„Manche Innovationen wie essbares Besteck sind leider nicht das, wo ich sagen würde, das geht in die richtige Richtung"
Umweltschutz zum Anbeißen
Sommerhitze. Perfektes Wetter für ein Eis. Der verlockende Duft des warmen Sommerregens von gestern Nacht schwebt noch in der Luft. Er vermengt sich mit den süßen Aromen der Eiscreme. Die Schlange reicht bis zur Bank gegenüber der Eisdiele und die Kinder fangen schon an zu quengeln. „In der Waffel oder im Becher?“, ertönt alle paar Sekunden die kräftige Stimme des Eisverkäufers. Dann endlich die glücklichen Kinderaugen, die flink das Eis mit dem Plastiklöffel auskratzen und schwupp: ab in die Tonne, beschreibt Julia Piechotta, Gründerin von Spoontainable. Mit ihren essbaren Löffeln, die sie zusammen mit Amelie Vermeer entwickelt hat, möchte sie aktiv gegen den steigenden Plastikmüll im To-Go-Bereich vorgehen. Neugierig habe auch ich mir von verschiedenen Start-ups essbare Besteckalternativen bestellt. Nun warte ich gespannt auf die Lieferung, um zu sehen, ob sie wirklich so innovativ sind, wie versprochen.
Die essbaren Löffel sind im Trend, denn Single-Use-Plastik ist stark in der Kritik. Laut einer Studie des Naturschutzbundes Deutschland hat sich das Abfallaufkommen bei Einwegbesteck von 1994 bis 2017 um 114 % erhöht. Damit fallen in Deutschland jährlich über 100.000 Tonnen Kunststoffabfall und mehr als 220.000 Tonnen Papierabfall durch Einweggeschirr und To-Go-Verpackungen an.
Aus diesem Grund sind zahlreiche Firmen auf den Zug der Nachhaltigkeit aufgesprungen und produzieren Utensilien wie essbares Besteck, Trinkhalme und Becher. Die Einwegkunststoff-Verbotsverordnung und die Einwegkunststoff-Kennzeichnungsverordnung, die am 3. Juli 2021 beschlossen wurden, spielen den Firmen in die Karten. Die Gesetze sollen dagegen vorgehen, dass weniger Kunststoffabfälle falsch entsorgt werden und in der Natur landen.
Essbares Besteck aus Pflanzenfasern
Ein Ansatz des Marktes ist zum Beispiel essbares Besteck, das Pflanzenfasern enthält. Bei diesen Pflanzenfasern handelt es sich in der Regel um Ballaststoffe, die aus Lebensmitteln wie Kartoffeln, Erbsen oder Karotten hergestellt werden. Jedoch können auch andere Rohstoffe wie Kakaoschalen oder Weizenhalme verwendet werden. Bei der Produktion von Lebensmitteln muss eindeutig definiert werden, welchen Einsatzzweck die Pflanzenfasern haben.
Fasern, die aus technologischen Gründen, wie zur Stabilisierung, zugefügt werden, müssen als Zusatzstoffe gekennzeichnet werden. Pflanzenfasern hingegen, die aus ernährungsphysiologischen Gründen hinzugefügt werden, gelten als Nährstoffe. Diese Unterscheidung liegt daran, dass Zusatzstoffe in der EU strengen Zulassungskriterien unterliegen. Neuartige Lebensmittel in der EU, wie Pflanzenfasern, müssen außerdem von der Europäischen Kommission genehmigt werden. Die aktuelle Situation für die Verwendung von Pflanzenfasern ist laut den Untersuchungsämtern für Lebensmittelüberwachung- und Tiergesundheit kompliziert.
Julia Piechotta verwendet bei der Produktion ihrer essbaren Produkte auch unter anderem Kakaoschalenfaser. Durch diesen Ansatz konnte das Start-up den essbaren Besteckalternativen zu ausreichend Stabilität verhelfen.
Alternativen zu Pflanzenfasern
Alternativ dazu können für die Produktion auch andere Lebensmittelbestandteile wie Hülsenfrüchte verwendet werden. „Die Materialien müssen essbar und nicht allergen sein und ausreichend Stabilität beim Kontakt mit jeglichen Lebensmitteln besitzen. Zugleich aber auch ausreichend instabil, um vom Speichel und Kaubewegungen zerkleinert zu werden“, erklärt Prof. Dr. Martina Lindner, aus dem Fachgebiet Faserstoffe, Umwelt und Verpackung. Laut Birgit Carrara, Besitzerin des Toscana Ice & Coffee in Nordheim gelingt diese Stabilität jedoch nicht allen Hersteller*innen. Ein weiterer Aspekt ist der Preis: „Die Löffel sind leider viel zu teuer im Einkauf und haben zudem nicht die gewünschte Festigkeit. Bereits bei ihrer Ankunft haben sie Bruchschäden.“
Zudem muss bei der Herstellung beachtet werden, dass es zahlreiche Anforderungen an die Lebensmittelhygiene und lebensmittelrechtliche Bestimmungen gibt. Beispielsweise muss laut Prof. Dr. Herrenbauer, Prodekan im Studiengang Verpackungstechnik an der Hochschule der Medien, das essbare Besteck aus hygienischen Gründen verpackt werden. In der Regel wird Kunststofffolie als Verpackungsmaterial verwendet, weil diese als besonders hygienisch gilt. Eine mögliche Alternative wäre ein Papiereinschlag, jedoch sind die Auswirkungen auf die Umwelt in etwa vergleichbar. Bei der Verwendung der Kunststofffolie besteht die Möglichkeit der Mikroplastikbildung, während Papier einen höheren Wasserverbrauch hat.
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Biologische Abbaubarkeit
Die Start-ups betonen jedoch die Umweltfreundlichkeit. Das essbare Besteck ist biologisch abbaubar und kann problemlos entsorgt werden, wenn es nicht verzehrt wird. Jedoch ist die biologische Abbaubarkeit oft ein Trugschluss. Herr Herrenbauer steht dem Ganzen kritisch gegenüber: „Materialien, die als biologisch abbaubar beworben werden, zerfallen meist zu CO₂ und Wasser, manchmal sogar zu Methan. Die Herstellung erfordert oft enorme Energiemengen, um pflanzlichen Kohlenstoff, meist Zucker, in einen nutzbaren Werkstoff umzuwandeln. Diese Energie wird nicht zurückgewonnen“. Zu bedenken ist auch, dass ein Produkt weggeworfen wird, das eine hohe Lebensmittelqualität aufweist.
Zu essbarem Besteck hat der Professor eine eher kritische Meinung: „Wozu braucht die Menschheit einen essbaren Eislöffel, wenn das Eis auch in einer Waffel bestellt werden kann. Manche Innovationen wie essbares Besteck sind leider nicht das, wo ich sagen würde, das geht in die richtige Richtung.“
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Einige Wochen später erreichte mich ein Paket mit essbaren Löffeln. Voller Neugierde reiße ich das Klebeband ab und halte dann verdutzt einen Kunststoffbeutel in der Hand, in dem die essbaren Löffel sind. Der wohlige Duft von Kakao steigt mir entgegen, während gleichzeitig der unangenehme Geruch von Plastik in der Luft liegt. Eine faszinierende Kontrastmelodie der Gerüche.