„Ich mache Sport, weil ich einen fairen Sport befürworte und da gehört das eben einfach dazu."
Sauberer Sport – zu welchem Preis?
Die Neonröhre im Badezimmer flimmert kurz auf. Carina Kröll sitzt auf der Toilettenschüssel, die Knie aneinandergepresst, die Hände nervös auf die Oberschenkel gestützt. Eine Frau mit strengem Blick und verschränkten Armen steht neben ihr, keine 50 Zentimeter trennen die beiden. „Entschuldigung“, flüstert Carina beschämt. Die Fremde sagt nichts, aber beobachtet Carina – ununterbrochen. Carina spürt ihren Blick wie ein Brennen im Nacken. Sie schließt die Augen und atmet tief durch.
Dopingkontrollen gehören für Profisportler*innen zum Tagesgeschäft. Im letzten Jahr wurden in Deutschland 12.289 Kontrollen durchgeführt, davon 7.183 Trainingskontrollen und 5.106 Wettkampfkontrollen. Was für die einen Routine ist, steht für andere im Schatten großer Skandale. Aberkannte Olympiamedaillen und tragische Todesfälle aufgrund von Doping haben den Leistungssport immer wieder aufs Neue erschüttert. Regelmäßige Dopingkontrollen sind deshalb ein fester Bestandteil des Profisports.
Turnen zwischen Leidenschaft und Kontrolle
Auch die 23 Jahre alte Profiturnerin Carina Kröll hat bereits Erfahrungen mit Dopingkontrollen gemacht. Als Vierjährige hat sie mit dem Turnen angefangen. Seitdem springt sie fast täglich durch die Turnhalle, ihre Leidenschaft hat sie zum Beruf gemacht. Aktuell trainiert sie neben einem Vollzeitjob bis zu 20 Stunden in der Woche. Da sie sowohl die deutsche als auch die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt, turnt sie in der deutschen ersten Bundesliga und gleichzeitig für die österreichische Nationalmannschaft. Als Profiturnerin unterliegt Carina dem Doping-Kontroll-System der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA).
„Die NADA ist die maßgebliche Instanz im Kampf um sauberen Sport in Deutschland“, erklärt Eva Bunthoff, Ressortleiterin des Doping-Kontroll-Systems der NADA. Sie übernimmt alle Aufgaben im Anti-Doping-Bereich. Dazu gehören Kontrollen, die Prävention, die Erteilung medizinischer Ausnahmegenehmigungen sowie der rechtliche Part, falls ein*e Athlet*in auffällig wird und ein Verfahren eingeleitet werden muss. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) ist Regelungsgeber und überprüft, ob die NADA die Vorgaben in Deutschland umsetzt.
Für die Ermittlung des Kontrollumfangs werden die Sportarten in bestimmte Risikogruppen eingeteilt, auch der Kaderstatus ist maßgeblich. Dass bei Sportarten ein unterschiedlich hohes Risiko auf Doping besteht, wird schnell am Paradebeispiel der NADA Radsport vs. Minigolf ersichtlich. Ausdauer- und Kraftsportarten wie Radsport oder Leichtathletik werden als Hochrisikosportarten eingestuft und demnach häufiger kontrolliert. Beim Minigolf werden aufgrund eines geringen Dopingrisikos hingegen seltener Kontrollen durchgeführt. Als Turnerin ist Carina ebenfalls in der Risikogruppe A mit hohem Dopingrisiko.
Was kostet sauberer Sport?
Das erste Mal stand die NADA auf dem Fußabstreifer von Carinas Eltern, da war sie gerade einmal 16 Jahre alt. „Es ist schon merkwürdig, wenn auf einmal Fremde bei dir daheim stehen und dir beim Pinkeln zuschauen wollen“, sagt sie. Doch mit jeder weiteren Kontrolle wurde der Ablauf ein wenig vertrauter.
Zunächst müsse das Kontrollpersonal entscheiden, welche Probe entnommen wird, erklärt Bunthoff. Neben der Urinkontrolle werden stichprobenartig auch Blutkontrollen durchgeführt. Bei der minimalinvasiven DBS-Methode („Dried Blood Spot“) wird das Abnahmegerät auf den Oberarm gesetzt und ein Bluttropfen entnommen. Im Falle einer Urinabnahme erfolgt diese als Sichtkontrolle. Die Athlet*innen werden auf die Toilette begleitet und nicht aus den Augen gelassen. Von geklauten Urinproben anderer, über Verunreinigungen durch Waschpulver oder Seife, bis hin zu Fake-Blasen und Kunstpenissen. Es gibt kaum etwas, dass bei Kontrollen der NADA noch nicht versucht wurde.
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Bei Wettkämpfen dürfen die Athlet*innen zwischendurch nicht mehr zu ihren Familien gehen, da sie bis zu einer Kontrolle konsequent begleitet werden. Selbstverständlich wird ein Sportler von einem männlichen Kontrolleur und eine Sportlerin von einer weiblichen Kontrolleurin überwacht. Die Athlet*innen müssen dann 90 Milliliter abgeben. Anschließend werden die Proben in ein WADA-akkreditiertes Labor gesendet.
Kontrolliert wird Carina ungefähr alle drei Monate, vor Wettkämpfen dann häufiger. Sonntag morgens um 6 Uhr, abends um 23 Uhr, während der Arbeit, dem Training oder beim gemütlichen Kaffee mit einer Freundin. Jederzeit und überall können Carina die Kontrollen überraschen – immer unangekündigt. Sogar beim Wanderurlaub in Österreich war sich die NADA nicht zu schade, ihr hinterher zu reisen.
Fair Play ist keine Frage des Zufalls
„Es gibt ein sogenanntes ‚Where-About-System‘, in dem die Athlet*innen ihre regelmäßigen Tätigkeiten und Übernachtungsorte angeben müssen“, erklärt Bunthoff. In der App „ADAMS“ tragen sie ihre Aufenthaltsorte für den gesamten Tag ein. Wenn sie nicht an dem angegeben Ort angetroffen werden, haben sie eine halbe Stunde Zeit, um dort zu erscheinen. Schaffen sie dies nicht, zählt das als „Missed Test“ oder „Strike“. Bei drei solcher Strikes innerhalb von zwölf Monaten, gilt dies als Dopingverstoß, was einen zweijährigen Ausschluss vom Wettkampfbetrieb zur Folge hat.
Auch wenn die Sichtkontrollen für sie anfangs seltsam waren, empfindet Carina diese als gerecht und transparent. Es sei trotzdem ein fairer Umgang zwischen dem Kontrollpersonal und den Sportler*innen. Woran man sich allerdings gewöhnen müsse, sei der Druck, immer alle Aufenthaltsdaten korrekt in das System einzutragen. Dennoch betont sie: „Ich mache Sport, weil ich einen fairen Sport befürworte und da gehört das eben einfach dazu.“ Den Zweck der Kontrollen kann sie demnach nachvollziehen.
Welche Substanzen und Nahrungsergänzungsmittel sie einnehmen darf, kann Carina auf einer umfangreichen Verbotsliste oder der Kölner Liste nachschauen. Zusätzlich gibt es eine App, in der sie die Medikamente zur Überprüfung eingeben kann.
Auch Eva Bunthoff bestätigt eine positive Zusammenarbeit mit den Athlet*innen. Sie sagt: „Sport ist ein kulturelles Gut, das geschützt werden muss.“ Wichtig sei ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was in Ordnung ist und wo sie eine Grenze überschreiten.
„Sport ist ein kulturelles Gut, das geschützt werden muss."
Trotz der Routine stellt jede Kontrolle Carinas Nerven auf die Probe. Diesmal indem die Kontrolleurin zum Waschbecken läuft. Rückwärts. Ohne Carina aus den Augen zu lassen. Blind greift sie mit der Hand nach dem Wasserhahn. Ein sanftes Lächeln huscht über ihr Gesicht, als die Geräusche des fließenden Wassers ertönen. Manch einem hilft das. Nicht jedes Mal funktioniert der Trick.
*Die Redakteurin steht in freundschaftlicher Beziehung zur Protagonistin.