„Ich wurde damals von Universal, meinem Label, gefragt, ob ich beim Vorentscheid mitmachen möchte. Eigentlich wollte ich mir erstmal eine Pause von den ganzen Wettbewerben gönnen, aber dann dachte ich: Okay, wenn du jetzt noch im Geschäft bleiben willst, musst du mitmachen.“
„The Voice of Germany“ – Hat es sich ausgesungen?
Ein Druck auf den Buzzer und der Stuhl dreht sich in Richtung Bühne. Mit Spannung warten die Kandidat*innen auf diesen Moment. Es ist ein Augenblick der Hoffnung, der das Sprungbrett in eine professionelle Karriere sein könnte.
Genau dieser Augenblick spiegelt den besonderen Ansatz der weltweit bekannten Gesangs-Castingshow „The Voice of Germany“ wider. Im Gegensatz zu anderen Talentwettbewerben wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Popstars“ legt diese Show den Schwerpunkt auf die Stimme der Kandidat*innen anstatt auf deren gesamtes künstlerisches Erscheinungsbild. Seit der ersten Ausstrahlung im Jahr 2011 hat sich „The Voice of Germany“ zu einem beliebten Format im deutschen Fernsehsender entwickelt. Obwohl die Sendung der ProSiebenSat.1 Media SE durch ihren besonderen Ansatz eine breite Plattform für Talente bietet, bleibt die Frage, wie nachhaltig der Erfolg der Gewinner*innen in der hart umkämpften Musikindustrie ist.
Von der Bühne ins Business: Der Karriereweg nach „The Voice of Germany“
„The Voice of Germany“ eröffnet den Kandidat*innen die Möglichkeit, in die Musikbranche einzutreten. Durch die mediale Präsenz der Show erlangen sie Aufmerksamkeit und Bekanntheit, die ihnen helfen kann, sich in der Musikszene zu etablieren. Bereits während der Show knüpfen die Kandidat*innen erste wichtige Kontakte zu Musiker*innen, Produzent*innen und Branchenvertreter*innen. Durch die Zusammenarbeit mit erfahrenen Coaches können die Teilnehmer*innen ihre gesanglichen Fähigkeiten verbessern und wertvolle Einblicke in die Musikbranche gewinnen. Soweit das Konzept.
Jamie-Lee Kriewitz, die Gewinnerin der fünften Staffel, ist eine der Finalist*innen, die es „geschafft“ hat. Vor ihrer Teilnahme an „The Voice of Germany“ hatte sie keinerlei Kontakte in die Musikbranche. Die Show erwies sich für sie als wichtiges Karrieresprungbrett. Schon kurz nach ihrem Sieg erhielt sie Anfragen für verschiedene TV-Shows wie zum Beispiel „Schlag den Star“. Außerdem eröffnete die Show ihr die Möglichkeit, beim „Eurovision Song Contest“ (ESC) anzutreten. Und sie war nicht die Einzige. Unsere Netzwerkanalyse hat gezeigt, dass insgesamt fünf ehemalige Finalist*innen von „The Voice of Germany“ nach der Show am ESC-Vorentscheid teilnehmen durften. Diese beispielhafte Verbindung zwischen den beiden Shows verdeutlicht, wie „The Voice of Germany“ Künstler*innen eine Plattform bietet, sich in der Musikindustrie zu etablieren und weitere Karrieremöglichkeiten zu erschließen. Doch mit dem plötzlichen Ruhm wuchs für Jamie-Lee auch der Druck. „Ich wurde damals von Universal, meinem Label, gefragt, ob ich beim Vorentscheid mitmachen möchte. Eigentlich wollte ich mir erstmal eine Pause von den ganzen Wettbewerben gönnen, aber dann dachte ich: Okay, wenn du jetzt noch im Geschäft bleiben willst, musst du mitmachen.“
Von der Euphorie zur Ernüchterung – Ein Blick auf die Entwicklung des Formats
Damit hat die 26-jährige Recht. Denn: Wer über die anfängliche Begeisterung beim Mitmachen einer Castingshow dabei bleiben will, muss liefern. Vor allem die erste Staffel brachte Kandidat*innen hervor, die nachhaltig in der Musikbranche Fuß fassen konnten. Finalist*innen wie Michael Schulte und Max Giesinger profitierten von der Neuheit des Formats und konnten ihre Karriere vorantreiben. Doch wie steht es um die Vernetzung der Teilnehmer*innen in den späteren Staffeln? Unsere Netzwerkanalyse wirft einen Blick auf diese Entwicklung. Was sofort auffällt: Die erste Staffel war aufgrund des neuen Formats eine Ausnahme, keine andere Staffel war so gut vernetzt. Die Finalist*innen der späteren Staffeln waren zwar nicht durchgängig schlechter, aber tendenziell weniger gut vernetzt. Doch woran könnte das liegen?
Die Finalist*innen späterer Staffeln standen vor der wachsenden Herausforderung, sich in der hart umkämpften Musikindustrie behaupten zu müssen. Der Markt scheint mittlerweile übersättigt, die Erwartungen an neue Talente sind gestiegen und die Konkurrenz wächst stetig. Es geht nicht mehr nur darum, eine gute Stimme zu haben, sondern sich auch effektiv zu vermarkten. Social Media könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen. Plattformen wie Instagram, YouTube und TikTok bieten Künstler*innen die Möglichkeit, ihre Musik einem breiten Publikum zu präsentieren und direkt mit ihren Fans zu interagieren. Eine starke Präsenz in den sozialen Medien kann daher zum Erfolg in der heutigen Musikbranche beitragen. In diesem Kontext wird deutlich, dass sich auch die Fernsehgewohnheiten des Publikums verändern. Holger Schramm, Professor für Medien- und Wirtschaftskommunikation am Institut für Mensch-Computer-Medien der Universität Würzburg argumentiert, dass das nachlassende Interesse an „The Voice of Germany“ weniger mit der Qualität der Show selbst zu tun hat, sondern vielmehr damit, dass das Publikum nach neuen Konzepten und frischen Ansätzen in der Unterhaltungswelt sucht. Er betont, dass die Ausrichtung auf eine ältere Zielgruppe und die Länge der Sendungen eher den Fernsehgewohnheiten der Generation X entsprechen, was jüngere Zuschauer*innen abschrecken könnte. Schramm unterstreicht die Notwendigkeit für Fernsehformate, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und den Zeitgeist der verschiedenen Generationen anzupassen.
Jamie-Lee äußert sich kritisch über den aktuellen Zustand der Show. Sie beobachtet einen deutlichen Verlust des Hypes und vermutet, dass bei der Produktion zunehmend an Geld gespart wird. Die frühere Begeisterung und langfristige Unterstützung für die Gewinner*innen scheint nachgelassen zu haben. Früher konnten sich die Fans durch Anrufe für ihre Lieblingskandidat*innen einsetzen und auf eine erfolgreiche Karriere nach dem Sieg hoffen. Heutzutage ist dieser langfristige Erfolg jedoch seltener und die Gewinner*innen kämpfen oft damit, sich in der Musikbranche zu etablieren. Es scheint, als hätte sich der Fokus der Show im Laufe der Zeit stark verschoben. Statt den Fokus auf das Talent und die Entwicklung der Kandidat*innen zu legen, steht jetzt umso mehr die Unterhaltung des Publikums im Mittelpunkt. Jamie-Lee merkt an, dass dies auch daran zu erkennen ist, dass die Coaches eine immer größere Rolle in der Show spielen. Sie treten häufiger selbst auf der Bühne auf und veranstalten unterhaltsame „Battles“, um Kandidat*innen für ihr Team zu gewinnen.
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Die Coachwahl bei „The Voice of Germany“: Erfolgsfaktor oder Ratgeber*in?
Bei „The Voice of Germany“ nimmt der Coach also eine bedeutende Rolle ein. Er bestimmt die Songauswahl für die Kandidat*innen, entscheidet über die Battle-Paarungen und soll den Teilnehmer*innen wertvolle Tipps geben. Aber ist der Coach auch entscheidend für den weiteren Erfolg der Kandidat*innen?
Schramm betont, dass der Coach bestimmte Facetten der Kandidat*innen berücksichtigen oder in den Vordergrund rücken kann. Er kommentiert die Leistungen, tröstet und motiviert. Jamie-Lee ergänzt aus ihrer persönlichen Erfahrung, dass die Wahl des Coaches nicht unbedingt ausschlaggebend für den Erfolg der Kandidat*innen ist, sondern eher das persönliche Wohlbefinden beeinflusst. Trotzdem haben Coaches, die bereits an früheren Staffeln der Show teilgenommen haben, ein besseres Gespür dafür, welche Songs beim Publikum gut ankommen und worauf es in der Show ankommt.
Dennoch liegt der größte Anteil des Erfolgs sicherlich beim oder bei der Kandidat*in selbst. Und das zeigt auch unsere Netzwerkanalyse. Wer in der Musikbranche erfolgreich sein will, muss authentisch sein, Emotionen zeigen und eine besondere Persönlichkeit präsentieren. Außerdem braucht man eine klare, unverwechselbare Stimme und ein gewisses Gesangstalent, um aus der Masse herauszustechen.
Für die Netzwerkanalyse wurden die Finalist*innen der Staffeln 1-13 von „The Voice of Germany“ erfasst. Untersucht wurden die Verbindungen der Finalist*innen zu Akteur*innen der Musikbranche sowie zu anderen Fernsehsendungen.
Alle erhobenen Daten sind gesammelt auf Github hinterlegt.