Leben mit Rheuma

„Ich könnte mich jedes Mal totärgern über diese Unwissenheit“

Ein Leben mit Behinderung zieht einen Schatten mit sich
31. Mai 2023
Franziska sieht auf den ersten Blick aus wie eine ganz normale junge Frau. Doch sie leidet an Rheuma. Wie ist es, mit so einer Krankheit zu leben? Und wie reagiert ihr Umfeld auf sie und ihre Krankheit? Über das und vieles mehr spricht die 21-Jährige im Interview.

Hallo Franzi, Du leidest an Rheuma. Wie würdest du deine Krankheit beschreiben?

(überlegt lange) Wenn ich es medizinisch beschreiben müsste, würde ich sagen, dass es eine chronische Autoimmunerkrankung ist, bei der sich das körpereigene Immunsystem praktisch selbst angreift. Dadurch entstehen verschiedene Entzündungen an Gelenken, an der Haut oder an den Sehnenansätzen. Das führt zu starken Schmerzen und im schlimmsten Fall gravierenden Bewegungseinschränkungen. Oft verformen sich dadurch auch die Gelenke. Das ist ähnlich wie bei einer Arthrose, wo sich einzelne Muskelgruppen abbauen. Aber wenn ich es mit meinen eigenen Worten, geprägt durch meine eigenen Erfahrungen, sagen müsste: Rheuma ist ein blödes Paket, dass einem das Leben wortwörtlich auf den Rücken bindet. Aber um meine Positivität nicht zu verlieren, sage ich mir nicht selten: Es geht natürlich immer noch schlimmer.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es für den Fall einer Rheuma-Diagnose?

Leider kann man Rheuma nicht heilen, man kann es nur lindern. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten: Zum einen gäbe es die medikamentöse Therapie. Da wird häufig ein Medikament gegeben, mit dem man das Immunsystem ein bisschen herunterfährt, um zu verhindern, dass es sich selbst angreift. Man kann auch Ergo- und Physiotherapie in Anspruch nehmen, um die Beweglichkeit nicht zu verlieren. Und das ist noch lange nicht alles. Es gibt mittlerweile einen großen Topf mit Angeboten, aus denen Rheuma-Patienten schöpfen können.

Wie wurde Rheuma bei dir persönlich festgestellt?

Vermutlich hatte ich es schon von Geburt an. Aber mit zwei Jahren wurde es auffällig, als ich anfing, zu laufen. Mit der Zeit wurde ich immer lauffauler und habe mich gewehrt, wenn meine Eltern mich mit rausnehmen wollten. Sie haben lange Zeit gedacht, ich wäre nur ein trotziges Kind. Irgendwann hat dann vor allem meine Mutter gemerkt, dass etwas mit mir nicht stimmt und ist mit mir zu verschiedenen Ärzten gegangen. Ich weiß noch, als erstes wurde bei mir ein Hüftschnupfen (vorübergehende Entzündung des Hüftgelenks, Anm. d. Red.) diagnostiziert. Als dann aber meine Symptome nach mehreren Monaten noch nicht weg waren, wurde ich genauer untersucht. Später kam der Verdacht auf, es könne Rheuma sein, ich wurde an einen Spezialisten verwiesen und bekam dann meine offizielle Diagnose. Meine Familie war erstmal geschockt.

Mit so einer Diagnose umzugehen, ist sicher nicht leicht. Wie war das in deiner Kindheit? Hast du dich anders gefühlt als andere Kinder?

Komisch habe ich mich schon gefühlt, ich konnte im Kindergarten nicht mit so viel Enthusiasmus über den Spielplatz toben oder in der Schule auch nie im Sportunterricht mitmachen. Aber trotzdem habe ich viel mit gleichaltrigen Kindern gemacht.  Ich würde also nicht sagen, dass ich mich sehr anders gefühlt habe, aber ich fand die vielen Arzt- und Therapietermine neben der Schule nervig, weil ich wahrscheinlich weniger Freizeit hatte als andere Kinder. Aber, gemessen an meiner Erkrankung, ist das auch irgendwie im Nachhinein betrachtet Meckern auf sehr hohem Niveau gewesen (lacht).

 Hast du Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht?

Zum Glück ist mir das bisher selten passiert. In meinem Umfeld waren alle sehr tolerant. Ich komme vom Dorf, da kennt jeder Jeden. Meinen Klassenkameraden hat es sogar sehr viel Spaß gemacht, mir zu helfen. Es gab oft lautstarken Streit, wer meinen Rollstuhl schieben oder meine Krücken halten darf (lacht). Als ich die Schule wechselte, haben meine neuen Mitschüler auch oft nachgefragt, warum ich manche Dinge nicht so gut kann. Aber das war nie böswillig.  Blöde Kommentare kommen eher von älteren Menschen. Wenn ich mich im Bus hinsetze und nicht direkt aufstehe, wenn jemand kommt, beginnt öfter eine Diskussion, weil diese Menschen dann nicht verstehen, dass ich nicht so lange stehen kann. „Sie sind doch noch jung, können Sie nicht ein bisschen stehen?“ ist dann immer das größte Argument. Ich könnte mich jedes Mal totärgern über diese Unwissenheit, die in der Gesellschaft existiert. Rheuma ist keine „Alte-Leute-Krankheit“, sie kann jeden treffen.

„Rheuma ist keine ,Alte-Leute-Krankheit‘ und kann jeden treffen“

Franziska

Solche Erfahrungen sind sicher nicht leicht zu verarbeiten. Hast du in deinem Leben je an dir gezweifelt? Wie bist du damit umgegangen?

Anfangs ging es mir tatsächlich schlecht, wenn ich zum Beispiel älteren Menschen den Platz im Bus weggenommen habe. Aber ich habe gelernt, dass es manchmal auch um mich gehen muss. Das soll nicht egoistisch klingen, aber wäre ich damals im Bus aufgestanden, hätte ich Schmerzen gehabt. Damit täte ich mir und meiner Gesundheit keinen Gefallen. Ich habe dann eher Zweifel an der Menschheit, wie man so intolerant sein kann. Viele Leute sehen nur ihr Recht. Oft zeige ich dann auch einfach meinen Behindertenausweis und bestehe auf mein Recht. Solche Diskussionen machen mich immer wieder traurig.

Wer sind deine größten Stützen?

Als Erstes ist da meine Mama. Sie hat alles für mich gemacht. Bei jeden Arzttermin stand sie an meiner Seite. Auch wichtig waren mein Bruder und mein Vater, die meine Mutter immer entlastet und sich um Haushalt etc. gekümmert haben.  Auch mein Opa hat mir immer Kraft gegeben, weil ich mit ihm über alles sprechen konnte. In meiner Schule gab es auch eine Lehrerin, die mich in der Schule toll unterstützt und auch meine Klassenkameraden über meine Krankheit aufgeklärt hat. Auch meine beste Freundin hat mich in der Schule immer begleitet und mir geholfen. Nicht vergessen will ich auch meine vielen Ärzte und Therapeuten, die mich auf höchstem Niveau und mit Zuversicht betreut haben.

Heute studierst du Erziehungswissenschaften. Wieso hat du dich für ein Studium entschieden?

 Früher wollte ich nach der Schule ins Ausland, aber als ich 2021 mein Abi geschafft hatte, ließ Corona diese Pläne platzen. Dann habe ich mich entschieden, zu studieren. Es war ein Wunsch von mir, den ich realisiert habe. Erziehungswissenschaften mache ich, weil ich sehr sozial veranlagt bin. Studieren ist gar nicht so anders als Schule. Ob in der Schule Arbeiten oder in der Uni Hausarbeiten, macht keinen Unterschied.  An der Uni habe ich schnell Unterstützer gefunden. Heute hat auch fast jede Universität in Deutschland ein Beratungszentrum für Behinderte, das bei Anliegen rund ums Studium  toll unterstützt. Wenn man sich früh umschaut, stößt man auf ein breites Angebot.

Wie sieht dieses Angebot aus? Was tut deine Uni, um dir den Alltag zu erleichtern?

Alles klappt erstaunlich gut. Ich habe mir meinen Stundenplan selbst so zusammengestellt, dass ich noch Therapien wie Ergo und Physio wahrnehmen kann. Zwei Tage in der Woche habe ich frei, da kann ich dann mal komplett runterfahren und mich erholen. An Unitagen muss ich mich dann mit dem ganz normalen Wahnsinn der öffentlichen Verkehrsmittel herumschlagen.  Das ist aber gut machbar (lacht). Hier ist alles sehr nah beieinander. Wenn ich während einer Vorlesung eine Pause brauche, stellt mir die Uni einen Ruheraum zur Verfügung, in dem ich kurz wieder zu mir finden kann. 

Wo würdest du dir mehr Unterstützung von deiner Uni wünschen?

Der Austausch mit Dozenten ist manchmal schwierig. Ich habe zwar einen Förderplan, auf dem festgehalten ist, welche Hilfen ich benötige, aber oft herrscht bei Dozenten über die Umsetzung Unklarheit. Dann kommt eine Telefonlawine ins Rollen, bei der dann nach der Umsetzung des Plans gefragt wird. Das ist manchmal echt entnervend. Aber im Gesamten ist das auch kein Drama.

Zum Schluss noch eine etwas philosophische Frage: Wenn du in der aktuellen Gesellschaft etwas ändern könntest, was wäre es?

Es sollte ein Bewusstsein für chronisch kranke Menschen geben. Nicht nur ältere Menschen, sondern auch die Mitte der Gesellschaft ist betroffen. Es muss eine neue Toleranz her. Man sollte schon in der Schule mit der Aufklärung über Krankheitsbilder wie meines beginnen und Menschen wie mich nicht als „Kranke“ behandeln. Ich möchte Hilfe, aber kein Mitleid. Ich bin ein ganz normaler Mensch – wie jeder andere auch.