„Ich bin doch nicht bescheuert und hole mir einen Spanier als Freund, wenn ich in ein paar Wochen wieder zurück nach Deutschland gehe!“
Lieben und lieben lassen in Europa
Beim ersten Kennenlernen hat sich Christian den Eltern von Rafa bloß als Studienkollege vorgestellt. Heute stehen ihre Zahnbürsten im Bad des anderen, sie sind ein Paar – seit knapp zwei Jahren.
2.321 Kilometer Asphalt trennen die beiden voneinander, denn Rafa wohnt in Madrid und Christian studiert in Berlin. Sie erleben ihre Beziehung in zwei unterschiedlichen Ländern, in denen nicht nur das Wetter anders ist. Es sind auch die Menschen, die innerhalb Europas verschiedene Meinungen gegenüber homosexuellen Paaren vertreten.
Herzen sprechen die gleiche Sprache
Das Paar begegnete sich im Studium. Durch das ERASMUS-Programm zog es den gebürtigen Mecklenburger Christian nach Madrid. Rafa ist in Andalusien groß geworden, 23 Jahre alt und studiert in der spanischen Hauptstadt. Christian feierte gerade seinen 34. Geburtstag. Eine Beziehung wollten sie nicht, es ging vielmehr darum, die Zeit miteinander zu genießen.
Kurz vor Christians Rückflug nach Deutschland kam die Entscheidung: Sie sind ein Paar. Sein Spanisch sei nicht gut, gesteht Christian, weshalb sie sich zu Beginn ihrer Beziehung auf Englisch unterhielten. „Das tun wir immer noch, wenn es um kompliziertere Dinge geht“, erklärt er. Mittlerweile belegt Rafa Deutschkurse. Er rede eigentlich immer, besonders, wenn er aufgeregt sei. So war es auch beim ersten Date der beiden oder vor dem ersten Kuss in einem Park in Madrid, ergänzt Christian.
In Polen stößt man auf Ablehnung
Ein Kuss in der Öffentlichkeit ist zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren nicht in jedem europäischen Land eine Selbstverständlichkeit. Julia Maciocha ist die Vorsitzende der Parada Równości, einer Stiftung, die sich für die Gleichberechtigung Homosexueller in Polen einsetzt: „Am schwersten haben es die Menschen in kleinen Dörfern. Gewalt von Lehrern gegenüber homosexuellen Schülern ist keine Seltenheit“, berichtet sie. Lesbischen Frauen werde mehr Akzeptanz entgegengebracht als schwulen Männern. Das läge hauptsächlich an der pornographischen Darstellung von Lesben, die häufig auch Heterosexuelle anspreche. Außerdem seien Frauen untereinander liberaler als Männer, erklärt Julia.
„Jugendliche verstecken ihre Homosexualität und leiden an Depressionen.”
John lebt ebenfalls in Polen und ist einer der schwulen Jugendlichen, der seine sexuelle Orientierung versteckt. „Bei uns wird ein gleichgeschlechtliches Paar nur dann toleriert, wenn es nicht als solches identifiziert werden kann. Man muss sich sehr diskret verhalten.“ Seiner Familie habe er immer noch nicht erzählt, dass er schwul sei. Zu groß ist die Angst vor der Reaktion seiner Eltern.
Aller Anfang ist schwer
Christian war ungefähr 20 Jahre alt, als er seiner Familie erzählte, dass er auf Männer steht. ,,Meine Mutter weiß, dass ich sehr familiär bin, deshalb tat es ihr eher für mich leid. Mein Vater ist eher konservativ, hat es aber schnell akzeptiert“, erzählt er. In Rafas Familie war das Thema schon seit seiner Kindheit präsent. Häufig kam er weinend nach Hause, weil er von anderen Kindern als schwul beschimpft wurde. Über Jahre hinweg versuchte er seine Mutter davon zu überzeugen, dass er heterosexuell ist. Als er sich dann doch vor der Familie geoutet hatte, war es für die Mutter schwer, das zu verstehen.
„Meine Mutter hat eine Woche nicht mehr mit mir gesprochen.“
Jedoch könne man von zwei Erfahrungsberichten nicht auf eine Gesellschaft schließen, sagt Christian. Er wehre sich dagegen, persönliche Erfahrungen auf eine gesamte Gesellschaft zu übertragen.
Bußgeld in Bulgarien für Küsse in der Öffentlichkeit
Kleine Berührungen, liebevolle Blicke und Händchenhalten auf den Straßen. In Bulgarien ist das für gleichgeschlechtliche Paare undenkbar. Arjona, die Sprecherin der Gay Community in Bulgaria erklärt, es drohe durch zu heftiges Küssen in der Öffentlichkeit eine Geld- oder Gefängnisstrafe. Das Land sei sehr intolerant, die Öffentlichkeit lehne gleichgeschlechtliche Paare ab, fügt sie hinzu. Nach dortigem Gesetz ist in Bulgarien weder die eingetragene Partnerschaft noch die Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare möglich.
Verliebt, verlobt, verheiratet
Christian und Rafa witzeln ab und zu, wo sie wohl heiraten werden, wenn es so weit ist. „Definitiv in Spanien!“, sagt Christian. Das liege am schönen Wetter und an Rafas großer Familie. „Ich habe immer gedacht, dass Spanien erzkonservativ ist. Aber um ehrlich zu sein: Spanien ist politisch gesehen viel weiter als Deutschland!“ Während Spanien die Ehe für alle und das Adoptionsrecht schon 2005 einführte, zündete die Gesetzesänderung hierzulande erst zwölf Jahre später. „Im Volksmund war Deutschland immer ein Land der Dichter und Denker, Intelligenz und Freigeister – und dann so eine Flaute!“, ärgert sich Christian.
Verständnislosigkeit kann einem auch in Schweden begegnen
In Schweden können gleichgeschlechtliche Paare seit 2009 heiraten. Frida ist lesbisch und lebt in Norrtälje, einer kleinen Stadt in der Nähe von Stockholm. „Einmal wollte mich eine Hebamme dazu zwingen, die Anti-Baby-Pille zu schlucken. Sie wollte einfach nicht glauben, dass ich lesbisch bin.“ Als sich Frida geoutet hat, war ihre größte Angst, dass sie von ihrem kirchlichen Chor verstoßen wird. Die Sorge löste sich in Luft auf. Mittlerweile begleiten die Chormitglieder das junge Mädchen sogar zu Pride-Events. Schweden sei im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr fortschrittlich und tolerant, erzählt Frida. Trotzdem wünsche sie sich, dass homosexuelle Paare in Zukunft einfacher Kinder adoptieren können.
Erzwungene Therapie in England
Andrew und Ian sind seit neun Jahren verheiratet und leben gemeinsam in einem 300-Einwohner-Dorf in North Yorkshire, England. Sie nehmen das Vereinigte Königreich als sehr tolerant wahr. Nie bekamen sie in ihrer Ehe respektlose Kommentare an den Kopf geworfen. Es sei in England illegal, homosexuelle Menschen zu diskriminieren, erzählt Andrew. Dennoch würden homophobe christliche Gruppen und Kirchen ihre Mitglieder dazu zwingen, sich therapieren zu lassen. „Ich bin selber bekennender Christ und habe das miterlebt. Vor einigen Jahren hieß es, ich müsse sexuell enthaltsam bleiben oder therapeutische Hilfe holen. Glücklicherweise ist eine Therapie mit dem Zweck, heterosexuell zu werden, mittlerweile verboten.“
„Ja klar bin ich schwul! Ist das ein Problem für Dich?“
Die Zukunft von Rafa und Christian ist schon in Planung: Christian beendet sein Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften und Rafa will nach seinem Studium des Luft- und Raumfahrtingenieurwesens nach Deutschland ziehen. Beide sind sehr gespannt: Wie ist es plötzlich keine Fernbeziehung mehr führen zu müssen? Momentan sehen sie sich ein bis zwei mal im Monat. Das soll ein Ende haben, in weniger als einem Jahr.
Ob Dorf oder Stadt: Die beiden fühlen sich sowohl in Madrid als auch in Andalusien, in Berlin und in Mecklenburg sicher und haben keine Angst, sich mal einen Kuss zu geben. „Wenn man mit sich selbst im Reinen ist und keine Probleme mit sich hat, dann nimmt man den Menschen automatisch das Konfliktpotenzial. Wir sind schon beide ziemlich proud!“, sagt das multikulturelle Paar. Sie haben mit ihrer sexuellen Orientierung gar keine Probleme.
Warum auch?