Stuttgart 21 2 Minuten 30 Sekunden

Die Macht des Aktivismus

Mahnwache der S21 Gegner vor dem Hauptbahnhof
Aktivistische Gruppen wie die Mahnwache haben stets ein wachendes Auge auf das Projekt | Quelle: David Vogt
29. Mai 2024

Im Wirrwarr aus Politiker*innen, Baufirmen und Lobbyist*innen werden Aktivist*innen gerne vergessen, dabei ist ihr Einfluss auf Stuttgart 21 immer noch groß. Das zeigt das Beispiel des Gangolf Stocker. 

Linken Politiker Gregor Gysi auf einer Demo der Aktiven Parkschützer - dieses Bündnis leuchtet nicht jedem auf den ersten Blick ein. Der Grund dafür ist eines der größten Bauprojekte in Deutschland - Stuttgart 21. Der Hauptbahnhof der schwäbischen Großstadt soll unter die Erde. Unter Aktivist*innen entbrennt darüber ein bitterer Streit. 

Alles beginnt im Jahre 1994: Auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz wird ein Projekt vorgestellt, dass den Stuttgarter Bahnverkehr revolutionieren und als Vorbild für die ganze Nation dienen soll: Stuttgart 21. Dass das Konzept nicht bei allen Bürger*innen gut ankommt, ist der Projektleitung natürlich bewusst. Deshalb auch die kurzfristige Ansetzung der Presserunde: "Wir haben bewusst so eine überfallartige Aktion gewählt - damit lässt man den Gegnern keine Chance, rechtzeitig zu reagieren.", sagt Bauchef Heinz Dürr damals ganz offen mit einem verschmitzten Lächeln. 

Doch der Plan geht schief: Kurz nach der Verkündung des Projekts weisen Naturschutzorganisationen auf die großen Gefahren für die Umwelt, die das Projekt birgt hin. Schnell finden sich erste Gegner*innen zusammen und gründen Protestbündnisse. 1998 entwickeln sie eine Gegenidee, die später unter dem Namen "Kopfbahnhof 21" populär werden sollte. 

Kopfbahnhof 21

Der Name "Kopfbahnhof 21" beschreibt eine alternative Bauidee zum umstrittenen Großprojekt Stuttgart 21. Die Grundidee des Alternativprojekts liegt demnach in der Modernisierung des Bahnhofs mit großräumigen Bahnsteigen und dem Umbau des Gleisvorfeldes. Zudem sollen die Zulaufstrecken ausgebaut und Anbindungen der Neubaustrecke nach Ulm und des Flughafens geschaffen werden. Von K21 zitierte Expert*innen gehen von geschätzt 800 Milliarden Euro Kosten für das hypothetische Projekt aus. 

Neben dem Bündnis erlangt in dieser Zeit ein weiterer Aktivist große Bekanntheit. Gangolf Stocker gilt bis heute als eines der Gesichter für Protestaktionen rund um Stuttgart 21. Bereits 1995 beginnt der gelernte Vermessungstechniker mit seinem Engagement gegen das Großprojekt. Flugblätter erreichen auf seine Initiative hin viele Stuttgarter Bürger*innen. Später bekommt Stocker Unterstützung von verschiedenen Naturschutzorganisationen, wodurch sich seine Initiative mit der Zeit in ein großes Aktionsbündnis verwandelt. 

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Später stößt auch noch der Grünen-Politiker Werner Wölfle zu dem Bündnis hinzu und initiiert ein Bürgerbegehren gegen Stuttgart 21. Die Unterstützung für Stocker erreicht ihren Höhepunkt. Das Bürgerbegehren wird mit über 61.000 Stimmen das erfolgreichste in der Geschichte der Stadt Stuttgart. Doch die Initiatoren des Projekts machen diesen Erfolg schnell zunichte: Sie veranlassen ein Rechtsgutachten, welches das Bürgerbegehren schließlich als nichtig und illegal einstuft. Der Einspruch von Stocker bleibt wirkungslos: Das Verwaltungsgericht lehnt die Klage ab und erhält das Urteil aufrecht. 

Als sich Bürger im Spätherbst 2009 jeden Montag am Stuttgarter Hauptbahnhof treffen, um dort zu demonstrieren, schließt sich auch Gangolf Stocker schnell an. Mit der Zeit wächst er in diesem Bündnis zu einer Führungspersönlichkeit heran und übernimmt einen großen Teil der öffentlichen Kommunikation für die "Montagsdemonstrationen". Außerdem weitet er die Proteste aus,  seit Juli 2010 veranstaltet sein Aktionsbündnis auch Freitags regelmäßig Demonstrationen, die in der Gesellschaft großen Anklang finden. Laut Angaben der Polizei nehmen an den Protesten zu dieser Zeit zwischen 63.000 und 150.000 Menschen teil. 

Am 20.Januar 2011 wird Stocker schließlich zu einer Geldstrafe von 1500 Euro verurteilt. Als Begründung führt das Gericht an, dass Stocker "gegen seine Pflichten als Versammlungsleiter" verstoßen habe. Eine konkrete Definition dieser Pflichten gibt das Gericht jedoch nicht an. Gegen das Urteil legt Stocker 2013 erfolgreich Berufung ein. In einer erneuten Verhandlung wird Stocker jedoch 2014 wieder zu einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt. 

Weil sich in den darauffolgenden Jahren seine Gesundheit rapide verschlechtert, scheide er im April 2016 aus all seinen Ämtern aus. Er stirbt am 26.März 2021. Sein Einfluss auf das Projekt Stuttgart 21 bleibt jedoch vielen Menschen bis heute in Erinnerung. Und sein Bündnis lebt weiter. 

Im Rahmen dieser Recherche wurde sich auch den Verbindungen der Politik und der Wirtschaft zum Großprojekt Stuttgart 21 gewidmet. Du findest den Artikel hier nachfolgend verlinkt: