Zwischen den Kulissen
Im Foyer des Großen Hauses stehen schon viele Menschen. Dabei geht die Vorstellung erst in einer Stunde los. Dann werden hier die Opernsänger Mozarts Figaros Hochzeit aufführen. Jetzt sind der Saal und der Orchestergraben noch leer. Nachher bei der Aufführung muss dann darauf geachtet werden, dass vom Heben des Vorhanges bis zum Ende alles glatt läuft. Dazu gehören auch Licht- und Kulissenwechsel und Einrufen der Sänger. Das ist die Arbeit der fünf Inspizienten der Stuttgarter Oper. Wolfgang Weitmann ist einer von ihnen.
Der heute 63-Jährige war fast 20, als er 1973 an der Oper als Statist anfing. Dann erledigte er alle möglichen Aushilfsarbeiten. Viele Inspizienten machen bereits vorher persönliche Erfahrungen mit Schauspiel, Ballett oder Oper. Oft wird man durch die Arbeit am Theater – als Techniker, Assistent oder Sänger – zu dem Beruf geführt. Seit 1983 hat Wolfgang Weitmann den festen Vertrag als Inspizient.
edit: Wie sind Sie überhaupt zur Oper gekommen?
Wolfgang Weitmann: Früher bin ich mit meinen Eltern in die Oper gegangen. Da haben wir eine ältere Dame kennengelernt. Sie fragte mich, ob ich nicht mal Lust hätte, hinter die Bühne zu gehen und mitzumachen. Eigentlich wollte ich auch selbst auf der Bühne stehen und singen – ursprünglich habe ich Gesang studiert. Aber da hat mir doch vielleicht der Ehrgeiz und ein bisschen Talent gefehlt.
edit: Und wie sind Sie dann Inspizient geworden? Das ist ja kein Beruf, den man durch eine Ausbildung erlernen kann.
Wolfgang Weitmann: Ich wurde von den Kollegen - damals waren es nur zwei Inspizienten - gefragt, ob ich ihnen bei einer Produktion helfen könnte. Durch meine musikalische Ausbildung kann ich auch Noten lesen, zum Beispiel einer Partitur - eine Grundvoraussetzung für Inspizienten. Man schreibt sich dann Anweisungen in den jeweiligen Klavierauszug des Stückes, was während der Aufführung zu tun ist.
edit: Durch Ihre Arbeit treffen Sie ja auch viele Opernsänger. Gab es da auch mal einen besonderen Moment?
Wolfgang Weitmann: Vor einiger Zeit hat Plácido Domingo, ein berühmter Tenor, hier gastiert. Das war ein ganz großes Erlebnis. Er konnte sogar Deutsch und wir haben uns unterhalten. Bei der Produktion der Oper Chowanschtschina hatten wir russische Kollegen, die so gut wie kein Deutsch und nur ein paar Brocken Englisch sprachen.
edit: Und wie funktioniert dann die Kommunikation?
Wolfgang Weitmann: Mit Händen und Füßen, oder Englisch. Ein bisschen Russisch kriege ich auch zusammen. Mein Italienisch habe ich eigentlich nur hier im Theater, durch die Leute und Opern, gelernt. Es ist ein bisschen altmodisch und jeder lächelt darüber, aber man versteht sich.
edit: Ist während einer Ihrer Vorstellungen schon mal etwas schiefgegangen?
Wolfgang Weitmann: Ja, damals sollte ein Heuwagen mit einem Sänger von oben auf die Bühne gefahren werden. Das Ganze stand auf einer Plattform. Plötzlich fing das Podest an zu schwanken und der Wagen rutschte ab. Auf der einen Seite baumelte dann der Sänger, auf der anderen der Heuwagen von der Decke. Beide waren aus Sicherheitsgründen mit Fluggurten oberhalb der Bühne festgemacht. Gott sei Dank wurde niemand verletzt.
Ein paar Männer laufen an uns vorbei zum hinteren Teil der Bühne. Der Inspizient grüßt sie.
Wolfgang Weitmann: Das ist die Feuerwehr. Die ist im Opernhaus bei eigentlich jeder Aufführung dabei. Mein Kollege erklärt ihnen gerade, dass nachher auf einem Podest eine Gasflamme erzeugt wird. Das müssen sie wissen, dann steht während der Vorstellung einer in der Ecke und passt auf, dass nichts passiert.
edit: Und ist da mal was passiert?
Wolfgang Weitmann: Beinahe. Während einer Vorstellung wäre fast ein Feuerwehrmann mit einer Löschdecke losgerannt, weil ein Farbscheinwerfer etwas gedampft hat. Das machen die Scheiben oft, wenn sie neu sind. Er konnte gerade noch zurückgehalten werden.
edit: Wie tragen Veranstaltungen wie die Oper Ihrer Meinung nach zum Puls der Stadt bei?
Wolfgang Weitmann: Sagen wir mal so: Es gehört eigentlich zum kulturellen Leben hier, dass wir Sachen präsentieren, die beispielsweise das Musical oder Kino nicht bieten können. Wir machen zeitgenössische Oper, meistens noch die klassischen Stücke und sind ein kultureller Treffpunkt. Man trifft sich, um mitreden zu können, was gerade so aktuell ist im Schauspiel oder in der Oper. Jetzt hoffen wir mal, dass wir unser Publikum nicht verlieren, wenn wir in die Ausweichspielstätte müssen.
edit: Die Oper muss umziehen?
Wolfgang Weitmann: Ja, und das Ballett auch, weil alles renoviert und restauriert wird. Hier ist alles ziemlich marode. Das soll sieben Jahre dauern. Solange zieht die Oper in das ehemailge Paketpostamt am Rosensteinpark.
Ich bedanke mich bei Wolfgang Weitmann für das Interview. Wir verlassen das Opernhaus gerade rechtzeitig zu Beginn der Vorstellung. Die ersten Klänge der bekannten Ouvertüre am Anfang von Figaros Hochzeit sind noch gut auf den Fluren zu hören und begleitet uns nach draußen. Hoffentlich muss diesmal niemand mit der Löschdecke ausrücken.