Drogen 3 Minuten

Identitätsrausch

Andreas* war über dreißig Jahre Drogenabhängig
Andreas* verlor über dreißig Jahre seine Wahrnehmung aufgrund seiner Drogensucht | Quelle: Manuel Mennel
11. Dez. 2023

Der langjährige Kampf gegen die Drogensucht: Andreas Müller* teilt seine erschütternde Geschichte, die mit Haschisch begann und die bis hin zu Heroin führte. Über 30 Jahre lang verlor er den Bezug zur Realität, kämpfte mit Selbstmordgedanken und Depressionen. Heute erzählt er von den tiefgreifenden Auswirkungen, die Drogen auf seine Identität hatten und immer noch haben.

 

„Von heute aus gesehen war ich mit 14 Jahren schon drogenabhängig und habe über 30 Jahre lang Drogen konsumiert! Angefangen hat es mit täglichem Haschisch und Alkohol, über LSD und Kokain bis hin zu Heroin. Aber das liegt alles hinter mir“, erzählt Andreas Müller* 

Schon in der siebten Klasse hat Andreas zum ersten Mal Haschisch konsumiert: „Eigentlich habe ich nur aus Neugier und auch aus dem Aspekt des Gruppenzwangs angefangen, Drogen zu nehmen. Ich wollte dazugehören und nicht mehr gehänselt werden“. Andreas geriet schnell in die Abhängigkeit. Irgendwie habe er das auch gespürt, erzählt er. Andreas* ignorierte aber die Abhängigkeit und konsumierte weiter. Zur Erklärung, mit Sucht ist nicht nur die Abhängigkeit von bestimmten Substanzen gemeint, sondern generell riskantes, missbräuchliches und abhängiges Verhalten im Umgang mit Suchtmitteln.


 

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Vom Rausch zur Realitätsflucht

„Wir hörten von einem Mann in meiner Nachbarschaft, der sich von einem Hochhaus stürzte. Der Grund war der Konsum von LSD, der dazu führte, dass der Mann zwischen Realität und Halluzination nicht mehr unterscheiden konnte “. Andreas* erzählt auch, wie er unter dem Einfluss von LSD Gewichte stemmen konnte, die er im Normalfall nie geschafft hätte. Aber auch von Leuten, die unter diesem Einfluss einbetonierte Fahrradständer einfach aus dem Boden rissen. Da es sich bei LSD um eine psychedelische Droge handelt, die einen starken Einfluss auf die Psyche hat, kann es beim Konsum zu Halluzinationen kommen. Diese Halluzinationen können zu Unfällen oder selbstzerstörerischen Handlungen führen, wie sie auch von Andreas* beschrieben wurden. Außerdem können Depressionen, Verfolgungswahn oder Psychosen schon bei einmaligem Konsum auftreten.  
 

Von allen Drogen, die er genommen habe, habe Heroin die stärkste und schönste Wirkung auf ihn gehabt. 

„Die Wirkung war so, wie ich mich am liebsten jeden Tag fühlen würde! Innerlich ruhig und gut gelaunt. Außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass man nach nur einer Heroinspritze süchtig wird“.  Hier ist Andreas* kein Einzelfall! Oft haben Konsumenten Probleme, Ängste und negative Gefühle. Heroin beseitigt diese negativen Emotionen. Probleme, Konflikte und Belastungen des Alltags werden nicht mehr als solche wahrgenommen. Es entsteht ein euphorisches Gefühl, das der Konsument wiederholt erleben möchte, um nicht in die Realität mit ihren Herausforderungen und Konflikten zurückzukehren.

In den Momenten, in denen Andreas* keine berauschenden Substanzen um sich hatte, traten häufig Selbstmordgedanken und schwere Depressionen auf. Zur Verdeutlichung für Außenstehenden nennt er das Gefühl einer schweren Grippe oder sogar einer Lungenentzündung. Als er seine Drogen bekam, wurde ihm oft übel vor lauter Freude, wieder konsumieren zu können. Gerade bei Drogen wie Heroin brauchen Abhängige immer mehr Stoff in immer kürzerer Zeit. Es geht nicht mehr um den sogenannten Kick, sondern nur noch darum, die Entzugserscheinungen zu lindern. „Ich hatte die Lebensrealität verloren, morgens nach dem Aufstehen habe ich immer sofort geschaut, wo ich meinen Stoff herbekomme, und das über Jahre hinweg. Ich hatte Stimmungsschwankungen und einen Realitätsverlust“, erzählt mir Andreas*. Um seinen Drogenkonsum zu finanzieren, verkaufte er selbst jahrelang Drogen wie Haschisch und Kokain. Auch vor Diebstählen schreckte er nicht zurück. Als Konsequenz wurde Andreas* beim Handel mit Kokain erwischt. Der Richter stellte ihn vor die Wahl: Entweder ins Gefängnis zu gehen oder eine Therapie zu beginnen. Andreas entschied sich für die Therapie, die er bis heute aktiv verfolgt.

 

 

 

Beschaffungskriminalität bezieht sich auf sämtliche kriminelle Aktivitäten, die darauf abzielen, Betäubungsmittel zu erlangen oder deren Finanzierung sicherzustellen. Dies umfasst Delikte wie Handel mit Drogen, Diebstahl oder Raub im Zusammenhang mit Drogenabhängigkeit. Individuell, mit welcher Menge man beim Handel erwischt wird, kann es zu Geldstrafen, Therapieanordnungen oder einer Haftstrafe kommen.

Sucht, Streit und Neuanfang

  Eine Folge seiner Drogensucht war auch der jahrelange Streit mit seiner Familie. In der Zeit der Sucht und der Obdachlosigkeit forderte die Familie verzweifelt und immer öfter, dass er einen Entzug machen sollte. Andreas* fühlte sich angegriffen und gekränkt, weil er wusste, dass seine Familie recht hatte, dies aber nicht einsehen wollte. Auf die Hilfe seiner Familie reagierte er entweder mit Ignoranz, Provokation oder Aggression. „Guck Mutter, heute spritze ich wieder!“, und zeigte vor ihr auf eine Stelle seines Armes, wo er vorhatte, die nächste Heroinspritze zu injizieren. Da er in der Phase der Obdachlosigkeit weiterhin auf sein Äußeres achtete und so seine Sucht möglichst verbergen wollte, bemerkten viele Menschen in seinem Umfeld nicht, in welcher Situation er sich befand.  
 

Aktuell nimmt Andreas* immer noch Methadon, das ihm vom Arzt verschrieben wird. Ab und zu konsumiert er auch noch Gras und Alkohol. Bis heute sind Drogen Teil seines Alltags, so erzählt er mir. Das aber viel kontrollierter als früher, anstatt achtzehn Bier trinkt er nach der Arbeit nur noch zwei, will das aber in Zukunft noch weiter reduzieren. Außerdem arbeitet er schon seit fünf Jahren bei der Caritas, sammelt unter anderem Drogenspritzen in Stuttgart ein und notiert, wo diese gefunden wurden. Auch mit seiner Familie hat er sich wieder versöhnt und Sie haben die Streitigkeiten hinter sich gelassen. „Psychisch und körperlich geht es mir heute viel besser. Wenn ich den Sprung weg von dem unkontrollierten Konsum von Straßen-Drogen nicht geschafft hätte, wäre ich jetzt entweder im Grab, in irgendeiner Klinik oder psychisch am Ende“, sagt Andreas*. Die Folgen seines Drogenkonsums sind heute noch spürbar. Beispiele sind erhöhte Leberwerte oder auch neue Zähne, die Alten wurden durch die Drogen zerstört. Generell können Drogen, vor allem bei regelmäßigem Konsum, zu einer Veränderung der Identität führen und zu körperlichem Schäden. Langzeitfolgen von Heroin sind zum Beispiel kognitive Beeinträchtigungen, Einschränkung der Lebensqualität und Herz-Kreislauf-Probleme. 

*Andreas Müller ist Drogenabhängig | Quelle: Manuel Mennel
Heute arbeitet er bei der Caritas in Stuttgart | Quelle: Manuel Mennel
Notieren und einsammeln von Spritzen gehören heute zu seinen Aufgaben | Quelle: Manuel Mennel

Rückblick und Botschaft

Andreas* richtet sich am Ende unseres Gespräches auch an euch: „Unterschätzt nicht die Gefahren von Drogen, besonders in der heutigen Zeit, wo sie oft viel stärker sind und mit gefährlichen Substanzen gestreckt werden!“ Seine Worte sind nicht nur eine Warnung, sondern auch ein reflektierter Rückblick auf sein eigenes Leben. Angesichts seiner Sucht und der Zeiten der Obdachlosigkeit erkennt er die verpassten Chancen – sei es in Bezug auf Gesundheit, soziale Kontakte, Familie, Arbeit oder Weiterbildung. Die Drogen haben seine Identität und Wahrnehmung derart verändert, dass viele Möglichkeiten ungenutzt blieben.

In diesem Artikel wurde der Name Andreas Müller* als Pseudonym verwendet, um die Privatsphäre und Anonymität des Interviewpartners zu schützen. Alle im Artikel beschriebenen Erfahrungen und Aussagen beziehen sich auf die realen Erlebnisse der befragten Person.

Ansprechpartner bei einer Drogensucht:

Caritas: +49 711 248929-10

Klinikum Stuttgart: +49711 278-29300