Das erste Mal alleine

... im Kino

Einzelsitze so weit das Auge reicht. Woher kommt der Drang das Kino nur in der Gruppe aufzusuchen?
05. Juni 2019

Ein stockdunkler Raum mit gesellschaftlich auferlegtem Redeverbot das Kino ist eigentlich der perfekte Ort, um das Alleinsein zu zelebrieren. Trotzdem war ich noch nie alleine dort. Das wollte ich endlich ändern.

Ich würde mich selbst als großen Filmfan bezeichnen. Ob Independent, Avantgarde, Schwarz-weiß oder sogar Französisch, für fast keinen Film bin ich mir zu schade, den heutzutage lächerlich hohen Eintrittspreis zu zahlen. Die einzige Bedingung: irgendwer muss mit ins Kino. Eine nervige Bedingung die mich leider schon der ein oder anderen cineastischen Erfahrung beraubt hat, da ich es nicht immer schaffe, meinen Bekanntenkreis mit meiner Begeisterung anzustecken. Es könnte eigentlich so einfach sein, ich müsste mich doch nur etwas zusammenreißen. Logische Argumente gegen den Alleingang finde ich nämlich kaum. Ich nahm also allen Mut zusammen und stürzte mich ins Abenteuer.

Abreserviert

Doch beim Reservieren der Tickets bereits die erste Sinneskrise: In den guten, hinteren Reihen waren nur noch Doppelsitze, sogenannte „Loveseats“, frei. Wäre es moralisch verwerflich, als Allein-Kinogänger so einen für sich zu beanspruchen? Oder ist es vielleicht sogar meine bürgerliche Pflicht ein frisch verliebtes Pärchen am Zugang zu einer der Kuschelcouchen zu hindern, um allen anderen Besuchern ein besseres, da knutschgeräuschfreies, Kinoerlebnis zu ermöglichen?

Vielleicht aber würde die ungenutzte Hälfte auch weiter angeboten werden und ich befände mich urplötzlich in einem Blind-Date mit einem anderen „Lone Wolf“? Und was, wenn dieser gerne viel buttriges Popcorn zu seinem Polit-Drama-Filmeabend bestellt und mir dann den ganzen Film durch ins Ohr schmatzt? Oder schlimmer noch, er bietet mir von seinem Popcorn an und es ist salzig? Das war mir alles viel zu heikel, ich entschied mich für mein erstes Mal lieber für einen der weniger risikoreichen Einzelsitze in einer anderen Vorstellung.

Süßes, sonst gibt's Saures

Die Reservierung war abgeschlossen, jetzt konnte mich nichts mehr hindern. Vor lauter Aufregung konnte ich am Abend meines Kinobesuches nichts essen, ich musste hungrig ins Kino. Doch ich hatte Glück: ein Becher Schokolinsen, eine mittlere Tüte Popcorn und ein Softdrink zusammen zum Schnäppchenpreis. Fantastisch! Sofort drängte sich jedoch die unangenehme Frage auf, wie ich, ohne dass es für alle Beteiligten traurig wird, für mich ganz alleine ein „Pärchen-Menü“ bestelle. Ich versuchte es mit dem Aufzählen der einzelnen Komponenten nacheinander, zwischendurch grübelnd, um den Anschein zu erwecken, ich würde diese Snack-Kombination gerade eben, in diesem Moment, erfinden. Clever!

„Also ein Pärchen-Menü?“

Ich finde es ja löblich, dass sich der Angestellte meiner Bestellung wirklich ganz sicher sein wollte, aber musste er das so laut tun? Und generell, wer sich den Namen „Pärchen-Menü“ für eine absurd ungesunde Mischung verschiedener Süßigkeiten einfallen lassen hat, betreibt meiner Meinung nach wissentlich Single-Diskriminierung und sollte deshalb keinen Cent an dem Produkt seiner kruden Ansichten verdienen! Aber was will man machen.

„Ja, bitte.“

Filmreifer Abgang

Mit angewinkelten, da vollbeladenen Armen begab ich mich zu meinem Platz, einem Einzelsitz genau in der Mitte des Saals. Erleichterung, das Gröbste hatte ich hinter mir. Denn kaum saß ich, gingen auch schon die Lichter aus, der Vorhang auf, die Lautsprecher an. Komisch. Ich vermisste nichts. Im Gegenteil sogar, ich genoss es richtig! Niemand da, der mich von der Seite anpöbeln konnte, ob ich denn wisse, wer denn jetzt der Charakter mit dem Schnauzer noch mal war. Oder ob das nicht die Schauspielerin sei, die die eine da in Game of Thrones spielt. Oder warum ich denn nicht gesagt habe, dass der Film auf Französisch ist.

Nach anderthalb unterhaltsamen Stunden verließ ich das Kino mit Bauchschmerzen. Die hatte ich wegen der ganzen leckeren Süßigkeiten, die Erfahrung an sich war nämlich wider meiner Erwartungen super! Das war bestimmt nicht mein letztes Mal alleine im Kino. Und wer weiß, vielleicht trau ich mich ja das nächste Mal sogar auf einen „Loveseat“.