„Die Menschen sind rücksichtsloser geworden.“
Die deutsche Autobahn. Es wird gerast, sich gegenseitig geschnitten und ausgebremst – im Mittelpunkt die vielen Lastkraftwagen. Die LKW-Fahrer werden angehupt, beschimpft und manchmal zeigt ein Autofahrer einen Mittelfinger. Könige der Straße hieß es früher und heute sind sie auf der Straße für alles die Schuldigen. Das Image der Berufskraftfahrer hat stark gelitten. Die Fernfahrerromantik von endloser Freiheit und Unabhängigkeit, wie in den alten Filmen, ist vorbei. Warum kam es soweit, dass aus dem einst angesehenen Beruf, der unbeliebteste Verkehrsteilnehmer wurde?
„Die Menschen sind rücksichtsloser geworden.“
Am Anfang unserer Recherche wollen wir uns über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einen Überblick verschaffen. Deutschland ist eine wirtschaftsstarke Nation. Im Jahr 2018 erwirtschaftete die Bevölkerung, laut dem Statistischen Bundesamt, ein BIP von rund 3.388 Mrd. Euro. Im vergangenen Jahr wurden Güter im Wert von 1.317 Mrd. Euro exportiert und für 1.089 Mrd. Euro importiert. Diese unglaubliche Gütermasse muss transportiert werden. Über 70 Prozent werden dabei von Lastkraftwagen und Transportern übernommen. Seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 stieg die deutsche Wirtschaftsleistung wieder und mit ihr gleichzeitig die Transportleistung vor allem im Straßenverkehr.
Dabei erfahren wir während unserer Recherche durch einen Logistikexperten eines multinationalen deutschen Konzerns, dass vor allem die Bedeutung der Logistik zunehme. Reduzierung von Logistikkosten bei einer gleichzeitigen höheren Taktung bei der Produktion führen zu höherem Aufwand für die Transportdienstleister. Dabei wird oftmals von großen Unternehmen auf die Just-In-Time-Produktion gesetzt. Der Experte sichert uns schriftlich zu, dass dieses Konzept auch in seinem Unternehmen umgesetzt wird. Die genannten wirtschaftlichen Faktoren und der ansteigende Internethandel führen zu erheblichen Schwierigkeiten der Logistikunternehmen. Das Unternehmen vergebe Aufträge generell an in- und ausländische Unternehmen, erklärt man uns. Dennoch setzen hierbei deutsche Spediteure oftmals auch auf günstigere Transportdienstleister aus Osteuropa, denn durch die Kabotagefreiheit in der EU seit 2007 können osteuropäische Trucker Fahrten innerhalb anderer EU-Staaten drei Mal pro Woche Transportleistungen zu Niedriglöhnen anbieten. Wir stellen erstaunt fest, dass vor allem wir als Verbraucher eine Mitverantwortung an der Situation haben, da wir durch immer schnelleren, preiswerteren und steigenden Konsum die Anforderung an die Wirtschaft erhöhen.
Die Kabotagefreiheit der EU bedeutet eine Erlaubnis für jeden europäischen Transportdienstleister, in einem EU-Staat Dienstleistungen zu erbringen.
Just-In-Time-Produktion ist ein Produktionskonzept, bei welchem Rohstoffe oder Teile bei exakter Planung am Produktionsort eintreffen. Die Lagerkosten werden dadurch reduziert, da keine klassischen Warenlager unterhalten werden müssen.
Wir wollen mehr über den Berufsalltag eines Berufskraftfahrers erfahren und treffen uns mit Nikolaus, kurz Niko – einem 56-jährigen LKW-Fahrer. Wie er selbst sagt, ist er glücklich verheiratet und hat zwei Kinder. Er fährt seit 37 Jahren für eine Spedition im Fernverkehr und ist die ganze Woche unterwegs. Er berichtet uns über seine persönlichen Herausforderung im Job. Als wir mit dem Interview beginnen, wirkt er sehr entspannt, aber wenn er über seinen Beruf erzählt, blitzen seine Augen auf wie bei einem kleinen Jungen an Weihnachten.
Er arbeitet pro Woche in fünf Schichtzeiten und ist auf Straßen in ganz Deutschland und zum Teil in Europa unterwegs. Zweimal 13 Stunden und dreimal 15 Stunden, erklärt er uns, dazwischen sei Pause. Diese richtet sich immer nach der Schichtzeit und ergänzt die zu einem Arbeitstag von 24 Stunden. In den Pausen muss er rasten, sowie es nach den EU-Richtlinien vorgeschrieben ist. Die maximale Fahrtzeit, Lenkzeit genannt, von neun Stunden, wird hierbei durch einen elektronischen Fahrtenschreiber aufgezeichnet. Dadurch können die Behörden die Lenkzeit der Fahrer genauestens überprüfen. Dies führt dazu, dass die Rastplätze auf Deutschlands Autobahnen zu bestimmten Zeiten überlastet sind. Es fehlt die Infrastruktur, die Rasthöfe haben nicht die nötige Kapazität, berichtet er mit ernster Miene. Vor allem, da viele osteuropäischen Berufskraftfahrer auch an den Wochenenden arbeiten und sonntags nicht fahren dürfen, werden sie dadurch zu einem Problem für Rasthöfe in der ganzen Bundesrepublik. Diesen Zustand stellen wir ebenfalls erschrocken fest, als wir an der Raststätte Denkendorf an der A8 Schnittbilder für unser Interviewvideo drehen wollen. Es ist November, das Wetter nasskalt. Man sieht die Fahrer in ihren Zugmaschinen bei laufendem Motor sitzen oder sich an kleinen Gaskochern wärmen. Trotz der Tristesse sind alle Fahrer freundlich, und ein rumänischer Trucker bietet uns sogar etwas zu essen an. Man fühlt sich wie auf einem Campingplatz – nur, dass um einen Zugmaschinen und Anhänger herumstehen.
Als weiteren Stressfaktor nennt uns Niko ebenfalls die Just-In-Time-Produktion, den zunehmenden Online-Handel, sowie den knallharten Konkurrenzdruck mit osteuropäischen Speditionsdienstleistern.
Trotz alledem sei für ihn das Fahren mit dem LKW sein Traumjob, sagt Niko am Schluss unseres Interviews und muss lachen. Durch seine Erlebnisse „on the road“ ist es immer noch ein kleines Stück Freiheit, beschreibt er mit aufgeweckten Augen. Wie er uns vor dem Interview mitteilt, ist sein Sohn selbst Berufskraftfahrer geworden, so wie er.
Dennoch sind LKW-Fahrer die tragischen Helden unserer Wirtschaft. Durch die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Anforderungen stehen die Logistikbranche und die Fahrer ständig unter Druck. Auch das erhöhte Verkehrsaufkommen durch Transportmittel und die vielen osteuropäischen Zugmaschinen auf den Autobahnen sind darauf zurückzuführen und haben zu einem sinkenden Ansehen des Berufsbildes geführt. Dennoch bilden tausende LKW-Fahrer eine der wichtigsten Stützen der deutschen Wirtschaft. Denn ohne sie stehen die Werke still, im Handel bleiben die Regale leer und dennoch ist für manchen das Fahren auch immer noch die unendliche Freiheit einmal König der Straße zu sein.