„Wenn Du nicht das Richtige spielst, gehst Du unter. Egal, ob die Leute betrunken sind oder nicht.“
„Zicke zacke, zicke zacke – Bier! Bier! Bier?“
Ohne Dirndl oder Lederhose fällt manch einer mittlerweile auf. Laute Musik dröhnt aus den Festzelten und der Geruch vom „Göckele“ liegt in der Luft. Dazu mischen sich die sechs Maß Bier, die haufenweise von den Kellnern verteilt werden. Zur Volksfestzeit pulsiert der Cannstatter Wasen – die Meinungen dazu gehen auseinander. „Die meisten vergessen heutzutage, welchen traditionellen Wert das Volksfest für Stuttgart hat. Es geht um mehr, als nur ums Trinken bis zum Abwinken.“ Klaus Kächele sitzt in seinem Proberaum zwischen Trompete und Akkordeon. Für ihn ist der Tag vor dem Fassanstich immer etwas besonderes – vor dem Soundcheck liegt eine gewisse Ruhe in der Luft. Die Bierbänke glänzen frisch geputzt und das Zelt erstrahlt in Symmetrie. Nervosität liegt in der Luft und jeder vor Ort weiß: Zwei anstrengende und gleichzeitig unvergessliche Wochen stehen bevor.
Mit einem verschmitzten Lächeln und leichter Melancholie erzählt Klaus von seinen musikalischen Anfängen. Mit sieben die ersten Instrumente, ein paar Jahre später die eigene Musikgruppe. Mittlerweile tourt er seit 1994 mit der Partyband „Die Grafenberger“ durch ganz Deutschland – Auftritte gibt es teilweise auch in der Schweiz und in Südtirol. Zwei Wochen im Jahr gehört die Band aber ganz dem Volksfest in Cannstatt. „Wir spielen eigentlich jeden Tag dort – wenn wir zwischendurch drei Tage frei haben, ist das viel.“ Sein Handy klingelt. Und das nicht nur einmal während des Gesprächs. Ein neuer Termin für die Band – Klaus ist Chef und Manager in einem. Seiner Meinung nach ist die Veranstaltung enorm wichtig für die Stadt Stuttgart. „Jeder kennt das Volksfest, da kannst Du in Italien nachfragen!“ Er lacht und streift sich durchs grau glänzende Haar.
Die Entwicklung des Festes ist offensichtlich. Blasmusik wird immernoch gespielt, aber auch „Partymukke“ und „Mallehits“ haben sich in den letzten 22 Jahren ins Programm geschlichen. Während Musik und Publikum in den Zelten zunehmend jünger werden, geht der Modetrend zurück zur Tradition. Eine seltsame Verschiebung. Diesen Wandel erklärt sich der Bandpapa so: „Es ist das Zusammengehörigkeitsgefühl. Gute Laune, Lieder zum Mitgröhlen und gleiche Outfits. Das schweißt zusammen." Für ihn ist die Wasenzeit eine der schönsten im Jahr. Während Klaus seine Trompete putzt, spricht er über Herausforderungen. „Man muss von Anfang an wissen, was das Publikum hören will. Wenn Du nicht das Richtige spielst, gehst Du unter. Egal, ob die Leute betrunken sind oder nicht.“ Nach 22 Jahren ein Kinderspiel für den Musiker – für mich als neue Sängerin immer noch ein Phänomen. Erst seit einem Jahr bin ich mit an Bord.
Den größten Unterschied zu früheren Zeiten sieht Klaus – neben der Musik – in den Ausschreitungen. „Respekt gleich Null – manche Leute kannten früher ihre Grenzen besser. Das liegt aber nicht am Volksfest.“ Einer der Gründe, wieso manch einer so gar keine Lust auf die Party im Zelt hat. Wo viel Alkohol fließt, sind die guten Manieren beim ein oder anderen tatsächlich schnell vergessen. „Da fliegt unserem Sänger auch gerne mal ein Stück Hähnchen an den Kopf.“ Klaus prustet los – Spaß hat er mit seiner Band allemal auf dem Wasen. Er konzentriert sich aber auf die Mehrheit der Gäste: fröhliche Gesichter, ganz viel Liebe und das Zusammengehörigkeitsgefühl. Wird die gute Laune doch einmal von Ausschreitungen gestört, gibt es ja auch noch die Männer in schwarzer Kluft. Die sind in Sekundenschnelle da. Ein Anflug von Sentimentalität. „Security? Die hat damals noch kein Mensch gebraucht!“
„Da fliegt unserem Sänger auch gerne mal ein Stück Hähnchen an den Kopf!"
Der Tourbus ist von oben bis unten voll mit Boxen, Kabeln und Instrumenten. „Schön ist beim Volksfest auch, dass wir für zwei Wochen lang Auftritt nur einmal aufbauen müssen.“ Klaus lacht und erzählt vom familiären Umgang in der Band. Während des Volksfestes ist der Raum unter der Bühne das neue Zuhause. Hier wird gefrühstückt, gegessen, umgezogen, geschminkt und Pause gemacht. Ein Rückzugsort von den tobenden Massen vor der Bühne – das schweißt zusammen, im wahrsten Sinne des Wortes. „Wir sind wie eine kleine Familie. Da wird viel gelacht, diskutiert und reflektiert.“ All das auf sieben Quadratmetern Raum, bis es wieder nach oben ins Rampenlicht geht.
Es steckt sehr viel Geschichte in diesem Fest, das manche heutzutage als „Saufgelage“ bezeichnen. Die Fruchtsäule, die für die meisten nur als Treffpunkt bekannt ist, stand dort 1818 schon in anderer Form – gestiftet von König Wilhelm I. Damals enstand das Fest, um die württembergische Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen - es fand nur einen einzigen Tag statt. Mehr als 30.000 Besucher und Mitwirkende nahmen teilweise eine mehrtägige Reise aus allen Teilen des Königreichs auf sich. Heute sind es rund vier Millionen Besucher jedes Jahr. „Als Jugendlicher lag ich im Strandbad und habe mir so sehr gewünscht, nur einmal auf dem Volksfest aufzutreten.“ Seinem Nachwuchs in der Band hält er immer eines vor Augen: Für dieses Standing auf dem Wasen hat er lange gearbeitet. „Ich sage meinen Jungspunden immer: Wenn Du etwas machst, dann musst du es richtig machen.“ Wir sehen uns auf dem Volksfest – ob jung oder alt.