Insgesamt sind die Kochboxen ein vernünftiges Konzept.
Das Ernährungsmodell der Zukunft?
Ding Dong – es klingelt. Vor der Haustür steht das Essen für die kommende Woche. In einer großen, gekühlten Box befinden sich Rezepte mit genau abgemessenen Zutaten dazu. Die Gerichte werden im Vorhinein online ausgewählt und bestellt. Der neue Foodtrend „Kochboxen“ möchte Ernährung so einfach machen wie noch nie.
Das Angebot schlägt offensichtlich an: Die Umsatzzahlen der Anbieter Marley Spoon und Hello Fresh steigen seit ihrer Gründung stetig. Mit ihren Versprechen treffen sie den aktuellen Zeitgeist: Nachhaltigkeit, Gesundheit und Regionalität.
Der Foodtrend soll aber nicht nur für eine ausgewogenere Ernährung sorgen. Er sei auch „preislich attraktiv“ im Vergleich zu einem Supermarkt-Einkauf, so Hello Fresh-Pressesprecherin Sophie Kohoutek. Um das zu überprüfen, habe ich die Kochboxen selbst ausprobiert.
Klimaneutralität nur auf dem Papier?
„Gut für den Planeten“ oder „Nachhaltiges Kochen“ – so bewerben die deutschen Foodbox-Anbieter ihre Kochboxen. Hello Fresh behauptet von sich sogar, komplett klimaneutral zu sein. Das Unternehmen „investiert in verschiedene Initiativen zum Kohlenstoffausgleich“, heißt es auf der offiziellen Website. Damit schaffe man es, die CO2-Emissionen, die durch den Verpackungsmüll und die Produktion entstehen, auszugleichen.
„Das ist aktuell der Standard, wenn es darum geht, klimaneutral zu sein“, entgegnet Steffanie Reiß, Klimaschutzmanagerin der Stadt Böblingen. Dabei lasse man aber außer Acht, langfristig und selbstständig die Klimaneutralität zu erreichen. „Im Prinzip könnte jedes Unternehmen klimaneutral sein – wenn es nur genug Geld in die Hand nimmt und in Zertifikate investiert“, behauptet die Klimaschutzexpertin.
Der Foodbox-Anbieter wyldr hat sich das Ziel gesetzt, effektiv den Verpackungsmüll zu begrenzen. Geschäftsführer und Mitgründer Jakob Klaasen spricht von einem zirkulären System. „Wir schicken die Produkte in Baumwolltaschen mit Kühlpads an die Kund*innen. Unsere Lieferanten nehmen dann alles nach einer Woche wieder mit.“
Hello Fresh agiert in der Praxis weniger klimafreundlich: Die verschiedenen Zutaten der Gerichte kommen verpackt in einzelnen kleinen Tüten. Eine Perspektive, wiederverwendbare Kühlakkus zu verwenden, gibt es laut Pressesprecherin Sophie Kohoutek nicht.
Die Zahlen des Umweltbundesamtes zeigen, dass die Verpackungen von Lieferprodukten pro Artikel bis zu 1000 Gramm CO2-Äquivalente produzieren – die fünffache Menge im Vergleich zu einer Abholung der Produkte im Supermarkt.
Dennoch schneidet der neue Foodtrend im Vergleich gut ab. Die Lieferung an sich produziert maximal 400 Gramm CO2-Äquivalente. Eine Fahrt zum Supermarkt dagegen bis zu 1.100 Gramm. „Lagerhallen und Zwischenlager können außerdem energieeffizient gestaltet werden“, sagt Lisa Frien-Kossolobow, Expertin für nachhaltiges Konsumverhalten des Umweltbundesamtes.
„Foodboxen können klimafreundlich gestaltet werden“, findet so auch Sabine Weick, Koordinatorin für klimafreundliche Ernährung der Stadt Stuttgart. Für sie spielt aber vor allem die Herkunft und Produktion der Lebensmittel eine große Rolle.
Doch wo werden die Produkte überhaupt produziert? Die Kochboxen legen, laut eigener Aussage, einen großen Wert auf Regionalität. „Mit regionalen Produkten und lokalen Partnern schaffen wir es, klimafreundlicher und gesünder zu agieren“, sagt wyldr-Geschäftsführer Jakob Klaasen.
Mehraufwand für Landwirte
Die Bio-Molkerei Dehlwes aus dem Liliental in Norddeutschland hat sich seit einiger Zeit bewusst dazu entschieden, mit dem Anbieter Hello Fresh zusammenzuarbeiten. „Am Ende haben die finanziellen Rahmenbedingungen gestimmt, sodass wir uns für die Zusammenarbeit entschieden haben“, sagt Geschäftsführerin Mareike Dehlwes.
In der Praxis bedeute die Zusammenarbeit aber einen Mehraufwand. „Wir mussten einen Teil unserer Produktion umstellen – beispielsweise brauchen wir eine neue Maschine, um die Produkte für Hello Fresh zu verpacken“, sagt Jörg Thomsen, Betriebsleiter der Molkerei. Trotz des Aufwandes hat sich die Molkerei um Mareike Dehlwes für die Zusammenarbeit entschieden. Die Kochboxen seien ein zukunftsträchtiges Ernährungskonzept, „da müssen wir auf den Zug aufspringen“, so die Geschäftsführerin.
Gesunde Ernährung out of the box
Neben ihren regionalen Produkten bewerben die deutschen Foodbox-Anbieter in der Werbung vor allem eines: Gesundheit. Doch was macht eine gesunde Ernährung aus?
Für Ernährungsexperte und TV-Koch Sven Bach sind hierbei vor allem die Zutaten der Gerichte entscheidend: „Roggen-, Weizen-, Milch-, oder Gemüseprodukte in der Naturform sind gesund und empfehlenswert“, sagt der Ernährungsexperte. Diesem Ideal entspricht der Foodtrend: Die Rezepte basieren auf viel Gemüse und nicht weiterverarbeiteten Produkten.
Gute Zutaten bedeuten aber nicht gleich eine gesunde Ernährung. Sven Bach sieht im Zeitpunkt der Ernährung eine entscheidende Rolle: „Nahezu alle ernährungsabhängigen Krankheiten lassen sich auf eine überwiegende Ernährung nach 17 Uhr zurückführen.“ Hier basieren die Kochboxen auf Selbstverantwortung. Es lassen sich keine Hinweise dazu finden, wann die Gerichte gekocht und gegessen werden sollen. Im Gegenteil: Vereinzelt bewerben die Anbieter sogar ein ausgiebiges Abendessen.
Für Uta Spieldiener, Thieme-Ernährungsexpertin, haben außerdem die Gewürze einen großen Einfluss. „Salz kann ein gesundes Essen ungesund machen“, so Spieldiener. Auch in diesem Aspekt basieren die Kochboxen aber auf Selbstverantwortung. Während die Zutaten und Mengenangaben für nahezu alle Produkte genau vorgegebenen sind, müssen die Kund*innen das Gericht am Ende selbst mit Pfeffer und Salz abschmecken.
Die Kochboxen seien dennoch „insgesamt ein vernünftiges Konzept“, sagt Sven Bach. Diese Meinung unterstützt nicht nur der Gesundheitsexperte – auch Klimaschutzexpertin Sabine Weick der Stadt Stuttgart sagt, dass Foodboxen ein Weg zu klimaeffizienter Ernährung seien. Für die Bio-Molkerei Dehlwes sind die Kochboxen trotz des Mehraufwandes ein zukunftsträchtiges Konzept.
Das unterstützt auch meine eigene Erfahrung: Die Boxen sind zwar nicht günstiger, sorgen aber für eine vielfältigere und ausgewogenere Ernährung als ein Einkauf im Supermarkt. Die fehlende Entscheidungsfreiheit zwingt die Konsument*innen dazu, frische und gesündere Zutaten zu essen. Dennoch gibt es Nachteile: Der Verpackungsmüll muss in Zukunft reduziert werden und die Boxen brauchen mehr Informationen, was eine gesunde Ernährung überhaupt ausmacht. Wenn diese Makel aber behoben sind, hat der Foodtrend das Potential, ein Ernährungsmodell der Zukunft zu werden.