Europäische Union 4 Minuten

„Es geht auch nicht ganz ohne Lobbyismus“

Porträt von Nina Katzemich
Als frühere wissenschaftliche Mitarbeiterin einer Bundestagsabgeordneten hat Katzemich den Lobbyismus aus nächster Nähe kennengelernt. Seit 2009 arbeitet sie für LobbyControl. | Quelle: LobbyControl
08. Juli 2024

Wird die EU von Lobbyisten unterwandert? Die Politologin Nina Katzemich von LobbyControl über Einflussnahme, Regulierungen und warum es aus ihrer Sicht eine unabhängige Kontrollbehörde braucht.   

Das ist Lobbyismus:

Interessengruppen und Verbände versuchen in modernen Demokratien, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Dabei üben sie Druck auf Parteien, Abgeordnete, Regierungen, die Öffentlichkeit und die Medien aus.

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung
 

Frau Katzemich, LobbyControl setzt sich dafür ein, dass Lobbyismus in Brüssel transparenter wird. Mit dem Lobbyreport 2024 hat ihr Verein Bilanz gezogen zur zurückliegenden Wahlperiode. Was hat denn die EU in den letzten Jahren gut gemacht bezüglich Lobbyismus?

Also ich denke, ganz groß nennen sollte man da den Digital Services Act. Das haben die Institutionen wirklich gut gemacht, obwohl es eine massive Lobbyarbeit der Digitalkonzerne gab. Dennoch ist am Ende ein ganz gutes Gesetz daraus geworden. Bleibt noch die Frage, ob das Gesetz auch wirklich gut umgesetzt wird. Ein anderes Beispiel ist, dass das Lieferkettengesetz am Ende durchgekommen ist. Das stand ja lange auf der Kippe.

Für was setzt sich LobbyControl noch ein?

Es geht darum, dass die Machtverhältnisse ausgeglichener werden. Wir sehen im Moment, dass große Unternehmen und ihre Verbände mit ihren vielen Ressourcen deutlich bessere Zugänge haben als andere. Und wir wollen, dass es gleichberechtigte Zugänge für alle möglichen Interessen gibt.

Braucht die Politik denn Lobbyismus überhaupt?  

Also wir denken tatsächlich, es geht auch nicht ohne Lobbyismus, denn die Politik kann sich jetzt auch nicht im Elfenbeinturm ausdenken, was beispielweise Unternehmen brauchen. Insofern man muss mit den Akteuren sprechen. Was uns aber stört, ist, dass das eben sehr oft recht unausgewogen stattfindet.

Könnten Sie das genauer erklären?

In der Vergangenheit gab es öfters Expertengruppen zum Beispiel zum Thema Autoabgase, die dann von der Autoindustrie dominiert wurden. Und da, finde ich, wird es dann eben schwierig. Man braucht die Expert*innen, auch die aus den Unternehmen, aber man sollte versuchen, da einen ausgeglicheneren Rat zu suchen und nicht immer auf die hören, die einfach mit ihren wirklich starken Ressourcen die besten Zugänge haben. 

Infografik von Elias Bock
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Fleishman-Hillard lobbyiert für über 120 Konzerne und Verbände, darunter auch Amazon oder die Allianz. | Quelle: https://www.lobbyfacts.eu

Wie wirkt es sich aus, dass Lobbygruppen unterschiedliche Ressourcen haben?

Ein Beispiel sind hier Lobbytreffen. Die großen Unternehmen, die fragen natürlich ständig nach Lobbytreffen. Also wenn jetzt BMW 20-mal ankommt und sagt, ich brauche ein Lobbytreffen, dann kriegt BMW das halt. Andere Organisationen können das so gar nicht leisten. Insofern ist das schon alleine ein Anzeichen dafür, wie unausgewogen Lobbyismus oft stattfindet. Und das ist ein Problem.

Grundsätzlich hat die EU aber doch vergleichsweise strenge Lobbyregeln?

Die EU hat eigentlich recht gute Lobbyregeln. Ein ganz zentrales Problem ist aber, dass die Kontrolle oft fehlt. Die EU hat eben keine eigene Medienöffentlichkeit, keine eigene Zivilgesellschaft, die sich über den Verstoß von Lobbyregeln aufregt. Also dieses Skandalpotenzial, das muss wesentlich höher sein, damit das überhaupt in der Öffentlichkeit ankommt. Deshalb ist es, glaube ich, auch wichtig, dass es echt scharfe Lobbyregeln gibt.

Was passiert denn, wenn ein EU-Politiker ein Lobbytreffen nicht angibt?

In der Regel passiert leider gar nichts. Das Problem im EU-Parlament ist, dass die Abgeordneten von Abgeordneten kontrolliert werden. Für die Abgeordneten ist das aber gar nicht so eine sinnvolle Aufgabe, denn sie sollen mit den Kolleginnen und Kollegen ja auch zusammenarbeiten. Diese Selbstkontrolle ist einfach falsch. Es braucht eine unabhängige Behörde, die diese Regeln oder die Einhaltung der Regeln kontrolliert. 
 

„Wir wollen auf jeden Fall, dass wir jetzt in der neuen Wahlperiode endlich eine Lobbybehörde bekommen“

Nina Katzemich, Lobbycontrol

Wie gefährlich sind Korruptionsskandale, wie der Fall Eva Kaili, für die EU?

Ich glaube, viele Leute, die sich nicht näher mit den EU-Institutionen beschäftigen, denken, da gibt es gar keine Regeln und die sind alle korrupt. Deshalb ist es ein Riesenschaden. Also muss man zum einen sagen, da müssen die Abgeordneten echt Vertrauen wiedergewinnen. Lustigerweise verdreht sich da manchmal auch unsere Rolle, denn wir sind eigentlich da, um zu kritisieren. An dieser Stelle müssen wir dann schon auch öfters mal sagen, ja, Moment mal, aber so ist es jetzt auch nicht. Es gibt gute Regeln und wenn sich jetzt auch noch alle daran halten und die durchgesetzt werden, dann kann man den EU-Institutionen da eigentlich keine Vorwürfe machen. Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg.

Der Verein LobbyControl kritisiert die EU sehr oft. Wie stehen Sie der EU denn grundsätzlich gegenüber? 

Grundsätzlich würde ich schon sagen, dass es ohne EU nicht geht und dass die Staaten der EU zusammen auch einfach stärker sind. Die EU hat auch ein großes Potenzial, Unternehmen Grenzen zu setzen. Sie setzt sich dafür ein, dass Dinge verbraucherfreundlich sein müssen, dass die Menschenrechte eingehalten werden und dass der Klimawandel an vorderste Stelle gestellt wird. Das können die Staaten zusammen wirklich deutlich besser als jeder für sich alleine.

Wie blicken Sie auf die jetzt noch sehr junge Wahlperiode?

Also wir wollen auf jeden Fall, dass wir jetzt in der neuen Wahlperiode endlich eine Lobbybehörde bekommen, die wirklich durchsetzt, dass die ganzen Regeln wirklich durchgesetzt werden. Da sind wir eingeschränkt optimistisch. Beim generellen Blick auf Lobbyismus glaube ich, dass es schwerer wird. Die Politik hat den Eindruck, sie muss den Unternehmen helfen, irgendwie im Wettbewerb zu bestehen und Champions schaffen. Sowas schafft natürlich auch neue privilegierte Zugänge. Da werden sich die Chancen für andere Interessen wie Umweltschutz oder Menschenrechte eher verschlechtern.

Die Politik der EU scheint oft sehr abstrakt. Doch wie steht es um die Demokratie, die in Brüssel und Straßburg gemacht wird? Die folgende Analyse geht dieser Frage auf den Grund.