagt haben. Oft merke ich, wie besonders ältere Menschen sehr verwirrt sind und viele Sachen nicht kennen, von denen ich rede.
Du nimmst auch Wunschanfragen von Leuten an. Wo ziehst du dabei deine Grenzen?
Ich mache zum Beispiel keine Sachen, bei denen ich mir unsicher bin. Wenn Leute anfangen, aufdringlich zu werden und mehrmals nachfragen, dann habe ich keine Lust mehr auf die Anfrage. Ich mache das Ganze anonym, aber es ist immer wieder so, dass sich Leute wünschen, mein Gesicht zu sehen. Einmal hat sich jemand gewünscht, dass ich etwas mit Perücke und Skimaske mache. Am Anfang habe ich das ausprobiert, aber nach zwei Minuten habe ich gesagt: „Das ist ja nur affig, das bin irgendwie nicht ich“. Ich mag auch keine Kinderspielerei, dass ich beispielsweise einen Schnuller benutze, oder irgendwas mit Tieren mache. In diesen Sachen kann ich auch sehr klar Nein sagen.
Denkst du, dass du irgendwann vielleicht den Schritt wagen wirst, mit deinem Umfeld darüber zu reden und dich zu zeigen?
Nein, das glaube ich tatsächlich nicht. Ich sehe im Moment nicht, dass sich unsere Gesellschaft so weit öffnet, dass meine Kinder nicht in der Schule damit gehänselt werden. Es ist trotzdem Sexwork, auch wenn dieser lediglich online stattfindet. Da gibt es Videos von mir, von denen ich nicht will, dass sie meine Kinder oder Nachbarn sehen. Ich glaube nicht, dass sich das ändert.
Glaubst du, dass OnlyFans vor allem auf junge Frauen einen negativen Einfluss hat und sie denken, dass es einfacher ist als ein herkömmlicher Job?
Eine große Gefahr von OnlyFans ist, dass man dazu verleitet wird, Sachen zu machen, die man eigentlich nicht möchte. Man tut sie manchmal trotzdem, weil man dafür bezahlt wird. Mit meinen fast 40 Jahren bin ich lebenserfahren genug, um sagen zu können, dass ich das Geld nicht brauche. Ich kann aber verstehen, dass junge Frauen das eher machen, weil sie damit ihr Studium finanzieren. Das ist glaube ich schon ein Problem, da würde ich mir wirklich mehr Aufklärung wünschen.