„Wer im eSport vorne mit dabei sein will, muss sportlich sein“
Zwischen Spiel und Motorsport
270 km/h. Scharfe Linkskurve. Gerade noch rechtzeitig kann Moritz Löhner einlenken, bevor er in die Reifenmauer rast. Der 23-Jährige ist Rennfahrer. Doch anders als die meisten, die diesen Beruf ausüben, verbringt er seine Zeit nicht in einem echten Fahrzeug: Denn Moritz ist E-Sportler. Sein Berufsleben spielt sich ausschließlich auf der virtuellen Rennstrecke ab. Dort konnte er schon bei diversen Weltmeisterschaften Preise einfahren und zählt zu den besten der Welt. Sein Talent hat es ihm ebenfalls ermöglicht im echten Motorsport Erfahrungen zu sammeln. Moritz ist ein Paradebeispiel dafür, dass das sogenannte "SimRacing" schon lange keine reine Spielerei mehr ist und auch vom richtigen Motorsport ernst genommen wird. Er ist ein Beweis dafür, dass die Grenze zwischen dem, was virtuell passiert und Realität ist, immer weiter verschwimmt.
SimRacing steht für "Simulated Racing" und beschreibt die Disziplin, in der sich die E-Sportler*innen auf der virtuellen Rennstrecke gegeneinander messen. Mit herkömmlichen Rennspielen auf der Konsole ist dies kaum zu vergleichen. Denn das Ziel im SimRacing ist es, den realen Motosport so detailliert wie möglich nachzuempfinden. Das fängt bei den Rennwagen an, die teilweise in Zusammenarbeit mit echten Herstellern, wie BMW und Porsche realitätsgetreu in die Simulationen eingebaut werden. Auch die Strecken sind mithilfe aufwendiger Laserscanning-Technologien bis auf jede Unebenheit zentimetergenau nachgestellt. „Du machst dieselben Lenkbewegungen im Auto sowie in der Simulation. Das Einzige was anders ist, sind die G-Kräfte.“, so Löhner.
Dass sich hinter E-Sport-Racing mehr als nur Zocken verbirgt, hat auch die Motorsportwelt begriffen. Bereits 2018 wurde der E-Sport durch den Deutschen Motorsport Bund e.V. (DMSB) als eigene Disziplin anerkannt. Für Löhner die richtige Entscheidung. Er sieht E-Sport-Racing als echten Sport. „Wer im E-Sport vorne mit dabei sein will, muss sportlich sein“, meint der 23-jährige. Neben der körperlichen Anstrengung, den virtuellen Boliden per Lenkrad und den Pedalen auf der Strecke zu halten, ist auch der mentale Aspekt von hoher Bedeutung. E-Sport verlangt, wie im echten Motorsport, die gesamte Renndauer über volle Konzentration und Ausdauer. Von Rennstrategie über das richtige Überholmanöver und sogar das Reifenmanagement: All diese Faktoren sind entscheidend für den Ausgang eines Rennens. Ein E-Sport-Event kann dabei eine Dauer von einer bis hin zu mehreren Stunden einnehmen. Das ist sowohl eine physische als auch psychische Belastung für die Fahrer*innen. „Dann bist du durchgeschwitzt, dann bist du am Ende“, ergänzt Löhner zum Ende eines Rennens.
„Eigentlich ist der eSport in fast jeder Hinsicht anstrengender als der echte Motorsport“
Doch nach einem abgeschlossenen Rennen bleibt nicht viel Zeit zum Ausruhen. Während beim Motorsport über die Wintermonate die Fahrzeuge in den Garagen stehen bleiben, geht der gewohnte Rennbetrieb für die E-Sportler*innen wie gehabt weiter. Da ihr Sport nicht an die saisonalen Witterungsbedingungen gebunden ist, heißt es für die Fahrer*innen: Weiter voll aufs Gas drücken! So eine Auslastung bleibt nicht ohne Folgen. „Du hast eigentlich nie Pause und dann fühlt man sich schon teilweise ausgebrannt.“, sagt Löhner. SimRacing-Wettbewerbe brauchen keine Rennbahn und Fahrzeuge und können daher flexibler veranstaltet werden. Die Bildschirmsportler*innen werden teilweise nur sehr kurzfristig über die Teilnahme an einem Event informiert. Nicht immer einfach für die Sportler*innen: „Darauf kannst du dich nicht vorbereiten. Ich kann zum Beispiel nie Urlaub buchen und mich entspannen, weil du immer drauf achten musst, ist jetzt da noch eine Meisterschaft oder nicht.“, beschreibt Löhner die Situation.
Darüber hinaus ist im Motor-E-Sport der Wettkampf um einiges kompetitiver als auf der realen Strecke. Das liegt vor allem an der niedrigeren Einstiegshürde, die man erfüllen muss, um in den Sport zu gelangen. Es ist kein Geheimnis: Um im sich den Traum als Rennfahrer*in verwirklichen zu können, benötigt es sehr hohe Geldsummen. Allein eine Rennlizenz kostet je nach Niveau über 1.000 Euro. Hinzu kommen Ausrüstung, Rennwagen und die Reifen. Um am SimRacing teilzunehmen, reicht der eigene Rechner und ein Lenkrad mit Pedalen. Einstiegsmodelle gibt es hier schon für unter 200 Euro. „Im SimRacing kann im Prinzip jeder für kleines Geld von zuhause oder seinem Arbeitszimmer heraus mitmachen“, sagt ADAC Vorstandsmitglied und E-Sport-Beauftragter Walter Hornung. Diese Zugänglichkeit führt dazu, dass das Fahrer*innenfeld bei den Meisterschaften deutlich enger ist als im Motorsport. „Eigentlich ist der E-Sport in fast jeder Hinsicht anstrengender als der Motorsport“, meint Löhner „Ob du Erster oder Zwanzigster bist, entscheiden zwei Zehntel einer Sekunde.“ Im echten Motorsport hingegen sind die Unterschiede zwischen den Fahrer*innen nicht so eng. Der gleiche Abstand entscheidet dort meist nur zwischen Platz eins und zwei.
„Irgendwann in den richtigen Motorsport wechseln“
Diese Leistungen haben nicht nur beim DMSB Gehör gefunden. Immer mehr Organisatoren und Rennteams machen den E-Sport zum Bestandteil ihres Repertoires. Einige verbinden sogar das Virtuelle mit dem Realen. Nach der amerikanischen NASCAR-Serie ist es in diesem Jahr auch die GT World Challenge Europe, die die Ergebnisse aus fünf virtuellen Rennen mit in die echte Fahrerwertung einfließen lassen. Es ist ein Trend, der aufzeigt, wie nah diese beiden Welten bereits beieinanderliegen. Es geht sogar noch einen Schritt weiter. Sowohl Rennteams als auch Organisatoren haben das Potenzial des SimRacings erkannt und nutzen es, um junge Talente für den echten Motorsport zu rekrutieren. „Natürlich ist das Ziel, dass die Jungs und Mädchen nicht ausschließlich beim SimRacing bleiben, sondern dass sie auch irgendwann in den richtigen Motorsport wechseln“, so Hornung.
Auch Löhner ist einer von denen, die durch SimRacing den Sprung in den realen Motorsport gewagt haben – und das mit Erfolg. Dieses Jahr fuhr er in der DTM Trophy mit, einer Unterklasse der Deutschen Tourenwagen-Masters, und konnte sich unter den besten Zehn platzieren. Den E-Sport möchte er aber weiterhin betreiben. „Ich würde SimRacing für das echte nicht aufgeben“, sagt Löhner. Vielmehr möchte er sowohl seine virtuelle als auch reale Rennkarriere weiterhin fortsetzen: „Ich will beides kombinieren und bei beidem vorne mit dabei sein.“ Die Motorsportwelt hat zunehmend begriffen, welches Potenzial im E-Sport steckt. Löhners Leistungen auf der realen Strecke sind ein weiterer Fingerzeig dafür, dass es weder abgefahrene Reifen noch literweise Benzin braucht, um ein talentierter Rennfahrer zu sein.
Ob das SimRacing den echten Motorsport zukünftig ersetzen kann, ordnet E-Sport-Beauftragter des ADAC Walter Hornung wie folgt ein: