Baubiologie

Schimmel in Neubauten?

Baubiolog*innen nehmen bei einem Schimmelbefall verschiedene Messungen vor. Neben Schimmel untersuchen sie auch chemische Schadstoffe und Strahlungen.
20. Mai 2021
Baubiologe Alfred Steinki ist sich sicher: „In der Hälfte aller Neubauten entsteht Schimmel.“ Den Grund dafür sieht er in unserer Art zu Bauen. Doch dem stimmen nicht alle zu. Nur bei einem sind sich die Experten einig: Auf dem Bau geht alles viel zu schnell.

Der Traum von den eigenen vier Wänden muss heutzutage schnell umgesetzt werden. Denn Zeit ist Geld. Im April wird der Keller ausgehoben und bis zum neuen Jahr soll schon eingezogen werden. So auch bei Familie Müller: Für das neue Haus kommen an den Weihnachtsfeiertagen etliche Einweihungsgeschenke an, doch die größte Überraschung wartet im eigenen Neubau. Das Dachgewölbe ist mit zahlreichen schwarzen Punkten übersät – zehn Minuten später klingelt bei meinem Onkel, Alfred Steinki, das Telefon.

Wird im Winter viel Feuchtigkeit ins Haus gebracht, fängt oft der Dachstuhl als erstes an zu Schimmeln, weil die warme Luft samt Feuchtigkeit nach oben steigt.

Jedes Jahr nach Weihnachten hört Schimmelexperte Alfred Steinki diese Geschichte, wenn ihn die Betroffenen um Hilfe fragen. Im Interview erzählt er, dass viele über die Feiertage neben etlichen Familienfesten das Lüften vergessen. Er fügt scherzhaft hinzu: „Wenn ich in der Vorweihnachtszeit vor einem neuen Haus einen Maler oder Bodenleger parken sehe, kann ich mir die Hausnummer eigentlich schon mal merken.“ Denn Bodenleger und Maler sind diejenigen, die in einer sensiblen Bauphase viel Wasser ins Haus einbringen. Im Schnitt werden in einem massiv gebauten Einfamilienhaus 10.000 Liter Wasser verbaut. Dieses ist mehrheitlich in den Baumaterialien gebunden, doch einiges an Feuchtigkeit muss wieder „ausziehen“. Ist das nicht möglich, sammelt sich diese oft unter dem Dach.

Ob es in einem Haus schimmelt, hängt zu 90% von der Feuchtigkeit ab.

Andere Faktoren wie Nährstoffe, Temperatur und Lichteinstrahlung machen nur 10% aus.

Alles nur eine Frage der Lüftung?

Michael Weißert vom Fachverband der Stuckateure Baden-Württemberg sieht an dieser Stelle ganz klar die Kunden und die Akteure auf dem Bau in der Pflicht. Aus seinen Erfahrungen schließt er: „Es handelt sich bei Schimmelpilzschäden vielfach um ein Nutzerproblem, wie zum Beispiel unzureichende Lüftung, sowie um bauliche Fehler.“ Baubiolog*innen hingegen sehen das Problem in der modernen Bauweise. Man ist sich einig: Synthetische Baustoffe wie Styropor lassen wenig Luft- und Feuchtigkeitsaustausch zwischen dem Gebäude und der Umwelt zu.

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Ein weiteres kritisches Baudetail sind Fließestrichböden. Nachdem ich bei meiner Arbeit in einem Estrichleger-Betrieb den ganzen Tag Schläuche von Wohnung zu Wohnung geschleppt hatte, war ich abends erleichtert in meinen Gummistiefeln endlich Richtung Ausgang waten zu können. Draußen habe ich erst gemerkt, wie dämpfig es im Gebäude war und, dass ein Vesperbrot zu Mittag eindeutig zu wenig ist. Außerdem sollten wir hinter uns alle Fenster schließen, da vor allem auf Großbaustellen immer die Gefahr eines Einbruchs besteht.

Mit Hilfe von Gipskartonplatten kann man sich zwar das Mauern massiver Wände sparen, doch sie nehmen auch gut Feuchtigkeit auf. Deshalb rät Alfred Steinki von einer Kombination mit Fließestrich ab.

War früher alles besser?

Auch der Schimmelexperte Jürgen Rath beobachtet einen Anstieg von Schimmelbefällen. Er zieht einen Vergleich zu früheren Zeiten: „Früher ließ man den Rohbau einen kalten Winter lang austrocknen. Und auch sonst zog es durch alle Ritzen.“ Doch er sieht in der modernen Art zu bauen mehr Vor- als Nachteile. Wegen der guten Isolation müssen Häuser viel weniger beheizt werden und haben dadurch eine bessere Umweltbilanz. Die Neubaufeuchte kann man durch regelmäßiges Lüften oder Belüftungsanlagen gut in den Griff bekommen. Doch beim Faktor Zeit stimmt Rath den Bedenken meines Onkels zu. Bei zu schneller Trocknung zieht die Feuchtigkeit aus tieferen Schichten nicht mehr nach. Man spricht davon, dass der Kapillarzug abbricht. Dieses Phänomen tritt häufig in Verbindung mit Bautrocknern auf, die eingesetzt werden, um bestimmte Bauabschnitte schneller fertigzustellen.

Bei dem Wort Schimmelproblem ist gleich wieder eine Wertung dabei.

Alfred Steinki

Während des Interviews warnt Jürgen Rath immer wieder vor einer Schimmel-Hysterie. Er erklärt, dass Schimmelpilze ganz natürlich in unserer Umgebung vorkommen. Aber wenn man jemanden Angst machen möchte, müsse man nur die Gummidichtung seines Kühlschranks untersuchen. Er fügt hinzu: „Was man darin an Pilzen und anderen Mikroorganismen findet, haut den durchschnittlichen Kunden von den Socken, ist aber für einen relativ gesunden Menschen komplett unbedenklich.“ Auch mein Onkel warnt vor einer übermäßigen Problematisierung. Auf die Nachfrage wie viele Neubauten nach seiner Einschätzung ein Schimmelproblem haben, antwortet er „Naja, bei dem Wort Schimmelproblem ist gleich wieder eine Wertung dabei. Was ich sagen würde ist, in über 50 Prozent der Neubauten ist baubedingt Schimmelpilz in relevantem Ausmaß entstanden.“ Ein Problem wird das seiner Meinung nach erst, wenn dadurch gesundheitliche Beschwerden entstehen.

Wie viele Fälle gibt es?

Die Anzahl der Neubauten, die von Schimmel befallen werden, ist sehr umstritten. Während Baubiolog*innen oft um die 50 Prozent nennen, redet der Bauphysiker Jürgen Rath lieber von 25 Prozent mit Schimmelproblemen. Markus Weißert vom Fachverband der Stuckateure Baden-Württemberg empfindet das Statement meines Onkels sogar beinahe als eine Frechheit. Er verweist auf behördliche und gesetzliche Bestimmungen, die eingehalten werden müssen. Doch meine Erfahrung aus dem Baustellen-Alltag zeigt: Vorschrift ist nicht gleich Umsetzung. Da es kaum Erhebungen gibt, kann man letztendlich nur mutmaßen, wie stark die Schimmelbefälle in Neubauten gestiegen sind.

Lösungsansätze: Zurück zu den Lehmhütten?

Der Lösungsansatz der Baubiologie ist es, mit natürlichen Materialien wie Holz und Lehm zu bauen. Herr Rath hingegen hält das für eine Nischen-Lösung. Für ihn hat sich das durchgesetzt was funktioniert und flächendeckend umsetzbar ist. Er hält eine bessere Aufklärung und konsequente Lüftung für effektiver.

Wenn ein Haus aus Lehm und Holz abgerissen wird, kann man es einfach in den Wald schmeißen. Ein Fertighaus hingegen ist Sondermüll.

Johannes Schmidt

Auch Johannes Schmidt vom Institut für Baubiologie und Nachhaltigkeit, bemerkt ein fehlendes Bewusstsein: „Viele sehen eine hohe Neubaufeuchte nicht als Problem.“ Deshalb geht er sogar so weit, relative Luftfeuchtigkeit als Thema für die Schule zu sehen. Außerdem hat Schmidt einen interessanten Denkanstoß zur Entsorgung: „Wenn ein Haus aus Lehm und Holz abgerissen wird, kann man es einfach in den Wald schmeißen. Ein Fertighaus hingegen ist Sondermüll.“ Ein Punkt bei dem sich alle einig sind, ist der Zeitdruck. Dieser wirkt sich auf dem Bau in vielen Bereichen negativ aus.

Auch bei den Neubauten der 50er und 60er Jahren ist vieles schiefgelaufen – Stichwort Asbest und Holzschutzmittel. Deshalb ist für Alfred Steinki die wichtigste Frage: Wie baut man, dass in 50 Jahren nicht wieder gesagt wird „Was haben die denn da für einen Schwachsinn eingebaut?“

In diesem Neubau sind Gipskarton-Wände übersäht mit kleinen Schimmelpilz-Kolonien. Ein Fall für den Baubiologen!
Mit diesem Infrarot Messgerät können Innenraum-Analytiker*innen die Temperatur von Oberflächen messen und so den Ursachen des Schimmelbefalls auf den Grund gehen.
Auch Messgeräte zum Bestimmen der Feuchtigkeit kommen oft zum Einsatz. In diesem Fall hat sich Schimmel hinter der Sockelleiste gebildet. Kein Wunder die relative Luftfeuchte lag hier bei 90 Prozent.
Diese Klebefilm-Probe wird ins Labor geschickt. So kann der Schimmelpilz bestimmt werden.
Bei dieser Sanierung musste Abwasser aus dem Boden abgesaugt werden. Zwei Jahre lang wurde dieses mit einem Restespülbecken nicht in die Kanalisation, sondern ins Gebäude gespült.