„Solange es gesund bleibt, ist es ja auch ein schöner Lifestyle, den man auch gerne öffentlich als Vorbild nehmen kann.“
Nehmen Trends unser Leben ein?
Dezent geschminkt, die Haare in einem Sleek-Bun und mit dem perfekten Outfit räumt auch schon die nächste Creatorin ihre Wohnung auf. Stundenlang kann man unter #cleangirl durch TikTok scrollen. Rund 375 Tausend Beiträge findet man unter dem Hashtag. Doch die unzähligen Inspirationsvideos lösen häufig eher andere Gefühle aus: Frust und den Wunsch, einmal genau so „clean“ zu sein, wie die Mädchen, die diesen Trend auf den sozialen Medien ausleben. Kommentare wie „Ich will ihr Leben.“ oder „Wie perfekt ihr Leben ist.“ zeigen das.
„Wie Clean Girls unser Leben zerstören“ – das war der Titel eines mittlerweile gelöschten YouTube-Videos der Influencerin Kayla Shyx. Seit diesem Video werden die verschiedenen Meinungen zum Clean Girl Trend laut. Kritiker*innen sehen den vermeintlich perfekten, aber aufgesetzten Lebensstil als problematisch an. Befürworter*innen sind der Meinung, dass man sich an der Ästhetik des Trends orientieren kann. „Inspirationsquelle“, so bezeichnet sich Amelie. Die Studentin und Creatorin postet neben ihrem Studium täglich Clean Girl Content auf den sozialen Medien. Für sie ist klar: Ihr Leben, wie sie es im Internet zeigt, ist nicht komplett real. Sie selbst zeigt gerne die Ausschnitte ihres Alltags, in denen sie sich selbst schön findet oder bei denen sie das Gefühl hat, das könnte ihre Follower*innen interessieren. Die Kritik rund um den Clean Girl Trend kann Amelie nicht bestätigen. „Solange es gesund bleibt, ist es ja auch ein schöner Lifestyle, den man auch gerne öffentlich als Vorbild nehmen kann.“ Verglichen mit anderen Trends, die im Internet kursieren, sieht sie den Clean Girl Trend als eher harmlos an.
Das Mädchen von nebenan
Doch auch wenn vielen bewusst ist, dass das Leben anderer auf Social Media inszeniert und alles andere als real ist, so wirken Menschen dort viel authentischer und nahbarer als Prominente aus Film und Fernsehen. „Wenn man sich einen Filmstar oder ein Supermodel anschaut, dann weiß man, das ist eine Person, die tut wahnsinnig viel dafür, so auszusehen.“, so Hanna Klimpe, Professorin für Social Media an der HAW Hamburg. Influencerinnen hingegen wirken, als wären sie das Mädchen von nebenan. Eine Studie zeigt, dass dadurch der Druck viel höher wird, so aussehen zu wollen, wie die schöne Frau auf der anderen Seite des Bildschirms. Durch die Nahbarkeit, die in den sozialen Medien herrscht, bekomme man schnell das Gefühl, dass es erreichbar sei, denselben Lifestyle zu leben wie die Influencerinnen, führt Klimpe weiter aus. Beiläufig werden Skincare-Artikel empfohlen und beworben und die Zuschauer*innen kaufen diese nach, in der Hoffnung so auszusehen, wie das eigene Vorbild.
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Wenn Clean Girls „clean“ sind, ist der Rest dann „dirty“?
Der Name des Trends suggeriert nämlich genau das: Jedes Mädchen, das nicht der Ästhetik entspricht, passt nicht in das makellose und ordentliche Bild und ist somit nicht „clean“. Akne, zu viel Make-up und Outfits, die nicht zum Clean Girl Trend passen, werden als „unreinlich“ abgestempelt. So werden andere Schönheitsbilder eher negativ dargestellt. Eine aktuelle Studie sieht einen Zusammenhang in der Nutzung von Social Media und dem eigenen Körperbild. Performen die geposteten Beiträge nicht so gut, wie erhofft, kann dies zu einer größeren Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper führen. Wer hormonbedingt Hautprobleme hat oder sich die guten Make-up-Produkte nicht leisten kann, könnte sich demnach fragen: „Ist etwas falsch mit mir?“. „Der Trend suggeriert eben, dass dies das einzig gute Frauenbild ist“, kritisiert Klimpe. Dabei sei nichts falsch daran, sich beispielsweise mehr schminken zu wollen, als der Trend das vorsieht. Doch wer sich stundenlang auf Clean Girl TikTok umsieht, könnte möglicherweise den Eindruck bekommen, dass das, was man sieht, normal ist.
Amelie weiß, dass sie vielen ein Vorbild in Sachen Fashion und Ästhetik ist. Dennoch steht auch sie unter dem Druck der Ästhetik. Nicht jedes Outfit klickt sich gut und ein sonniger Tag bedeutet eins: Content produzieren. Da fällt die Wahl des Outfits schon mal eher auf den knalligen Pullover anstatt des geliebten weißen Tops. Amelie bemerkt die Auswirkungen, die die sozialen Medien auf ihr Wohlbefinden haben. „Bevor ich Social Media gemacht habe, habe ich mich kaum verglichen. Aber seitdem ich es mache, geht’s mir viel schlechter damit auf Social Media zu scrollen.“, erklärt sie. Der Druck, so viel Reichweite wie andere Content Creatorinnen zu erhalten, sei groß.
Wer sich länger mit dem Hashtag #cleangirl beschäftigt, dem fällt eins auf. Die meisten Mädchen, deren Videos gezeigt werden, entsprechen dem Schönheitsideal: blond, schlank und makellose Haut. People of Color oder Plussize-Mädchen sind selten zu sehen. „Das liegt auch einfach daran, dass der Algorithmus solche Körperformen, die dem Schönheitsideal entsprechen, bevorzugt.“, erkennt Hanna Klimpe. Wer dem also nicht entspricht, hat eine geringere Chance auf große Reichweite. Amelie bestätigt das. Sie ist sich ihres Privilegs bewusst: „Irgendwo entspricht man ja auch einem Ideal.“
Warum eigentlich bei Trends mitmachen?
Trotz allem finden sich genügend Menschen, die nicht bei Trends mitmachen. Sie kümmern sich nicht darum, in irgendeine Ästhetik zu passen. Hashtags wie #mehrrealitätaufinstagram dienen hierbei als Gegenbewegung. Hanna Klimpe weist jedoch darauf hin, dass junge Menschen schon immer Trends gefolgt seien.
Trends sorgen für ein Zugehörigkeitsgefühl. Sie helfen dabei, die eigene Identität zu finden, klärt Klimpe auf. „So funktioniert Jugendkultur. Es gibt Dinge, die „in“ sind und mit denen man zu einer Peergroup gehört. Dinge, die man macht, um irgendwie dazuzugehören.“, erklärt sie. Trends gab es schon immer, nur wurden sie früher durch andere Medien, wie Jugendmagazine, verbreitet. Generell seien Trends erstmal nicht gefährlich, solange sie im Rahmen bleiben.
„So funktioniert Jugendkultur. Es gibt Dinge, die „in“ sind und mit denen man zu einer Peergroup gehört. Dinge, die man macht, um irgendwie dazuzugehören.“
Aus Trends wie dem Clean-Girl-Trend hole man sich meistens Inspiration und Orientierung, so Hanna Klimpe. Dennoch sollte man sich bei stundenlangem Scrollen auf Clean Girl TikTok stets bewusst sein, dass das, was man sieht, ausgewählte Ausschnitte sind. Denn das Leben von Amelie ist nicht immer „clean“: „Da wo ich filme, da liegt Chaos, aber das sieht man halt nicht, weil die Kamera nicht dahin zeigt.“