Wie kriminell sind Flüchtlinge?
September 2015. Tausende Flüchtlinge sitzen seit Tagen am Bahnhof in Budapest fest und werden sich zu Fuß über die Autobahn auf den Weg machen. Die Bundeskanzlerin beschließt, diese Menschen nach Deutschland zu holen. Es ist eine historische Entscheidung, die auch drei Jahre später viele Folgen mit sich bringt und Fragen in der Gesellschaft aufwirft. Vor allem eine: Bringen uns die Flüchtlinge Kriminalität ins Land?
Darauf geben die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts eine Antwort. Ab 2015, dem Jahr der „Grenzöffnung“, ist ein Anstieg der Straftatenanzahl erkennbar, woraus man darauf schließen könnte, dass mit den Flüchtlingen Kriminalität ins Land kam. Hierbei muss allerdings beachtet werden, dass es sich bei den erhobenen Daten um alle begangenen Straftaten in Deutschland handelt. Die der Deutschen und die der Nichtdeutschen. Unter „Nichtdeutsche“ fallen unter anderem Asylsuchende, Asylberechtigte und Flüchtlinge.
Wer ist überhaupt ein Flüchtling?
Ein großes Problem in Deutschland ist die falsche Verwendung verschiedener Begrifflichkeiten. „Flüchtlinge“, „Asylberechtigte“ und „Asylbewerber“ werden oft als Synonyme für geflüchtete Menschen benutzt. Im Ausländer- und Asylrecht sind sie aber Teilmengen des Oberbegriffs der „Schutzsuchenden“. Diese Definitionen müssen bei der Datenanalyse unbedingt berücksichtigt werden.
Überblick Schutzsuchende
Nach dem Statistischen Bundesamt sind Schutzsuchende Ausländerinnen und Ausländer, die sich aufgrund humanitärer Gründe in Deutschland aufhalten. Dazu zählen:
- Schutzsuchende mit offenem Schutzstatus
- befinden sich im Asylverfahren - z.B. Asylbewerber/Asylsuchende
- Schutzsuchende mit anerkanntem Schutzstatus
- besitzen einen befristeten oder unbefristeten Aufenthaltstitel - z.B. als Flüchtling oder Asylberechtigter eingestuft
- Schutzsuchende mit abgelehntem Schutzstatus
- Ausreisepflichtige, die sich nach Ablehnung im Asylverfahren oder nach Verlust des Aufenthaltstitels in Deutschland aufhalten
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bearbeitet die Anträge der Asylbewerber individuell. Die Asylsuchenden müssen schildern, wie und warum sie verfolgt werden. Das Amt beurteilt dann, ob ein Bewerber asylberechtigt ist, ob er den Flüchtlingsstatus erhält oder ob ihm beides verweigert wird.
Als Asylberechtigter werden dann die Menschen bezeichnet, die politisch verfolgt werden und von ihrem Staat so stark ausgegrenzt wurden, dass ihre Menschenwürde verletzt ist. Asylberechtigt ist auch, wer wegen religiösen Grundentscheidungen verfolgt wird.
Als anerkannter Flüchtling werden nach der Genfer Konvention diejenigen eingestuft, die eine begründete Furcht vor Verfolgung haben (zum Beispiel aufgrund von Religion, Nationalität, politische Überzeugung). Flüchtlinge können den Schutz des eigenen Landes nicht in Anspruch nehmen und haben das Recht auf Sicherheit in einem anderen Land.
Während also das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verschiedene Daten zu Schutzsuchenden erheben, werden im folgenden nur die Daten herangezogen, bei denen ein Asylbewerber als „anerkannter Flüchtling“eingestuft wurde und das Asylverfahren bereits durchlaufen hat.
„Nichtdeutscher“" ist nicht gleich „Flüchtling“
Sieht man sich nun die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) der nichtdeutschen Tatverdächtigen nach dem Anlass ihres Aufenthaltes an, wird ein deutlicher Unterschied erkennbar. Die meisten Tatverdächtigen der Jahre 2015 bis 2017 sind Asylbewerber, deren Schutzstatus noch nicht entschieden wurde. Danach folgen nichtdeutsche Arbeitnehmer und Touristen. Die Anzahl der anerkannten Flüchtlinge beschreibt den geringsten Anteil. Noch unter den nichtdeutschen Studenten und Schülern liegen außerdem die tatverdächtigen Schutz- und Asylberechtigen, deren Daten in der PKS erst ab 2017 verfügbar sind.
Deutsche oder Flüchtlinge: Wer ist öfter tatverdächtig?
Bei der Gegenüberstellung der Straftaten der tatverdächtigen Deutschen und der tatverdächtigen anerkannten Flüchtlinge im Jahr 2017, sind es häufiger die Deutschen, die zu Tatverdächtigen werden. Hierzu muss erwähnt werden, dass der Bevölkerungsanteil der Deutschen allerdings um einiges höher ist, als der der Flüchtlinge.
Um schließlich eine tatsächliche Aussage darüber treffen zu können, ob eher Flüchtlinge oder Deutsche tatverdächtigt werden, muss aufgrund der unterschiedlichen Bevölkerungszahl ein Verhältnisvergleich aufgestellt werden. Dafür werden die Daten zum Bevölkerungsstand (Zensus 2011) des Statistischen Bundesamtes ermittelt. Die Zahlen der tatverdächtigen Deutschen werden somit anteilig an der hier lebenden deutschen Bevölkerung gemessen, während die Anzahl der tatverdächtigen Flüchtlinge anteilig der in Deutschland aufhältigen Flüchtlinge (BAMF) berechnet wird. Stellt man also die prozentualen Anteile gegenüber, erkennt man in den Jahren 2015 bis 2017, dass mehr Deutsche als Flüchtlinge zu Tatverdächtigen wurden. Im Jahr 2017 waren es sogar mehr als fünf Mal so viele.
Halbwissen und Schubladendenken können beim Thema „Ausländer und Flüchtlinge“ zu einem gefährlichen Problem der Gesellschaft werden. Rechtsorientierte Parteien ziehen oft ihren Nutzen aus weit verbreiteter Unwissenheit. Die vorhergegangene Datenanalyse zeigt: Anerkannte Flüchtlinge, die in Deutschland leben, sind nicht krimineller, als Deutsche. Im Gegenteil.
Ein letzter Blick gilt den Zahlen, die viel zu wenig in Betrachtung gezogen werden: Der Anstieg der Flüchtlingsopferzahlen in Deutschland (Bundeslagebild des BKA 2017). Bei all den Fragen, die wir uns nach „Merkels Grenzöffnung“ stellen, fehlt nämlich die wichtigste von allen: Wo ist eigentlich die Menschlichkeit geblieben?