„Beim Social-Bounding-Verhalten ist Musik ein starker Trigger und Indikator für spezifische Gruppen.“
Wenn der Beat verbindet
In regelmäßigen Abständen bricht zuckendes Licht den Raum, über den Tresen der Bar wird Glas um Glas geschoben. Mitgerissen vom Strom der Musik bewegen sich die tanzen Körper zum Beat, sind wie wehrlos dem Sog des Sets ausgeliefert. Jede Tempoänderung nimmt das Publikum mit Begeisterung auf, die Bewegungen werden schneller.
Schöpfer dieses Gefühls ist an diesem Abend DJ Danny Salas, der wie ein Marionettenspieler am Mischpult steht und die Clubgänger in einen Rauschzustand bringt. Angestachelt von der Stimmung der Crowd huschen seine Finger über die Knöpfe und Regler; sie bewegen sich geschmeidig, als tanzten sie zu ihrer ganz eigenen Melodie. Wie von einem Magneten angezogen, stehen die Menschen dem DJ zugewandt, lassen sich mitreißen von der Musik.
Ein paar Stunden bevor die Bar „Romantica“ in der Hauptstädter Straße in kollektiver Ekstase versinkt, ist Danny Salas in Vorbereitungen für sein Set vertieft. Studiert hat er angewandte Medien, nun ist er Entrepreneur und Unterhalter – viel mehr als der DJ-Begriff zu erklären vermag. Wenn er von seinem Werdegang erzählt, taucht er ein ins Stuttgart der frühen 2000er Jahre, als die „Röhre“ noch ihren Platz am Wagenburgtunnel hielt und das Internet in den Kinderschuhen steckte. Zum ersten Mal in Berührung mit dem DJ-Kult kam der 30-Jährige, der bürgerlich Daniel Julian Hernandez Salas heißt, durch eine Radioshow. „Damals konnte man sich die Musik nicht einfach aus dem Internet ziehen, also stand ich mit zehn Jahren vor dem Radio und habe mit Tape die Radioshow mitgeschnitten“, erinnert sich Salas.
Nachdem er mit 14 Jahren seinen ersten eigenen Plattenspieler bekommen hatte, landete er mit 16 auf seinen ersten Raves im Stuttgarter Kultclub „Röhre“. „Ich war so begeistert, dass ich beim dritten oder vierten Mal zu den DJs gegangen bin, denen ein Highfive gegeben habe und gefragt habe, ob ich auch mal auflegen darf“, erinnert sich Danny und fügt hinzu: „Wenn du auflegen willst und keinen Namen in der Szene hast, musst du penetrant sein. Das war ich auch, und nach drei oder vier Monaten kam dann die Aussage, dass ich aufhören soll zu nerven und Material für zwei Stunden Warm-Up mitbringen soll.“ Das war seine Eintrittskarte in die Szene – mit 18 Jahren hatte er eine erste DJ-Performance in der „Röhre“ auf dem kleinen Mashup-Floor. Schnell entwickelte er ein „persönliches Faible“ für die Musikrichtung „UK Garage“.
How to DJ
beats-per-minute (bpm) – eine Einheit, um das Tempo eines Musikstücks zu beschreiben. In der elektronischen Musik rangieren diese Zahlen zwischen 60 bpm im HipHop und können bis zu 1000 bmp beim Splittercore gehen.
UK Garage – Musikrichtung aus Großbritannien und Sub-Genre der Housemusik.
uplifting – Tracks mit euphoriesierendem Charakter, der durch eingängige Melodien, Pattern und Sequenzen erzeugt wird. Die dadurch ausgelöste Ekstase bringt den Hörer zum einen in einen meditativen Zustand, regt aber gleichzeitig auch zum Tanzen an.
Zwölf Jahre später hat er von mehreren club residencys über eine eigene Veranstaltungsfirma so ziemlich alles vorzuweisen. Die Faszination dahinter sei „die kollektive Ekstase”, die seine Sets in den Menschen auslösen. „Wenn du vor Leuten spielst, ihnen deine Lieblingsmusik präsentierst und sie das genauso abfeiern wie du, gibt einem das eine gewisse Befriedigung. Auch wenn ich immer die gleichen Tracks spiele, erreiche ich neue Leute, ziehe sie in meinen Bann mit Musik, die ich ausgesucht habe – das ist ein kleiner Suchtfaktor“, beschreibt Salas.
Wenn er auflegt, versucht er einen dramaturgischen Bogen zu spannen: Er starte mit seichten, vocallastigen Beats, die einen langsamen und harmonischen Rhythmus haben, arbeitet sich über perkussivere „uplifting tracks“ an die peak time heran und „dann darf es richtig knallen“, erklärt der DJ. Diese Beobachtung machte auch Musikwissenschaftler Reinhard Kopiez: In seinem Werk „Musikalischer Rhythmus und seine wahrnehmungspsychologischen Grundlagen“ stellt er fest, dass DJs ihre Tracks so auswählen, dass sich das Tempo langsam steigert. Das hat auch einen Grund: Die Wissenschaft nimmt an, dass zwischen der Herzschlagfrequenz, körperlicher Anstrengung und der Geschwindigkeit von Musik ein Zusammenhang besteht, der als „Magneteffekt“ bezeichnet wird. Blinder Fleck bei vergleichbaren Studien ist aber, dass der Einfluss von Musik auf die Puls- und Atemfrequenz nicht wirklich nachweisbar ist, da solche Effekte von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich auftreten und die Clubsituation für nähere Untersuchungen schwer nachzustellen ist.
Gemeinsames Tanzen stärkt die Gruppendynamik
Aber wie erkennt man hinter dem Mischpult überhaupt, ob dem Publikum das Set gefällt? „Jahrelange Erfahrungswerte”, so Salas. „Man lernt, die Leute zu lesen. Wenn sie deinen Mix feiern, tanzen sie heftig und euphorisch, sind dir zugewandt und schauen dich manchmal sogar erwartungsvoll an.“ Es sei ein Zusammenspiel aus ekstatischem Tanzen, dem Ausbleiben von Unterhaltungen „und natürlich wie sehr sie schwitzen – das ist ein Indikator dafür, wie viel sie sich bewegen“, erklärt der DJ.
Seine Beobachtungen werden unterstrichen von Kopiez‘ Forschungsergebnissen: Einer der auffälligsten Effekte von Musik auf den Menschen sind Bewegungen, die synchron zum Beat verlaufen. Durch diese Bewegungen wird in Gruppen ein stärkeres Gefühl von Zusammenhalt vermittelt – gemeinsames Tanzen ist also nichts anderes als eine Aktivität, um die Gruppendynamik zu stärken. Kopiez stellte außerdem fest, dass Menschen sich auch bei Tempoänderungen synchron zum Rhythmus der Musik bewegen können – eine Fähigkeit, die aus einer Zeit stammt, in der Menschen ihr Essen selbst erlegen mussten und die damit den Erfolg bei der Jagd ausmachte.
Musik kann also eine Art „sozialer Kitt“ sein und Menschen miteinander verbinden. Gleichzeitig ist hier aber Vorsicht geboten: „Musik macht uns angeblich zu einem besseren Menschen – so einfach ist es aber nicht“, erklärt Friedrich Platz, Professor an der Hochschule für Musik und bildende Kunst in Stuttgart. Er bezeichnet Musik als „wahnsinnig starken Trigger für gemeinsame Handlungen“ und erklärt, dass beispielsweise ein Abend im Club zu prosozialem Verhalten führe. Darunter versteht man Aktionen, die zwar der Gruppe – in diesem Fall im Club – zugutekommen, aber deshalb nicht zwingend ethisch oder moralisch korrekt sein müssen. Ein Beispiel dafür ist der Rechtsrock.
Man könne außerdem nicht pauschalisieren, warum wem von uns welche Musik gut gefällt, führt Platz weiter aus. Vor allem in Clubs und Bars komme es auf unterschiedliche äußere Faktoren an, die bestimmen, wie sehr man sich mit anderen Menschen verbunden fühlt. Ob und wie stark diese Verbindung ist, hänge von der Situation, der Person an sich und der gespielten Musik ab. „Die Zugehörigkeit zu einer gewissen Musikszene, sowie das Interagieren mit den Interpreten und dem weiteren Publikum im Konzert, spricht beim Menschen Belohnungssysteme an und schafft ein Wir-Gefühl“, erläutert der Professor für Musikpädagogik und -psychologie. Auch die starke immersive Soundsituation, die in Clubs gang und gäbe ist, trägt dem Gefühl der Verbundenheit bei: Die Menschen tauchen ein in das Geschehen und fühlen keine Distanz zu ihrer realen Umgebung.
Diese Erfahrung, die oft durch Drogen- oder Alkoholkonsum noch verstärkt wird, macht die Wirkung vor allem im Bereich der elektronischen Musik ähnlich sedativ wie aufputschend. Und genau das ist der Grund, weshalb die Leute gerne feiern gehen. Fragt man die Umstehenden, was sie in die Clubs und Bars der Stadt treibt, bildet sich schnell ein Konsens: Die Seele baumeln lassen, aus sich herausgehen, eine gute Zeit haben.
Bevor der neue Tag anbricht, geben die Gäste der „Romantica“ noch mal alles. DJ Danny Salas spielt nun Tracks mit hoher beats-per-minute-Zahl und treibt die Stimmung in der Bar so auf den Höhepunkt. Eine nennenswerte Korrelation zwischen einer mit der Stimmung verbundenen, erhöhten Herzfrequenz und der Geschwindigkeit der Musik besteht aber nicht: „Die basslastige Musik mag im Einzelfall zwar auf Organe wie das Herz und in der Folge auf die Atemfrequenz wirken, das aber nur sehr träge und in geringem Ausmaß. Beim Tanzen ist es die Aktivität selber, die den Kreislauf anregt und den Herzrhythmus beeinflusst“, erklärt Friedrich Platz.
Eine Studie der norwegischen Wissenschaftlerin Ragnhild Torvanger Solberg belegt die Aussagen von Platz weiter: Vor allem nachdem der Beat fällt – im Fachjargon wird auch von einem Drop gesprochen – sind bei Partygästen veränderte Bewegungsmuster festzustellen. Sie tanzen wilder und heftiger und erleben intensive körperliche Empfindungen wie Gänsehaut, ein Kribbeln im Körper und Schauder, die über den Rücken laufen. Unterstützt werden diese Wahrnehmungen durch das gemeinsame Tanzen, starke visuelle Reize und – in manchen Fällen – auch durch Drogenkonsum.
Diese Reaktionen beschränken sich nicht nur auf die äußerliche und emotionale Ebene: Dr. Maria Witek, die an der Universität in Birmingham Forschungsbeauftragte für Musik ist, stellt die Vermutung an, dass besonders heftiges Tanzen im Club und das Hören von angenehmer Musik die Serotonin- und Dopamin-Ausschüttung ankurbelt. Dabei handelt es sich um Glückshormone, die das Belohnungssystem ansprechen.
Damit die Clubgänger nicht vollkommen außer Puste und wortwörtlich aufgeputscht heimgehen müssen, fährt Salas gegen 6 Uhr morgens die beat-per-minute-Zahl herunter. So kann die Partynacht entspannt ausklingen: Die letzten Tanzwütigen können sich noch einmal die Anstrengung der Woche aus den Gliedern schütteln, bevor sie dann zu sanften House-Klängen den Heimweg antreten.