Katholiken verlassen die Kirche – Austritte auf Höchststand
Rund 360 000 Menschen sind im Jahr 2021 aus der katholischen Kirche ausgetreten. Das teilte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) in ihrem Abschlussbericht für das Jahr mit. Mit dieser Zahl ist ein neuer Rekord erreicht. In 2021 traten fast ein Drittel mehr Menschen als im bisherigen Rekordjahr 2019 aus der Kirche aus. Doch was ist der Grund für diese Austrittswelle?
Wendejahr 2010
Schaut man sich die Statistik der Kirchenaustritte seit 1990 an, sieht man einen ersten sprunghaften Anstieg im Jahr 2010. In diesem Jahr kam der Berliner Missbrauchsskandal ans Licht. Damals machte Pater Klaus Mertes, Leiter des Canisius-Kollegs der Jesuiten in Berlin in einem Brief die Missbrauchsfälle an seiner Schule bekannt. Demnach hätten Jesuiten in den 70er- und 80er-Jahren systematisch und über Jahre hinweg Schüler missbraucht. Der Brief war der Start für eine gesamtgesellschaftliche Debatte über Missbrauchsfälle in Deutschland. Nach Veröffentlichung wurden schnell auch weitere Fälle in anderen Bistümern deutschlandweit bekannt.
Ein weiterer Peak in 2014
Nach 2010 gingen die Austritte zunächst zurück, wenn auch etwas höher als vor dem Missbrauchsskandal. Einen erneuten Rekord verzeichnete die DBK dann im Jahr 2014 mit rund 218 000 Austritten. Allerdings lag die hohe Anzahl an Austritten diesmal nicht an einem Skandal. In diesem Jahr wurde die Art und Weise, wie die Kirchensteuer eingezogen wurde, geändert. Ab dem Folgejahr (2015) wurde die Kirchensteuer automatisch eingezogen. Viele Kirchenmitglieder hätten dies aber als Steuererhöhung missverstanden, so der ehemalige Vorsitzende der DBK Reinhard Kardinal Marz (Erzbischof von München). Er sah damals dieses Missverständnis als Grund für die vielen Austritte. Nicht jede Austrittswelle lässt sich also durch den Missbrauchsskandal und die Kommunikation der Kirche darüber erklären.
Der Fall Woelki in Köln
Die aktuell große Austrittswelle hängt jedoch wieder mit dem Missbrauchsskandal zusammen. Viel Arbeit wurde seit 2010 in die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle gesteckt. Doch nicht immer funktionierte das reibungslos. Für großes Aufsehen sorgte im Oktober 2020 der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, der ein Gutachten über den Umgang des Erzbistums mit Fällen von sexualisierter Gewalt während der vergangenen Jahrzehnte, nicht veröffentlichte. Diesem Skandal folgte die größte Austrittswelle aus der katholischen Kirche in Deutschland.
Allein im Bistum Köln traten im Jahr 2021 etwa 40 772 Menschen aus der Kirche aus. Das sind mehr als doppelt so viele, wie im Vorjahr. Der Trend lässt sich sehr ähnlich in den meisten anderen Bistümern in Deutschland erkennen. Dennoch steigt die Anzahl an Austritten in Köln (im Schaubild dunkelblau eingefärbt) am meisten. Es lässt sich hier durchaus ein lokaler Bezug erkennen. Obwohl der Skandal um Woelki deutschlandweit sehr präsent in den Medien war, scheint er nicht überall die gleichen Auswirkungen gehabt zu haben.
Der Blick auf ganz Deutschland
Setzt man in den einzelnen Bundesländern die Austritte in Relation zu den aktiven Katholiken, ergibt sich ein differenziertes Bild. Demnach werden durch unsere Berechnungen zwei Trends deutlich. Zum einen treten in Großstädten mehr Menschen aus der Kirche aus, als auf dem Land. Deutlich wird das vor allem in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg. In beiden Bundesländern traten in 2021 knapp drei Prozent der Katholiken aus der Kirche aus.
Ein weiterer Trend ist der erkennbare Ost-West-Unterschied. So traten in den neuen Bundesländern von insgesamt 814.716 Katholiken im Jahr 2021 rund 2,1 Prozent aus der Kirche aus. In den westlichen Bundesländern traten nur 1,6 Prozent aus (831.159 Katholiken in den westlichen Bundesländern in 2021). Demnach traten im Osten also genau 0,5 Prozent mehr Katholiken aus der Kirche aus, als im Westen.
Blickt man insgesamt auf Nordrhein-Westfalen, bleiben die Katholiken im Bundesland trotz des Skandals in Köln ihrer Kirche weitgehend treu. Dort leben die meisten Katholiken in Deutschland (in 2021 waren es 6.344.806). Das Bundesland hat mit 1,5 Prozent an Austritten einen der niedrigsten Werte in ganz Deutschland. Weniger Austritte haben nur Niedersachsen, Hessen, das Saarland und Thüringen. Damit liegt Nordrhein-Westfalen auch unter dem Durchschnitt der Austritte in den westlichen Bundesländern.
Aber nicht nur die katholische Kirche erfährt immer mehr Kirchenaustritte, auch die Mitgliederzahlen der evangelischen Kirche sinken, wenn auch weniger als in der katholischen. In einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der evangelischen Kirche wurde festgestellt, dass in beiden Kirchen vor allem das Fehlen von Bindung an die Kirche der Grund für den Austritt ist. In der katholischen Kirche seien es vor allem jedoch die Missbrauchsskandale, die zu Misstrauen gegenüber der Kirche geführt haben.
Weiterer Rekord für 2022 erwartet
Im Januar 2022 erschütterte ein weiterer Missbrauchsskandal die katholische Kirche. Das Erzbistum München und Freising stellte ein Gutachten vor, welches von rund 500 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern ausgeht. Nach der Veröffentlichung verdoppelten sich beispielsweise in München die Anfragen zu einem Kirchenaustritt. Laut Kreisverwaltungsreferat sei das Personal an der Kapazitätsgrenze, sonst wären die Austrittszahlen womöglich noch höher. Die offiziellen Zahlen für 2022 werden jedoch erst im nächsten Jahr bekannt. Interessant wird sein, ob auch hier ein regionaler Trend (diesmal in Bayern) zu erkennen ist und ob sich dieser auch nur auf die Stadt beschränkt oder sogar auf das ganze Bundesland ausbreitet. Betrachtet man die vergangenen Entwicklungen, kann jedoch mit ziemlicher Sicherheit gesagt werden: Die Austritte aus der katholischen Kirche werden weiterhin auf einem hohen Niveau sein.