„In einer Partnerschaft mit zwei gleichgestellten Partnern, ist es heute nicht mehr einzusehen, dass allein die Frau das volle Risiko trägt.“
Wird Verhütung bald Männersache?
Bisherige Versuche, eine hormonelle Methode für den Mann zu entwickeln, scheiterten immer wieder aufgrund der von Versuchsteilnehmern beschriebenen Nebenwirkungen. Nun machen neueste Forschungsergebnisse Hoffnung: Forschende der Universität von Minnesota stellten auf der Frühjahrestagung der American Chemical Society im März 2022 ein Präparat vor, das gänzlich ohne Hormone auskommt. Im Tierversuch verhinderte die Pille Schwangerschaften nebenwirkungsfrei. Klinische Studien am Menschen soll es bereits Mitte des Jahres geben.
Verhütung bisher nicht gleichberechtigt
Das Ungleichgewicht beim Thema Verhütung ist groß. Bisher gibt es 15 Verhütungsmethoden für die Frau und im Vergleich dazu lediglich zwei Methoden für den Mann. Bis auf Kondome und der Sterilisation fehlt es bei der Verhütung auf Männerseite bisweilen an Alternativen. Die Pille ist bei Frauen immer noch die am häufigsten genutzte Methode, dennoch geht die Zahl der Frauen, die sich die Pille verschreiben lassen, seit einigen Jahren zurück. Dies geht aus einer Datenauswertung der Techniker Krankenkasse hervor. Über die Gründe hierfür lässt sich nur spekulieren: Es liegt nahe, dass das Bewusstsein für potenzielle Nebenwirkungen und Risiken gestiegen ist.
Außerdem nimmt der Wunsch nach Gleichberechtigung beim Thema Verhütung zu. Dem schließt sich auch Dr. Christian Leiber, Leiter des Schwerpunktes Andrologie im Alexianer Krankenhaus Maria-Hilf Krefeld und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Andrologie e. V. (DGA), an: „In einer Partnerschaft mit zwei gleichgestellten Partnern ist es heute nicht mehr einzusehen, dass allein die Frau das volle Risiko trägt“.
Wie funktioniert diese Pille?
Die von den Forschenden entwickelte Pille unterdrückt die Spermienbildung, indem sie den Retinsäurerezeptor Alpha in den menschlichen Zellen blockiert. Dieser bindet Retinsäure, die unter anderem an der Spermienproduktion beteiligt ist. Mit Hilfe einer Verbindung namens YCT529 gelang es den Forschenden, gezielt nur den Retinsäurerezeptor Alpha zu hemmen. Dies macht Nebenwirkungen unwahrscheinlicher, da andere Proteine von der Wirkung nicht betroffen sind. Die bisher durchgeführten Versuche an Mäusen waren vielversprechend: Nachdem ihnen das Mittel vier Wochen lang oral verabreicht worden war, reduzierte sich die Spermienzahl deutlich und sorgte für eine 99-prozentige Sterilität. Der Zustand ist reversibel: Vier bis sechs Wochen nach Absetzen des Medikaments konnten dieselben Mäuse wieder Junge zeugen.
Die Nachfrage ist da
Man könnte meinen, dass der gesellschaftliche und kommerzielle Leidensdruck, die Pille für den Mann auf den Markt zu bringen, nicht sonderlich hoch ist. Weltweit durchgeführte Meinungsumfragen deuten allerdings darauf hin, dass viele Männer dazu bereit wären, eine Pille zur Verhütung zu nehmen. Dies hält auch Androloge Leiber für möglich: „Ich glaube, gerade in der westlichen Welt, dass eine zunehmende Bereitschaft da ist“.
Potenzielle Hürden
Ein Mittel wie dieses wäre bahnbrechend – nicht-hormonell, nebenwirkungsfrei und mit reversiblem Effekt. „Man sollte aus den neusten Erkenntnissen jedoch keine vorschnellen Schlüsse ziehen“, so Leiber. „Mäuse und Menschen sind sich zwar genetisch sehr ähnlich, aber die Reproduktionseigenschaften der beiden unterscheiden sich sehr.“
Ein weiterer Punkt, an dem die bisherigen Entwicklungen einer weiteren Verhütungsmethode für den Mann gescheitert sind, ist das fehlende Interesse der Pharmaindustrie. Ohne die für die Entwicklung benötigten Gelder der Pharmakonzerne wird es nicht möglich sein, ein solches Präparat auf den Markt zu bringen. Gegebenenfalls ebnet die immer geringer werdende Akzeptanz der Pille für die Frau und das wachsende Interesse an gleichberechtigter Empfängnisverhütung den Weg dafür.
Wie geht es weiter?
Trotz der vielversprechenden Ergebnisse forscht man an weiteren Methoden. Ziel ist es, ähnliche Verbindungen wie YCT529 zu identifizieren, damit es in Zukunft auch ein wirksames und sicheres Verhütungsmittel für Männer geben kann. Zwar machen die neusten Erkenntnisse Christian Leiber Mut, es ist jedoch Geduld gefragt, denn „bis eine Substanz wie diese marktfähig wird, werden viele Studien und Gelder benötigt“.