Recycling: Kreislauf oder Sackgasse?
Kühlschranktür auf. Ein Griff nach der Käsepackung. Nudeln, Pesto, Salz und Pfeffer. Das Abendessen vieler Student*innen ist serviert und eine leere Käseverpackung liegt im gelben Sack. Eine von vielen Plastikverpackungen in einer von vielen überfüllten Mülltonnen in Deutschland. Plastik ist ein Zeichen unseres Wohlstandes geworden. Wo viel konsumiert wird, wird auch viel verpackt. Doch wenn wir nicht aufpassen, treibt uns der Abfall in den Ruin. Im schlimmsten Fall. Im besten Fall finden wir Lösungen gegen das Problem.
Vor 127 Jahren gab es keinen Kunststoff, bis Leo Hendrik Baekeland das Bakelit entdeckte. Etwas später folgten Polyvinylchlorid (PVC), dann Polyethen (PE), der heute am meisten genutzte Kunststoff. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges fand man Plastik weitgehend in Alltagsgegenständen. Dann wurden natürliche Rohstoffe knapp, das Militär lernte die Vorzüge zu schätzen und für die Produktion wurden neue Fabriken gebaut. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurden so bereits zwei Millionen Tonnen Plastik pro Jahr produziert. Danach suchten die Fabriken nach neuen Abnehmer*innen: Die Gesellschaft, in welcher der Kunststoff ein lupenreines Image genoss. Die Produktion stieg weiter an.
Heutzutage wächst uns der Plastikberg über den Kopf. 417 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle produzierten die Deutschen im Jahr 2019. Das ist mehr, als wir brauchen. Man muss sich in Supermärkten nur die mehrfach eingepackten Süßigkeiten und großzügig bemessenen Verpackungen ansehen. Auf den Verpackungen haben Hersteller nur eines zu sagen: „Recycelbar“. Doch laut Benedict Wermter, Investigativjournalist in Sachen Kunststoffabfälle heißt „recycelbar“ eben nicht, dass auch recycelt wird. Es heißt nur, dass es theoretisch ginge. Für unsere Kreislaufwirtschaft trennen wir also brav Plastik-, Papier- und Restmüll voneinander und erwarten, dass die Entsorger das Problem beheben. Sie recyceln für uns, so glauben viele. Doch für Herrn Wermter ist Recycling ein dehnbarer und irreführender Begriff: Zum Beispiel sind viele Lebensmittelverpackungen zwar recycelbar, aber Lebensmittel selbst werden in der Regel nicht in recycelten Verpackungen verkauft, da sie als unsauber gelten. Doch wo beginnt das Problem des Recyclings? Durch einen Blick auf den Anfang der Kette erhält man mehr Informationen darüber.
Ein linearer Kreislauf
In einer idealen Kreislaufwirtschaft ließe sich die Frage, wo der Kunststoffabfall nach der Sammelstelle verbleibt, leicht beantworten. Dafür müssten alle Abfälle als Wertstoff im System verbleiben, um wiederverwertet zu werden. Doch unsere sogenannte Kreislaufwirtschaft gleicht derzeit eher einem linearen System. Nur ein kleiner Anteil wird tatsächlich recycelt. Das Recycling all unserer Kunststoffabfälle ist im industriellen Maßstab sowohl zu teuer als auch zu aufwendig und in Deutschland fehlen die Kapazitäten, weswegen jährlich hunderttausende Tonnen zum Recycling ins Ausland exportiert werden. 2022 waren das 745.100 Tonnen. Die deutsche Recyclingquote steigt dadurch in die Höhe, aber im Ausland blockiert unser Müll die dortigen Kapazitäten, landet auf Deponien zur Verbrennung oder in der Umwelt. Plötzlich finden wir auf der anderen Seite der Welt aus dem Meer angeschwemmte deutsche Plastikabfälle. Oder Mikroplastik im Sediment knapp 10.000 Meter tiefer Meeresgräben. Für Benedict Wermter ist klar: „Recycling ist nur eine Notlösung, wenn das Problem bereits entstanden ist.“ Denn in der Abfallhierarchie kommt Recycling erst nach Prävention und Wiederbenutzung.
Erst trennen, dann recyceln
In Deutschland ist das Duale System dafür zuständig, Hausmüll durch die öffentliche Müllabfuhr und Verpackungsmüll durch private Entsorger separat zu sammeln. Große Sortieranlagen würden die eingesammelten Abfälle nach insgesamt sieben verschiedenen Kunststoffkategorien trennen, erzählt der promovierte Chemieingenieur Marcus Vater vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP. Diese seien schon damals bei der Einführung des Dualen Systems die größten Abfallströme gewesen. Zu einer der größten Kategorien, der Mischfraktion, würden auch Käseverpackungen gehören, da sie aus mehreren dünnen Schichten unterschiedlicher Kunststoffe bestünden. Hierbei sieht Herr Vater das größte Problem für ein erfolgreiches Recycling, gleich neben der richtigen Mülltrennung: Diese vielen Schichten müssten erst voneinander separiert werden. Die Recyclingprozesse für diese Fraktion so abzustimmen, dass diese Trennung gut funktioniert, sei laut Marcus Vater jedoch schwer. Schon innerhalb der anderen Kategorien gebe es je nach Verpackungshersteller Abweichungen in der Zusammensetzung der Kunststoffe. Eine Ausweitung auf zehn bis 15 Kunststoffkategorien hält er daher für einen besser funktionierenden Recyclingprozess für nötig.
Wenn wir vom Recycling sprechen, sei oft das mechanische Recycling gemeint, berichtet Herr Vater. Dies sei der kürzeste Recyclingweg, bei dem Kunststoffabfälle von Begleitstoffen wie Klebstoffen und Aufklebern getrennt werden, damit sie gehäckselt, eingeschmolzen und anschließend für die Herstellung neuer Produkte verwendet werden könnten. Er erklärt auch, dass Kunststoffe bei jedem Schmelzen an Qualität verlieren würden, sodass ihre Lebenszeit begrenzt und das neue Produkt oft von minderwertiger Qualität sei. Laut ihm sorgt chemisches Recycling für Abhilfe, wenn das recycelte Produkt die Ausgangsqualität erreichen soll. Bei diesem aufwendigeren Verfahren würden die Abfälle in ihre chemischen Grundbausteine zerlegt, sodass die dafür verwendeten Rohstoffe zurückgewonnen werden könnten. Doch auch hier macht die Mischfraktion rund um die Käseverpackungen aus verschiedenen Kunststoffschichten zusätzlichen Aufwand. Deswegen hält Marcus Vater die Forschung zu einer grundlegenden Kunststoffart für die Lösung. Diese könne dann leicht variiert werden, sodass eine Verpackung aus Klebern, Schale und Folie – welche bislang aus unterschiedlichen Kunststoffen bestehen – im Ganzen recycelt werden könnten. 2021 wurden rund 64 Prozent der Kunststoffabfälle thermisch verwertet, also verbrannt. Darunter große Mengen der Mischfraktion, erläutert Herr Vater. Um diese Prozentzahl zu senken, könnten solche Verpackungen also hilfreich sein.
Egal ob chemisch oder mechanisch, ein Recyclingverfahren, das unsere großen Abfallmengen beseitigen kann, wurde bislang noch nicht erfunden. Deswegen fragen sich einige Forscher*innen, ob es nicht auch andere Ansätze für den Umgang mit Kunststoffabfällen geben kann. Über solche alternativen Methoden erzählen drei Experten in unserem Podcast.
Die wachsenden Müllberge zeigen, wie zentral Kunststoff in unserem Alltag ist. Ohne eine vergleichbare Alternative sind wir auf ihn angewiesen. Doch die Mengen an Plastikabfällen übersteigen unsere Kapazitäten und Recycling allein kann das Problem nicht lösen. Deswegen ist die Politik gefragt: Deutschland braucht strengere Gesetze und Anreize, die entlang der Abfallhierarchie wirken. Das Einwegplastik muss reduziert, die Wiederverwendung gefördert und das Recycling vorangetrieben werden. Für letzteres gibt es viele Ansatzpunkte, darunter ein feineres Trennverfahren, größere Recyclinganteile in Neuverpackungen und vereinheitlichte Plastikverpackungen auch über verschiedene Hersteller hinweg. Die EU-Richtlinie zum Thema Plastikabfälle weist da schon in die richtige Richtung, denn durch sie sollen bis 2025 65 Prozent aller Verpackungen recycelt werden.