„Wenn man Studenten behaust, sind die Studenten das Wichtigste, nicht die Architektur.“
Ein Hauch von Hostelcharme
Alles ziemlich schräg hier. Jana streckt sich im Bett ihres verwinkelten Zimmers, warme Sonnenstrahlen prickeln auf ihrer Haut. Das Holz ihres Hochbetts knarzt leise. Draußen zwitschern die Vögel. Türen knallen zu. Im Gang kann Jana schon einige ihrer Mitbewohner hören, wie sie aus ihren Zimmern zur Vorlesung eilen. Hastig macht auch sie sich auf den Weg ins Bad – vorbei an den vielen Zimmern ihrer Mitbewohner.
Entworfen haben genau diese Räume Architekturstudierende der Universität Stuttgart. Vor 37 Jahren bauten sie mit den Professoren Peter Hübner und Peter Sulzer dieses verwinkelte Gebäude auf dem Campus. Hintergründe gab es laut Hübner zwei: Zum einen mangelte es den Studierenden an praktischer Erfahrung im Bauen. Sie sollten nicht nur mit dem Zeichenbrett, sondern auch mit Hammer und Nagel selbst Hand anlegen. Zum anderen herrschte schon damals eine studentische Wohnungsnot.
Der Name „Bauhäusle“ spielt ironisch auf den vom Weimarer Bauhausstil der 20er Jahre an. Das Bauhaus gilt als Inbegriff der klassischen Moderne. Die Verniedlichung des Namens zeigt, dass der kantige, eckige und relativ nüchterne Stil von den Architekten nicht ganz ernst genommen wurde. Das Bauhäusle ist nämlich alles andere als geradlinig. Vielmehr ist es von seiner Individualität und Verrücktheit geprägt.
Heute wohnen 30 Studierende aus unterschiedlichen Studienrichtungen in diesem Haus. Jana studiert Luft- und Raumfahrttechnik an der Uni Stuttgart. Schläfrig schlurft sie in die Küche. Es duftet nach Kaffee. Von Barbara wird ihr schon eine Tasse eingeschenkt. Da miaut es laut zu ihren Füßen. Kater Findus wartet auf sein Frühstück. Im Gegensatz zu anderen Wohnheimen sind die Bauhäusler nämlich seit einer Mäuseplage dazu verpflichtet, zwei Katzen zu halten. Dafür gibt es nun ein Katzenamt. Solche Aufgaben werden in diesem Wohnheim über Ämter geregelt. Es gibt zum Beispiel auch ein Garten-, Bier und Gewürzamt.
„Erstmal Heimkommen nach dem Praktikum und die Katze streicheln, das tut richtig gut“, schwärmt Henrike, Janas Mitbewohnerin. Beide sind vollkommen begeistert von den Katzen Findus und Zazou. Wie jeden Morgen füttert Jana die beiden Stubentiger. Sie warten schon gierig an ihren Näpfen und streichen um Janas Beine. Danach muss sie auch schnell los zur Uni, sie hat sich mal wieder verquatscht und ist spät dran.
Kein Zimmer gleicht dem anderen, denn Individualität wird hier ganz groß geschrieben. Die Bauherren haben ein überdimensionales Weinfass zersägt, gekippt und als Schlafzimmer auf das Obergeschoss gesetzt. Auch Spitznamen prägen die einzelnen Räume. So auch das Zimmer „Camembert“, das aus einer runden Holzkonstruktion besteht und um zwei Traktorfelgen vom Schrottplatz geformt ist.
Jana wirft ihre Tasche ins Eck. Endlich daheim! Sie schnappt sich einen Roman und kuschelt sich zwischen ihre Kissen. Dabei wird sie von einem pinken Einhorn mit leuchtenden Augen beobachtet, das ihre Wand ziert. Eine andere Wand ist quietsche rosa und auch sonst findet man dort einige Einhornmotive. Doch das war keine Idee der Architekturstudierenden, die das Haus ursprünglich erbaut haben. Vor einigen Jahren wurde Janas Vormieter ein Streich gespielt und sein Zimmer neu dekoriert.
200 Studierende, 30.000 Arbeitsstunden, 30 individuelle Räume
Bereits die Entstehungsgeschichte des Bauhäusles prägte das Lebensgefühl des untypischen Wohnheims. 200 Studierende arbeiteten Hand in Hand und legten 1981 den Grundstein. 30 Gruppen mit je sieben Personen planten jeweils einen Wohnraum. Geschenkte Fenster und Utensilien wurden verbaut, unterschiedliche Baummaterialien gestalten die jeweiligen Räume. Genau aus diesem Grund ist das Bauhäusle, was es heute ist: ganz individuell. Die Baugruppen investierten rund 30.000 Arbeitsstunden in dieses faszinierende Projekt. Laut Hübner haben sie sehr blauäugig begonnen, es aber mit viel „Schlitzohrigkeit“ durchgezogen. Die Aufgabe erschien vielen Kritikern als zu umfangreich und zu komplex. Doch die harte Arbeit der vielen Studierenden wurde belohnt: nach nur einem halben Jahr zog der erste Bewohner in das Bauhäusle ein. 18 Monate später (1983) füllte sich das erste selbstgebaute Studierendenwohnheim mit Leben.
Es duftet nach geschmolzenem Käse und frischem Teig. Heute gibt es Pizza! In der Küche ist es ziemlich voll, doch das stört niemanden. Alle kneten, belegen und verspeisen viele Pizzen. Das Ploppen der Bierkronen mischt sich mit dem Lachen der Bewohner. Am Ende ist die Küche ziemlich verwüstet: Überall sind Teigspuren und Tomatensoßentropfen. Doch da alle helfen, ist es schnell wieder sauber. Naja, so sauber, wie Studentenküchen eben sind.
Für Jana ist genau dieses Gemeinschaftsgefühl das Besondere am Bauhäusle: „Wir sind 30 Leute und machen echt viel zusammen. Wenn man heimkommt, setzt man sich in die Küche und irgendjemand ist immer da, der sich mit einem unterhält oder sich zur Not auch mal anhört, was man gerade für Probleme hat.“ Auch Quentin, ein Erasmusstudent aus Frankreich, fühlt sich hier sehr wohl. „Es hat irgendwie etwas von externer Familie“, meint Jana. Quentin schließt sich – wie viele der Bewohner – dieser Meinung an.
Mit einem Kaffee in der Hand sitzen Jana und ihre Mitbewohner auf der sonnigen Terrasse und genießen die Wärme des goldenen Herbsts. Sie erinnert sich: „Viele haben mit angepackt, ich habe vor allem das Holz gestrichen.“ Sie blickt auf die neu lasierte Terrasse und hüpft auf dem Holz, alles sehr stabil. Solche Aktionen sind nichts Besonderes im Bauhäusle, denn noch immer wird das Wohnheim von den Studierenden selbst in Schuss gehalten. Die Bauhäusler sitzen zusammen, essen Kuchen und planen schon das nächste Projekt.